Wie eine Frau das Kino nach Zug holte

Zuger Kinos gehen mit einem Blick zurück in die Zukunft

«Füsilier Wipf» lockte 1938 die Zuger Bevölkerung in Scharen ins Kino Gotthard. (Bild: zvg)

Das Zuger Kino Gotthard wird 100 Jahre alt. Die Betreiber begehen das Jubiläum mit einem Spezialprogramm – und bieten einen Blick in die Zeit, als die Bilder laufen lernten – und der prüden Zensur.

Während schweizweit Kinos die Türen für immer schliessen – wie etwa das Luzerner Kino Moderne und in absehbarer Zeit wohl auch das Capitol (zentralplus berichtete) –, halten sich drei Betriebe seit Jahrzehnten wacker: die Kinos Gotthard, Seehof und Lux im Kanton Zug. Wie dem widerspenstigen Gallierdorf aus den Asterix-Comics scheint diesen Kinos weder eine Pandemie noch eine Übernahme oder Streiks in Hollywood viel anhaben zu können.

Ein gemütlicher Spaziergang über den gelben Ziegelsteinweg ist der Betrieb der drei Zuger Kinos jedoch nicht. «Leider ist es so, dass auch die Zuger Kinos mit dem Besucherschwund zu kämpfen haben», schreibt Alban Hürlimann, dem die Kinos zusammen mit seinem Bruder Adrian gehören. Die Arthouse-Sparte überlebe nur dank der Quersubventionierung durch Mainstream-Filme.

Zuger Kinos müssen sich anpassen

«Wir werden uns der veränderten Nachfrage anpassen müssen, um weiterhin ein spannendes Programm in Zug zeigen zu können», so Alban Hürlimann weiter. Und diese Anpassung sieht unter anderem vor, das Kino Gotthard auszubauen und zu modernisieren. Denn das Gotthard, so Adrian Hürlimann, schreibe seit Jahren rote Zahlen.

Der Idee eines Ausbaus wurde jedoch ein Riegel vorgeschoben. Der Zuger Heimatschutz und das Bauforum Zug reichten Beschwerde gegen das Vorhaben ein, wie im August bekannt wurde (zentralplus berichtete). Jetzt aber scheint der Weg frei zu sein. Wie die Gebrüder Hürlimann mitteilen, waren die Beschwerden zurückgezogen geworden, und das Gebäude würde aus dem Inventar der schützenswerten Bauten entlassen.

Die Gebrüder Hürlimann planen, das Kinofoyer beispielsweise um eine Bar zu erweitern und mit dem Umbau des Saals eine grössere Nutzfläche anzustreben. Obschon das Kino oft totgesagt wurde, glauben die Betreiber, dass es in Zug eine Zukunft für Filme auf der Grossleinwand gibt.

Im Zuger Kino Gotthard sollen auch in Zukunft Arthouse-Filme gezeigt werden. (Bild: Beat Holdener)

Bei einem Kinobesuch gehe man «mit erhöhter Aufmerksamkeit und einem anderen Groove an die Sache», schreibt Geschäftsführer Thomas Ulrich. «Das ist für mich noch wichtiger als das Gemeinschaftserlebnis, die grössere Bildfläche oder technische Aspekte.»

Alban Hürlimann fügt an: «Ja, TV, Video, DVD und jetzt Streamingdienste absorbieren Besucher. Doch ein eindrückliches Kinoerlebnis ausserhalb der eigenen vier Wände gibt es nach wie vor nur im dunklen Kinosaal auf der grossen Leinwand.» Ein Kanton Zug ohne Kino sei für ihn unvorstellbar. Das liegt nicht zuletzt an der turbulenten Geschichte der Lichtspielhäuser, die in Zug vor rund 100 Jahren ihren Anfang genommen hatte.

Veronika Schweikher-Hürlimann bringt das Kino nach Zug

Mit dem Kino Gotthard in Bahnhofsnähe habe Zug eines der ältesten aktiven Kinos der Schweiz, wie der Historiker Leander Diener in einer Abhandlung über die Zuger Kinos schreibt. Und dass Zug überhaupt Kinos hat, ist einer Frau zu verdanken: Veronika Schweikher-Hürlimann. 1891 geboren, interessierte sich Schweikher schon früh für das damals neuartige Medium Film.

Waren Kinematografen um die Jahrhundertwende herum vor allem Jahrmarktsattraktionen, etablierte sich wenige Jahre später vor allem in Zürich langsam eine Kinokultur. Eine, die in Veronika Hürlimann-Schweikher den Wunsch weckte, selbst ein Kino betreiben zu können.

Zwei Grandes Dames des Schweizer Kinos: Mathilde Leuzinger (links) und Veronika Hürlimann-Schweikher (rechts) im Jahr 1956. (Bild: zvg)

1923 konnte sich die damals 32-Jährige ihren Wunsch in Zug realisieren. Zusammen mit dem Badener Kinobesitzer René Marchal eröffnete sie das erste Kino in der Stadt Zug. Am Dienstag, 13. November, flimmerte mit «Die Elektrifikation der Bundesbahnen» der erste Film über die Leinwand des «Grand Cinema», wie das Kino damals hiess.

