Reportage beim First Contact Point

Hier empfängt die Stadt Luzern ukrainische Flüchtlinge

Diese ukrainische Mutter und ihre Tochter, die lieber anonym bleiben wollten, sind bereits seit einer Woche in Luzern. Noch immer haben sie zahlreiche Fragen an die Behörden. (Bild: mik)

Für ukrainische Flüchtlinge, die in Luzern ankommen, gibt es seit Montag eine zentrale Anlaufstelle beim Inseli. Täglich sollen dort 30 bis 50 Schutzsuchende ankommen. zentralplus ist vorbeigegangen.

Rollkoffer beim Inseli lösen normalerweise ein Gefühl von Neid aus. Denn Reisecars transportieren von hier Luzernerinnen in ihre Ferien. Doch seit dieser Woche tritt ein neues Gefühl beim Anblick der Rollkoffer hervor: Beklemmung.

Anfang Woche hat in Luzern auf dem Inseli der First Contact Point für ukrainische Flüchtlinge geöffnet (zentralplus berichtete). Am frühen Dienstagnachmittag ist es noch still im weissen Zelt. Nichts deutet auf die Flüchtlings-Krise hin. Wäre da nicht das Hinweis-Plakat für «ukrainian refugees».

Hilfsbereite Passanten schneien vorbei

Drinnen gibt es nur das Nötigste: Eine Infowand, Stühle, zwei Regale. Im hinteren Bereich gibt es Bänke, Liegen und Tische. Nachsehen dürfen wir nicht. «Es ruht sich gerade eine Mutter mit ihrem Sohn aus», sagt Nicole Scheiber entschuldigend zu uns. Sie ist die Contact Point-Verantwortliche und arbeitet bei der Luzerner Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen. Tatsächlich hören wir während des Gesprächs im Hintergrund einige Male einen kleinen Jungen, der seine Mutter mit allerlei Fragen löchert.

Nach langer Fahrt laufen die ukrainischen Flüchtlinge zur Luzerner Anlaufstelle.
Nach langer Fahrt laufen die ukrainischen Flüchtlinge zur Luzerner Anlaufstelle auf dem Inseli. (Bild: mik)

Abgesehen davon ist es ruhig. Gemäss Angaben des Staatssekretariats für Migration erwartet Luzern jedoch täglich zwischen 30 und 50 Personen. Laut Scheiber kämen die ankommenden ukrainischen Flüchtlinge von einem der Bundesasylzentren. Hier werden sie empfangen, erhalten Antworten auf die wichtigsten Fragen, werden mit den nötigsten Mitteln ausgestattet und in eine der kantonalen Unterkünfte gefahren.

Im Gespräch werden wir einige Male unterbrochen. Denn nicht nur ukrainische Flüchtlinge finden sich im Contact Point ein. Eine junge Frau kommt herein und bietet Übersetzungsdienste an. Später kommt eine andere und fragt, ob es irgendetwas zu tun gebe, womit sie helfen könne. Wiederum eine radelt mit dem Fahrrad vorbei und fragt, ob sie hier Hilfsgüter vorbeibringen könne. Überraschend kommt das für Scheiber nicht: «Die Solidarität der Schweiz ist riesig.»

Auch schon montags kamen mehrere Personen vorbei, die Hilfe offerierten. Oder Privatpersonen, die eine Unterkunft anbieten und fragen wollten, wann sie vom Kanton zu den Flüchtlingen kontaktiert werden. «Wann immer wir Zeit haben, helfen wir natürlich gerne weiter.» Doch grundsätzlich verweist Scheiber auf die Informationsseite und Helpline des Kantons.

Der Empfang des First Contact Point ist auf das Nötigste beschränkt. (Bild: mik)

An der Anlaufstelle selbst kämen sie bisher mit wenig Personal aus: Fahrerinnen, Helfer, administratives Personal und einen Sicherheitsverantwortlichen. Bis jetzt ging es gar ohne Übersetzer. «Wir schauen jetzt mal, ob es so funktioniert. Je nach Bedarf könnte aber noch weiteres Personal hinzukommen.»

