Tiny Houses liegen im Trend

Luzerner kämpft für Wohntraum auf wenigen Quadratmetern

Der Luzerner Markus Mühlbacher ortet in der Gesellschaft ein Bedürfnis nach Reduktion. (Bild: jal)

Das Umweltbewusstsein hat die eigenen vier Wände erreicht: Minihäuser boomen. Der Luzerner Markus Mühlbacher hofft, dass nun auch die Behörden mitziehen. Persönlich muss er aber in den Aargau ausweichen, um seinen Traum vom Kleinhaus zu verwirklichen.

«Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?», fragt die japanische Aufräum-Influencerin Marie Kondo. Und löste damit einen weltweiten Trend zum Entrümpeln aus. Weniger ist mehr, lautet auch das Credo der sogenannten Minimalisten, die ihre Habseligkeiten auf ein paar Kleider und einen Laptop beschränken. Die Befreiung vom erdrückenden Materialismus, mehr Platz fürs Leben.

Auf dieser Welle surft auch der Trend der Tiny Houses: Wohnen auf wenigen Quadratmetern, innovativ, mobil und im besten Fall ökologisch.

«Schnell nach Barcelona jetten und 30 Jeans im Schrank: Wir leben in der Schweiz in einem Verschwendungsmodus», kritisiert Markus Mühlbacher den modernen Lebensstil. Der Luzerner ist seit April im Vorstand des Vereins Kleinwohnformen. Vor rund einem Jahr gegründet, zählt er bereits über 900 Mitglieder. Und laut Mühlbacher ist das erst der Anfang.

Lovos statt Hipsters

Auf den ersten Blick mögen Tiny Häuser attraktiv erscheinen. Viele wirken modern und kuschelig – Ferienstimmung und Hüttenidylle machen sich breit. Doch Tag für Tag darin leben?

«Es gibt ganz klar ein Bedürfnis nach Reduktion und Vereinfachung», sagt Mühlbacher. Bereits hat sich dafür eine Bezeichnung etabliert: Lovos –  Lifestyles of Voluntary Simplicity, zu deutsch: freiwillig einfach leben. Tiny Häuser sind das wohnliche Pendant dieser Philosophie (siehe Box).

Dieses Tiny House steht seit 2018 in Zürich:

Für Mühlbacher stehen jedoch nicht romantische Aussteiger-Sehnsüchte im Vordergrund, sondern handfeste gesellschaftliche Vorteile. «Es gibt viele Brachen und Bauprojekte, die jahrelang blockiert sind, oder Grundstücke mit freien Ecken: All diese Flächen könnte man zwischennutzen und mit Kleinwohnbauten gegen innen verdichten.» In Luzern kommen ihm spontan das Eichhof-Areal, die Allmend oder der grosse Park des Klosters Wesemlin in den Sinn.

Kritik an Nachhaltigkeit

Kritische Stimmen monieren, Tiny Houses seien kein zukunftsträchtiges Wohnmodell. Statt Kleinhäuser zu bauen, wollen viele Behörden lieber verdichten. Mühlbacher kennt die Einwände. Der 54-Jährige rechnet vor, dass ein Tiny House bis zu 90 Prozent weniger Energie verbrauche als der Schweizer Durchschnittshaushalt. Dass sie zur Zersiedlung beitragen, trifft seiner Meinung nach nicht zu. «Das Ziel ist nicht, dass irgendwann jeder ein Tiny House hat. Das ist für die Schweiz weder nachhaltig noch raumplanerisch und energetisch sinnvoll.»

Er sieht im Tiny House vielmehr ein Sensibilisierungsprojekt. «Die Menschen können eins zu eins sehen, dass weniger Quadratmeter keinen Verzicht auf Lebensqualität bedeuten.» Davon erhofft er sich innerhalb der nächsten Generationen ein Umdenken. «Wenn das in den Köpfen ankommt, werden die Menschen bereit sein, in kleinere Wohnungen zu ziehen. Das wird sich positiv auf die Raumplanung auswirken.» Heute sei das noch nicht der Fall. Entsprechend werden tendenziell mehr Siedlungen mit grosszügig geschnittenen Wohnungen gebaut, während preiswerte kleine Einheiten Mangelware sind (zentralplus berichtete).

Was ist ein Tiny House?
Eine starre Definition für Tiny House gibt es nicht, die Grösse kann variieren. Der Verein Kleinwohnformen definiert eine Kleinwohnform – zu denen Tiny Häuser genauso zählen wie Minihäuser, Wohncontainer oder Bauwagen – als Einheit mit höchstens 40 Quadratmetern Gesamtwohnfläche. Sie stehen im Gegensatz zu normalen Häusern nicht auf festen Fundamenten, sondern auf Rädern oder Punktfundamenten. Auf dem Grundstück müssen sie zudem Toilette, Wasch- und Kochgelegenheit bieten, sodass sie als Wohnsitz genutzt werden können.

