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Dominik Galliker macht nur Freiwilligenarbeit und finanziert seinen Lebensunterhalt mit persönlichen Spenden. Der 30-jährige gebürtige Menznauer erklärt, wie sein Lebensmodell funktioniert und warum er ehrenamtliche Einsätze für unverzichtbar hält.
Er arbeitet, bekommt aber keinen Lohn. Was für die meisten erstmal keinen Sinn macht, ist für Dominik Galliker seit letztem Herbst Realität. Der 30-Jährige finanziert seine ehrenamtliche Arbeit im Asylwesen mit persönlichen Spenden. Rund 35 Menschen haben einen Dauerauftrag eingerichtet, um sein Konto monatlich zu speisen.
Davon bezahlt er Essen, ein stark reduziertes WG-Zimmer und die Krankenkasse. Insgesamt erhält Dominik Galliker monatlich rund 1200 Franken, etwa 2200 bräuchte er zum Leben. Die Differenz frisst sein Erspartes aus einem früheren Leben als Journalist bei der «Berner Zeitung» gemächlich auf.
Der junge Mann lebt eine Idee. Sie bedeutet in erster Linie, mit wenig Geld auszukommen, ohne finanzielles Polster zu leben, keine materiellen Annehmlichkeiten mehr zu geniessen. Aber eben auch: ein sinnvolles Wirken, ganz ohne nebensächlichen Ballast.
10'000 Stunden Freiwilligenarbeit
Der Luzerner hat sich für ein Lebensmodell entschieden, das auf den ersten Blick utopisch wirkt. Aber er gibt sich weder Illusionen hin noch scheint er ein verblendeter Idealist zu sein. Nein, er spricht besonnen und ruhig, hat sich jede Frage eines typischen Bünzlis schon selbst gestellt: Die AHV? Wird er einzahlen, um im Alter keine Lücken zu haben. Was, wenn er krank wird? Das hat er mehrere Versicherungen gefragt, die jedoch auch keine Antwort hatten. Und warum, um Himmels willen, bezieht er nicht einfach einen Lohn über die Geschäftsstelle seiner Organisation? «So bin ich flexibler», findet Dominik Galliker. Und er kann immer gerade dort anpacken, wo es ihn am dringendsten braucht.
«Es gibt viele Bereiche, die gesellschaftlich sehr sinnvoll sind, für die eine Mehrheit der Bevölkerung aber nicht bereit ist, Steuern zu zahlen.»
Dominik Galliker
Zurzeit ist er als Geschäftsleiter des von ihm gegründeten Vereins Mazay tätig, der bei der Integration von Flüchtlingen hilft. Er möchte aus seiner Arbeit so viel wie möglich herausholen und glaubt, dass er dieses Ziel mit seinem Modell am besten erreicht. Bei Mazay beispielsweise habe er als Deutschlehrer angefangen und koordiniere mittlerweile über 10'000 Stunden Freiwilligenarbeit pro Jahr. Eine Vervielfältigung, die er allein niemals geschafft hätte.
Auslandeinsatz hat alles angestossen
Zurzeit ist der 30-Jährige dabei, seine Nachfolge zu regeln und die Arbeiten bei Mazay auf mehrere Schultern zu verteilen. Sein Traum ist es, dann wieder einmal einen Auslandeinsatz zu machen, wie er ihn bereits 2017 in einem Flüchtlingslager in Serbien gemacht hatte.
In Kombination mit dem Zivildienst, bei dem er als Deutschlehrer für Flüchtlinge tätig war, hat dieser Einsatz seinen Werdegang geprägt. «Ich habe in Serbien Menschen kennengelernt, die sich auf einer anstrengenden, teils Jahre dauernde Flucht nach Europa befanden. Sie waren überzeugt: Wenn wir dann endlich am Ziel sind, fängt das neue Leben an.»