Ankommen und Luft schnappen

Nach einer Weile kommen die nächsten ukrainischen Flüchtlinge vollbepackt mit Rollkoffern und Taschen an. Es sind alles Frauen und Kinder. Selbst die Jüngsten helfen mit: Ein kleiner Junge, vermutlich nicht viel älter als sechs Jahre alt, zieht einen kleinen Rollkoffer mit einem Plüsch-Elefanten darauf hinter sich her. Bei den jungen Teenagern könnte man das Gefühl haben, sie seien gerade auf dem Rückweg in die Kantonsschule Alpenquai. Doch ihre dunklen Augenringe und die leicht geröteten Augen deuten stattdessen auf die lange Reise hin, die sie hinter sich haben.

Im Innern der Anlaufstelle wird es nun geschäftig. Fragen werden beantwortet, Wasserflaschen verteilt. Auch einige Passanten linsen in den Contact Point und werden von den wartenden Fahrern aufgeklärt. Nach einer Weile kommen die Ukrainerinnen mit einem Papier in der Hand wieder aus dem Zelt heraus und schnappen etwas frische Luft.

First Contact Point Ukraine Inseli Luzern
Vor der Anlaufstelle stehen bereits Autos zur Weiterfahrt bereit. (Bild: mik)

Während des Wartens auf die Weiterreise spazieren einige auf dem Inseli herum. Andere wiederum machen bereits erste Besorgungen. Eine Ukrainerin erklärt mir im gebrochenen Englisch, sie suche nun den Swisscom Shop, da sie kein Internet habe. Eine andere wiederum tröstet ihren Sohn. Dieser stampft und heult – über die Gründe kann ich nur mutmassen, da ich kein Ukrainisch spreche.

Mutter und Tochter bei Privaten untergekommen

Doch nicht nur ukrainische Neuankömmlinge kommen zum Contact Point. Auch Geflüchtete, die bei Privaten untergekommen sind, suchen nach Antworten. So zum Beispiel eine Ukrainerin mit ihrer zehnjährigen Tochter, die bereits seit mehr als einer Woche bei einem Luzerner wohnen.

Zwei Tage lang war sie von der ukrainischen Grenze unterwegs, bis sie schliesslich in Luzern angekommen ist. Wie sich das anfühlte? «Quite warm. Good. Very much cared for», versucht sie uns das Gefühl zu umschreiben. Dann standen erstmal einige Behördengänge an. Wie bei Elias Meier (zentralplus berichtete) hatten auch sie Schwierigkeiten, sich bei einem der überrannten Bundesasylzentren zu registrieren.

Tochter ist im Cheerleading-Training

Inzwischen haben sie es aber geschafft. Auch die Tochter konnte bereit den ersten Schultag an einer Luzerner Primarschule verbringen. Ihr bisheriges Highlight: Ihre sportbegeisterte Tochter konnte bereits drei Trainings des Luzerner Cheerleading-Teams «Wild Cats» besuchen. Dort seien sie sehr herzlich aufgenommen worden. Mit Händen und Google Translate versuchen die Mädchen untereinander zu kommunizieren.

Sie selbst möchte nun so schnell wie möglich Arbeit finden. Mithilfe ihres Gastgebers konnte die gelernte Massagetherapeutin bereits ein Lebenslauf erstellen und erste Bewerbungen abschicken. Ganz so einfach sei das jedoch noch nicht, erklärt der Gastgeber, der lieber anonym bleiben will. Angefragte Hotels sind zögerlich und wollen erstmal weitere Informationen der Behörden abwarten.

Auch Deutschkurse wollen sie besuchen. Bei diesem Stichwort erinnert sich die Frau daran, dass sie das ja noch im Contact Point fragen wollte. Entschuldigend beendet sie das Gespräch und geht zurück, weitere Fragen stellen. Viele davon bleiben zwar vorerst offen, doch die Frau und ihre Tochter scheinen immerhin bereits ein Stück weit in Luzern angekommen zu sein.