Mit einem eigenen Sensibilisierungsprojekt steht Mühlbacher in Sörenberg in den Startlöchern. Er plant auf dem dortigen Campingplatz ein Kleinhaus, in dem Interessierte das Tiny-House-Feeling selber testen können. Das Interesse sei gross. «Für zehn Wochen hatte ich bereits Buchungen. Doch ich musste alle wieder stornieren.» Denn das Minihaus steht noch gar nicht, der Hersteller in Deutschland hat Lieferschwierigkeiten. Der Start des Projekts steht derzeit in den Sternen.

Von 90 auf 17 Quadratmeter

Das angesprochene Umdenken hat Mühlbacher persönlich bereits durchgemacht. Vor zwei Jahren noch wohnte der langjährige Mitarbeiter der Alternativen Bank auf 90 Quadratmetern mit zwei Balkonen und Garten. Inzwischen lebt er auf 50 Quadratmetern. Der nächste Schritt wird der Umzug in ein Kleinhaus mit 17 Quadratmetern und einem 11-Quadratmeter-Anbau sein. «Ich werde ziemlich radikal reduzieren, aber ich habe nun Schritt für Schritt gemerkt: Mir fehlt eigentlich gar nichts.» Auch von seiner von Herzen geliebten Plattensammlung wird er sich trennen.

Blick in ein Tiny House in Amerika:

Mühlbacher hat sich inzwischen als Berater selbständig gemacht und koordiniert ein Projekt für Kleinhäuser im aargauischen Merenschwand. Dort hat die Gemeinde die Zusage für ein ungenutztes Grundstück im Dorfzentrum signalisiert – ein «Glücksfall» –, in spätestens einem Jahr will der Luzerner umziehen. «Ich würde gerne in Luzern bleiben», sagt er mit Bedauern. Doch hier fehle der politische Wille, sich mit einem solchen Projekt zu exponieren. «Ich habe alle Gemeinden in und um Luzern kontaktiert – überall kamen Absagen.» Die Gründe waren unterschiedlich, aber wiederholten sich oft: Es fehle die gesetzliche Grundlage, man wolle lieber Hoch- statt Kleinhäuser, es fehlten passende Grundstücke oder die Zeit, sich um ein solches Projekt zu kümmern.

Die Probleme

Es ist ein grundsätzliches Problem, das der Verein Kleinwohnformen angehen will. «Die Wohnform Tiny House ist im Gesetz nicht vorgesehen», erklärt Mühlbacher. Wer länger als einen Monat am selben Ort verweilen will, braucht eine Baubewilligung. Zum einen kostet das Geld, zum anderen machen die damit verbundenen Auflagen bei Minihäusern laut Mühlbacher oft keinen Sinn. Grenzabstände, Vorgaben zur Energietechnik, Anschlusspflicht ans öffentliche Netz oder Parkplatzpflicht: All das sei auf grosse Bauten ausgelegt.

Ein Tiny House in Alaska:

«Die Auflagen und die damit verbundenen Kosten schrecken viele Interessierte ab, vor allem, wenn es um Zwischennutzungen von 5 bis 10 Jahren geht.» Zumal auch die Finanzierung oft eine grosse Hürde darstellt: Weil eine Grundpfandverschreibung fehlt, gibt es von den Banken keine Hypothek. Doch auch diesbezüglich ist Bewegung im Markt: Der Verein will mit einer Genossenschaft aktiv werden, die ab 2020 Kleinhäuser finanzieren soll. Und neu bringt sich die Alternative Bank mit einer speziellen Tiny-House-Hypothek in Position.

Trotz aller Schwierigkeiten: Markus Mühlbacher ist überzeugt, dass sich Minihäuser in den nächsten Jahren etablieren werden. «Es braucht Zeit und Mut, auszubrechen. Aber die Menschen beginnen zu merken, dass der Überkonsum nur eine Kompensation ist für die fehlende Verwurzelung mit sich selber und mit der Natur.» Wer auf engerem Raum lebe, verlagere sein Leben automatisch nach draussen – und damit zu Menschen und Umwelt. Das ist es, was laut Markus Mühlbacher glücklich macht.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Sundi22
    Sundi22, 28.02.2020, 08:09 Uhr

    Wow, so eine Minihaus hätte ich auch gerne und würde sofort in die Natur umziehen. Vielleicht überlege ich mir das noch, brauche nur einen guten Hypotheken Ratgeber für die finanziellen Anliegen zu finden.

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