Schnell formierte sich im katholischen Zug moralischer Widerstand gegen die aufkeimende Kinokultur. Schon im Eröffnungsjahr etablierte sich eine mehrköpfige Zensurbehörde, die als «Kantonale Kinokommission Zug» über Jahrzehnte hinweg Zensurmassnahmen einforderte. Streifen wie «Frankenstein» von 1931 wurden gar verboten. Die Begründung: «Der Film widerspricht unserer Verordnung über das Lichtspielwesen, indem er sehr roh und überreizend wirkt und in das Gebiet des Schundwesens verwiesen werden muss», schrieb die Kommission am 22. November 1934 in einer Verfügung.

Auftritt Seehof und Lux

Den Aufstieg der Zuger Kinos konnten solche Einschränkungen allerdings nicht verhindern. Weil Filme immer beliebter wurden, eröffnete Veronika Hürlimann-Schweikher 1948 ein weiteres Kino in der Stadt Zug und holte dafür auch ihren 30-jährigen Sohn Albert Hürlimann ins Boot. Mit dem Kino Seehof an der Schmidgasse entstand zeitgleich auch die erste Zuger Kunstgalerie – im Foyer des Seehofs.

Das Kino Seehof im Eröffnungsjahr 1948. (Bild: zvg)

Das dritte – und bislang letzte – Kino eröffnete am 16. November 1956 als Cinéma Lux in Baar. Veronika Hürlimann-Schweikher hatte seit 1937 Filme im «Capitol» im Baarer Gasthof Bahnhof gezeigt – und war damit auf Missfallen seitens der Gemeinde gestossen. Die Gangster- und Westernfilme, die über die Leinwand flimmerten, lösten beim Einwohnerrat Unbehagen aus.

Statt der «verrohenden und gefährlichen» Filme sollten nur Produktionen gezeigt werden, die «bildend und belehrend» wirken. Hürlimann-Schweikher sah das anders und zeigte weiterhin die Filme, die beim Baarer Publikum auf Anklang stiessen. Für die Premiere ihres neuen Cinéma Lux entschied sie sich jedoch für den wenig anstössigen Tanzfilm «Der gläserne Pantoffel».

Die «Grand Old Lady» verlässt die Bühne

Zu einem grossen Wechsel kam es in der Zuger Kinoszene im Dezember 1975, als Veronika Hürlimann-Schweikher verstarb. Ihre Kinder zogen sich aus dem Kinogeschäft zurück und verpachteten die Betriebe an Bruno Ulrich, der sie zusammen mit seiner Frau Maria weiterführte und für den ein oder anderen Skandal zu haben war. Beispielsweise als die Vorführung des Erotikfilms «Emmanuelle» in einem Strafprozess mündete.

In den folgenden Jahren kam es in den einzelnen Kinos immer wieder zu kleineren und grösseren Umbauten. Ab 1999 übernahm Thomas Ulrich die Geschäftsführung – die er bis heute inne hat – und brachte die Zuger Kinos zusammen mit Veronika Hürlimann-Schweikhers Enkeln Adrian und Alban Hürlimann und neuen Projektoren ins digitale Zeitalter.

Wie – und ob – die Kinoszene in weiteren 100 Jahren daherkommen wird, gehört wohl ins Reich der Science-Fiction. Fakt ist, dass der Kanton Zug ohne die Kinos heute ein anderer wäre. Ohne Veronika Hürlimann-Schweikhers Kampf gegen die Zensur und die Kulturpolitik des damaligen Milieukatholizismus «hätten wir ein halbes Jahrhundert lang in frommer Langeweile leben und darben müssen», ist sich Adrian Hürlimann sicher.

Zuger Kinos feiern sich selbst

Ihr 100-jähriges Bestehen feiern die Zuger Kinos mit verschiedensten Anlässen. Vom 10. bis 14. November findet in den drei Zuger Kinos ein Spezialprogramm statt. Die Betreiber zeigen nicht nur historische Filme und Klassiker – darunter auch der damals verbotene «Frankenstein» –, sondern bringen ebenso Gäste wie Emil Steinberger auf die Bühne. Steinberger führte damals in Luzern selbst während mehrerer Jahre Kinos (zentralplus berichtete). Den Abschluss des Spezialprogramms bildet die «Award-Night» der Zuger Filmtage, die heuer bekannt gaben, sich neu positionieren zu wollen (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Thomas Ulrich, Adrian und Alban Hürlimann
  • Firmengeschichte von Leander Diener
  • Website Zuger Kinos
  • Verfügung der Kantonalen Kinokommission Zug vom November 1934
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 05.11.2023, 12:13 Uhr

    1. Das Kino hat keine Zukunft.
    2. Die Zensur ist heute prüder als vor 100 Jahren.

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