Verwendete Quellen
  • Reportage vor Ort
  • Gespräch mit Nicole Scheiber, Verantwortliche des First Contact Point Luzern
  • Website der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen zum Ukraine-Krieg
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9 Kommentare
  • Profilfoto von Solidar
    Solidar, 29.03.2022, 07:04 Uhr

    Deutsche, die vor 70 Jahren selber den Krieg erlebten, sind heute verständnisvoller als einige Schweizer es gerade hier in Kommentaren sind. Die vom Krieg verschont gebliebene Schweiz soll erstmal mitfühlend, verständnisvoll und hilfsbereit sein, keinesfalls urteilend.

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  • Profilfoto von Der Maihöfler
    Der Maihöfler, 25.03.2022, 09:39 Uhr

    @Deka Dent … Selten einen unpassenderen Kommentar gelesen .. Es scheint, dass sie etwas neidisch Veranlagt sind und die Zusammenhänge zur Flucht aus einem aktuellen Konflikt nicht sehen .. In diesem Fall vielleicht einfach die Gosche nicht zu weit aufreissen …

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  • Profilfoto von Deka Dent
    Deka Dent, 24.03.2022, 12:15 Uhr

    Ok, sehr sympathisch! Mutter und Tochter in Tommy Hilfiger Klamotten, welche sich 60% der CH-Bevölkerung nicht im Ansatz leisten können…….

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 24.03.2022, 12:38 Uhr

      Was weisst denn Du?

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 24.03.2022, 12:44 Uhr

      Muss ich jetzt auch noch Pseudonyme siezen?

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    • Profilfoto von M.Schmidig
      M.Schmidig, 24.03.2022, 16:48 Uhr

      @Deka Dent: Da kommen Menschen auf der Flucht vor dem Krieg zu uns, und Ihnen fällt nur auf, was für Kleider sie tragen, und das führt Sie dann zu was für einer Annahme?

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    • Profilfoto von Anou
      Anou, 25.03.2022, 09:21 Uhr

      Ja, find ich auch total dekadent dass die Schweizer*innen offenbar solche Markenklamotten spenden. Merksch öpis Deka Dent?

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    • Profilfoto von Miko
      Miko, 26.03.2022, 22:02 Uhr

      Neidisch auf Kriegsflüchtlinge sein ist wirklich sehr traurig.

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      Miss Gunst, 28.03.2022, 11:21 Uhr

      @Deka Dent: Die Flüchtlinge tragen Markenklamotten? Und das ist für Sie ein Problem? Ich selbst habe zwei Flüchtlinge bei mir aufgenommen. Spannenderweise wurde die Markenkleidung bei uns bereits thematisiert. Beide kauften Ihre Markenkleidung (bezieht sich auf je 2-3 Teile) in Second-Hand Shops. -Worauf Sie lange gespart haben. Neue Markenkleider können sich beide nicht leisten! Wenn Sie von einem Tag auf den anderen Ihr Land verlassen müssten, würden Sie vielleicht auch ein Kleidungsstück mitnehmen welches Sie gerne tragen? Die beiden flohen mit einem gemeinsamen Koffer, glauben Sie mir da hat nicht viel Platz. Mehr konnten Sie nicht mitnehmen. Verwandte, Bekannte und Freunde haben bereits diverse Kleider für die beiden vorbeigebracht. Beide waren zu Tränen gerührt und konnten die Welt nicht verstehen, dass wir Ihnen dies einfach so schenken. Auch die Sorgfalt die beide an den Tag legen ist unbeschreiblich. Jedes Markenkleidungsstück wird wie ein seltenes Gut behandelt. Wieso immer dieser Neid, die Eifersucht und die Missgunst? Das Leben wäre so viel einfacher ohne all dies. Doch ich will Ihnen nicht vorschreiben wie Sie Leben sollen. Zukünftig wünsch ich mir für Sie, dass Sie sich ebenfalls an Kleinigkeiten erfreuen können .-Es lebt sich angenehmer, dass dürfen Sie mir glauben. 🙂

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