Zurück in der Schweiz sah er Flüchtlinge voller Tatendrang ankommen. «Wann beginnt der Deutschkurs, wann kann ich zu arbeiten beginnen?», fragten sie mit gehobenem Kopf und voller Elan in der Brust. Einige Monate später beobachtete Dominik Galliker, wie bei vielen die Resignation einsetzte.
Im neuen Land fängt das Warten in der Regel noch einmal von vorn an, während das Leben an einem vorbeizieht. Mit Mazay hat Dominik Galliker einen Verein mitgegründet, der währenddessen zumindest die Hoffnung aufrechterhält.
Mazay füllt die Zeitlücke
Dominik Galliker weiss, wie knapp die Ressourcen im Asylwesen sind. Er kritisiert, dass das System Probleme verstärke anstatt sie zu vermindern: zum Beispiel durch mangelnde Privatsphäre, fehlende Zukunftsperspektiven und Tagesstrukturen oder die Begünstigung einer hierarchischen Rollenverteilung.
«Wir nehmen uns die Zeit, die im Asylwesen fehlt.»
Dominik Galliker
Die Freiwilligenarbeit sei da ein wichtiger Pfeiler. «Es gibt viele Bereiche, die gesellschaftlich sehr sinnvoll sind, für die eine Mehrheit der Bevölkerung aber nicht bereit ist, Steuern zu zahlen.» Im Asylwesen in Bern, wo Dominik Galliker wohnt und arbeitet, betreue eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter bis zu 150 Dossiers. Dass da keine Zeit für tiefe Gespräche bleibt, ist klar.
«Wir nehmen uns die Zeit, die dort fehlt.» Dominik Galliker und sein Team haben Zeit in einer Welt, in der ebendiese die grösste Mangelware ist. Der Kern ihrer Arbeit sei es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Irgendwann kämen grosse Themen wie psychische Probleme oder in Einzelfällen sogar häusliche Gewalt zur Sprache. Diese professionell anzugehen, diene letztlich der ganzen Gesellschaft.
Noch keine Ukrainerinnen im Café
Das Asylwesen habe sich seit der Gründung von Mazay 2018 verbessert, Wartezeiten hätten sich beispielsweise verkürzt, sagt Dominik Galliker. Er hofft, dass der Staat bei den ukrainischen Flüchtlingen nicht den alten Fehler wiederholt, mit der Integration zu lange zuzuwarten.
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Im Moment sitzen im Mazay-Café noch keine Ukrainer, sondern mehrheitlich Menschen aus Afghanistan. Ihr Krieg ist in den Köpfen der Schweizer Bevölkerung längst nur noch eine verschwommene Erinnerung. Während sie erbittert um Familiennachzug kämpfen, weisen am Bahnhof Luzern Plakate in kyrillischer Schrift den ukrainischen Flüchtlingen den Weg (zentralplus berichtete).
Die Leute wollen mit Dominik Galliker übers Wetter reden
Noch Stunden könnte Dominik Galliker übers Asylwesen sprechen: Über die Ungerechtigkeiten, aber auch über die stetigen Fortschritte. Reflektiert, ehrlich und ohne Moralkeule. Manchmal ist er deshalb ein bisschen enttäuscht, wenn ihn jemand fragt, was er denn mittlerweile so mache – und nach einer kurzen Antwort seinerseits gleich zum Wetter umgeschwenkt wird.
Menschen wie ihm geht die Arbeit nicht so schnell aus. Die Herkunftsländer ändern zwar mit den Jahren, genauso wie das sich entwickelnde System. Was bleibt, sind die Menschen. Dass er Geld braucht, um weiterzumachen, ist er sich zwar bewusst. Seine Person zu diesem Zweck zu bewerben, liegt ihm dennoch fern. Dominik Galliker ist rational genug, um nicht selbst in der Sozialhilfe zu landen und idealistisch genug, um sich nicht von Existenzängsten plagen zu lassen. In der Zwischenzeit ist er mit Wichtigerem beschäftigt.
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