Als die Sittenpolizei gegen Luzerner Kinos einschritt
Anfang des 20. Jahrhunderts erreicht das Kinofieber Luzern. Das neue Medium ist bei der Bevölkerung sehr beliebt. Der Luzerner Regierungsrat sieht die Filme aber als äusserst gefährlich an und tut in Folge alles, um das Gewerbe einzuschränken. «Mördereien und Apachentänze» sind der Politik ein Dorn im Auge, die Sittenpolizei wird gebildet.
1908 öffnet an der Pilatusstrasse 34 das erste Luzerner Kino, Inhaber sind die Brüder Morandini. Im «Kinematografen» Fédéral können von nun an Filme geschaut werden. Während die Luzernerinnen dem neuen Medium frönen und sich am Lichtspiel erfreuen, ist sie der Politik jedoch ein Dorn im Auge.
Filme sind zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine Neuerscheinung. Dem bewegten Bild wird vor allem von bürgerlicher Seite mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnet. Die Kinogegner fürchten eine Verrohung der Konsumenten. Vor allem Jugendliche seien auf die Gefahren des Films anfällig. Von der Verdorbenheit über Augenkrankheiten bis hin zum Verlust der «guten Sitten». Dem neuen Medium werden bis anhin ungekannte Gefahren attestiert.
Um diesem Ungetüm der Moderne Einhalt zu gebieten, formiert sich in der Luzerner Politik die Kinoopposition. Mit all den ihnen verfügbaren Mitteln werden sie versuchen, die Popularität des Kinos aufzuhalten – und das bewegte Bild in einen Pfad des sittlichen Vergnügens umlenken.
Strenge Zensur, weil Staatssache
1911 wird die Bevölkerung bereits seit einigen Jahren durch Filme bespielt. Während sich Luzernerinnen den neuen Kinohäusern mit Neugierde und Faszination hingeben, entwickelt die politische Führungsriege ein Vorgehen, um den hemmungslosen Genuss einzudämmen.
Am 27. Januar reicht Emil Schuhmacher-Kopp, ein liberales Mitglied des Grossen Rats, im Stadtparlament eine Motion ein. In dieser fordert er eine engere Kontrolle sowie eine Zensur der Filme. Der gezeigte Inhalt der Filme soll ab sofort Staatssache sein.
Die «(…) Wiedergabe sogenannter professioneller Dieb- und Mördereien und der Apachentänze zu verbieten», ist ihm ein wichtiges Anliegen. Er räumt in seiner Motion ein, dass Filme auch sinnvoll eingesetzt werden könnten, besonders als pädagogische Hilfsmittel im Unterricht. Darin sieht er jedoch die Ausnahme, die Mehrheit der gezeigten Filme stifte zu «Verbrechen und Unmoral» an. Die einzige Möglichkeit, diesem beunruhigenden «Unfug» Einhalt zu gebieten, ist die strenge Zensur.
Konsens in der Luzerner Politik
Schuhmacher-Kopp steht mit seiner strengen Einschätzung der Filmindustrie und der Kinos jedoch nicht alleine da. Ein weiterer liberaler Stadtrat, Jakob Zimmerli, vergleicht das Kinogeschäft mit dem «Schundschriftunwesen». Ein anderer Kollege aus dem Stadtrat, Hermann Heller, bereut den Entscheid des Regierungsrats, das Kino an der Pilatusstrasse 1908 überhaupt erst bewilligt zu haben. In einem Verwaltungsbericht von 1911 schreibt Heller: «Wir stehen mit den Kinematografen in beständigem Kampfe.»
Sich der Logik seiner Ratskollegen anschliessend, beschreibt er das Kinogewerbe und seine Produkte als «minderwertig». Die Kinobetreiber würden sich rücksichtslos bereichern und berechnend die Sensationslust der Zuschauenden bespielen.
Sittenpolizei kontrolliert über tausend Filme
Die beschriebene Skepsis den Kinos und allgemein dem Medium Film gegenüber führt zur Bildung einer Kontrollinstanz. Am 19. April 1911 erlässt der Stadtrat die «Verordnung betreffend die Errichtung, den Betrieb und die Überwachung der Kinematografen in der Stadt Luzern».
Daraufhin ernennt der Stadtrat eine fünfköpfige Aufsichtskommission, welche die gezeigten Filme in «sittenpolizeilicher Hinsicht» überprüft. Beamte werden zur Einhaltung der Bestimmungen eingesetzt. Ihre konkreten Aufgaben sind unter anderem die Erteilung von Betriebsbewilligungen, die baulichen Aspekte und die Kontrolle der eingeschränkten Betriebszeiten.
Um ihre ambitionierten Zensur- und Kontrollziele erreichen zu können, schafft die Luzerner Polizei eine neue Abteilung. Die sogenannte Sittenpolizei sieht sich einer enormen Arbeitslast gegenüber. Von 1912 bis 1916 werden mehr als tausend Filme kontrolliert.
Lichtspielgesetz hütet Zuschauer vor «Kinogefahren»
Um das Kinowesen noch deutlicher einzuschränken, wird 1917 das Lichtspielgesetz erlassen. Der Regierungsrat konfrontiert die Kinobetreiber mit einer Liste von zu erfüllenden Punkten. Werden diese Punkte nicht umgesetzt, droht ein Entzug der Konzession. Der lange Katalog an Anforderungen beinhaltet unter anderem die Einhaltung der «sicherheits- und sittenpolizeilichen» Anweisungen, der Betriebszeiten sowie der Einrichtung.
Die Stadt hat so Kontrollinstanzen geschaffen, welche es ermöglichen, die Kinos besser zu überprüfen. Auch die Zensur der Filme läuft auf Hochtouren. Dies wird aus der Notwendigkeit heraus betrieben, die Zuschauerinnen vor den Gefahren des Kinogenusses zu schützen. Der Regierungsrat sieht die Augen und Nerven seiner Bevölkerung gefährdet.
Besonders die jungen Cinéphiles werden in ihrer Freiheit eingeschränkt. Das Parlament erhöht das Mindestalter für den Kinobesuch auf 18 Jahre.
Klare Linie des Regierungsrats
In den Folgejahren spriessen zwar neue Kinos aus dem Boden, der Regierungsrat tut dennoch alles, um den Betrieb für die Inhaber zu erschweren. 1930 beginnen die Brüder Morandini den Bau des Capitols. Nach der Eröffnung 1932 ersuchen die Morandinis den Regierungsrat um eine Erlaubnis, in ihrem neuen Kino eine Operette zeigen zu dürfen. In gewohnter Manier lehnt der Regierungsrat ab. Die Inhaber wenden sich daraufhin mit einer staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht.
In der geforderten Stellungnahme zeigt der Regierungsrat unverblümt seine Politik auf. Der katholisch-konservative Regierungsrat Heinrich Walther schreibt: «Unsere kantonale Kinogesetzgebung – Gesetz und Vollziehungsverordnung – ist nicht kinofreundlich.» Mehr noch, Walther gesteht, dass er Kinovorführungen durch strikte Zensurvorschriften und Verbote einzuschränken versucht.
Lichtspielgesetz widerspiegelt Misstrauen
Am 3. März 1942 wird ein revidiertes Lichtspielgesetz verabschiedet. Der Regierungsrat begründet die Revision vor allem aufgrund der gezeigten Kinoreklame. Diese sei sogar noch schlimmer als die Filme, da sie eine «erotische Atmosphäre» schaffe und die «niederen Instinkte» anspiele. Auch ideologische Entwicklungen spielen eine wichtige Rolle in der Begründung zur Notwendigkeit einer Revision.
Regierungsrat Hans Felber fordert das Verbot von Filmen, welche in «ihren psychologischen Auswirkungen sozialethische oder politisch revolutionäre Ziele verfolgen». Die Furcht vor revolutionärer bolschewistischer Propaganda in den sogenannten Russenfilmen macht sich erkennbar.
Konkret legt das Gesetz fest, dass Filmvorführungen in Vereinen den gleichen Vorschriften wie öffentliche Vorstellungen unterliegen. Ausserdem wird die Zensur verschärft. Darstellungen, welche «die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit gefährden», dürfen nicht gezeigt werden. Explizit werden Filme verboten, die «zersetzende, zynische und bolschewistische Einstellungen» enthalten.
Zensur auch für Werbung
Es wird ebenfalls eine Zensurstelle eigens für die Reklame geschaffen. Zu guter Letzt nimmt sich der Regierungsrat im neuen Gesetz dem Jugendschutz an. Bestehen bleibt das Mindestalter von 18 Jahren. Minderjährige, die sich dennoch im Kino aufhalten, werden bei der Schulpflege angezeigt.
Die Einstellungen des Stadtrats betreffs Kinos und Film zeigt sich in der Revision des Lichtspielgesetzes deutlich. Die Verschärfung des Gesetzes reflektiert das tiefe Misstrauen der Behörden gegenüber dem nun etablierten Medium.
- Eberli, Martin (2012): Gefährliche Filme – Gefährliche Zensur?
- Zimmermann, Andrea (2016): Lichtspielhäuser auf der Luzerner Landschaft
- Gerber, Adrian (2017): Zwischen Propaganda und Unterhaltung
- Spitteler, Carl (1916): Meine Bekehrung zum Cinéma