Steht ein Neuanfang bevor?

Kulturlokal unter der Langensandbrücke ist Geschichte

Livius Steiner ist Mitgründer und Betreiber des Refugiums am Bundesplatz. (Bild: jdi)

Zweieinhalb Jahre lang wurde im Refugium Alternativkultur gelebt. Doch den allermeisten Luzernerinnen war dieser Ort schlicht nicht bekannt. Mit einem Betreiber des Kulturlokals hat zentralplus über Konsumzwang, Besuche der Polizei, Gratisbier und suchtkranke Gäste gesprochen.

Das Refugium ist Geschichte. Am Pfingstwochenende wurde im Kulturlokal unter der Langensandbrücke ein allerletztes Mal gefeiert. Moment! Es gab ein Kulturlokal unter der Langensandbrücke?

In der Tat. Während zweieinhalb Jahren ging die alternative Kulturszene dort ein und aus. Im Herbst 2020 feierte der Verein Divers die Eröffnung des Refugiums. Inmitten der Coronapandemie. Die Adresse lautete Bundesplatz 4a.

Die Coronapandemie sei denn auch der Hauptgrund gewesen, wieso das Refugium vielen Luzernern lange Zeit schlicht nicht bekannt gewesen sei, erklärt Livius Steiner. Der 32-Jährige hat mit seinem Zwillingsbruder Flavius und mit Salomon Wicki das Refugium ins Leben gerufen. Letzterer bespielte noch vor der Entstehung des Refugiums auf der anderen Gleisseite die SBB-Güterhalle im Rahmen einer Zwischennutzung mit Kultur.

«Niederschwellig zugängliche kulturelle Freiräume fehlen in Luzern. Doch wären sie wichtig für die Weiterentwicklung der Gesellschaft.»

Livius Steiner, Mitgründer und Betreiber des Refugiums

Die Schliessung der Zwischennutzung habe eine Lücke hinterlassen, sagt Steiner. «Fortan fehlte Luzern ein Ort, wo entkapitalisierte Alternativkultur gelebt werden konnte.» Das Refugium schloss diese Lücke – und hinterlässt nun seinerseits eine neue.

Anfänglich traf sich im Refugium in erster Linie die alternative Kulturszene. «Wir haben das Refugium eröffnet, als öffentliche Events wegen der Coronapandemie verboten waren», erklärt Steiner. Erst als auch die öffentlichen Kulturlokale wieder öffnen durften, hätten sie mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen. «Doch wir hatten schon zu diesem Zeitpunkt zu viele Gäste.» Wohl auch, weil die Werbung sich auf ein Minimum beschränkte, blieb das Refugium bis zu seiner Schliessung so unbekannt.

Bierpreise gibt es nicht

Die Lücke im Nachtleben zu füllen war das eine, Löcher in den Kassen zu stopfen das andere: Nebst dem ehrenamtlichen Engagement in Form von unzähligen Stunden Freiwilligenarbeit schossen die Vereinsmitglieder auch immer wieder privates Geld ein, um das Refugium über Wasser zu halten. Livius Steiner erklärt: «Wir wollten das Refugium niederschwellig zugänglich machen – auch finanziell.» Das Bier an der Bar kostete so viel, wie die Gäste zahlen konnten. Für einige bedeutete dies konsequenterweise: Gratisbier.

Zwar sei das Ausgangsangebot in Luzern grundsätzlich in genügendem Mass vorhanden, findet Steiner. Doch herrsche überall Konsumzwang. Der Eintritt stelle die erste Hürde dar, hinzu kämen teure Drinks. Scheitern könne man zudem auch am Türsteher, der einen auf eine gewisse Normativität überprüfe. Steiner sagt: «Niederschwellig zugängliche kulturelle Freiräume für junge Menschen fehlen in Luzern. Doch – davon sind wir überzeugt – wären sie wichtig für die Weiterentwicklung der Gesellschaft.»

Probleme mit Suchtkranken

Genutzt hätten die Freiräume des Refugiums immer wieder auch Suchtkranke. Dabei sei es zu Problemen gekommen, die für die anderen Gäste nicht immer angenehm gewesen seien. «Doch obwohl wir mehrfach Leute rausschmeissen mussten, konnten wir alle Konflikte gewaltfrei lösen», sagt Steiner, der die Ausbildung zum Sozialarbeiter absolviert hat und als Lehrer arbeitet.

Während die SIP (Sicherheit Intervention Prävention) einen freundlich und unterstützenden Austausch mit dem Refugium gepflegt habe, sei die Kommunikation seitens der Stadt Luzern alles andere als konstruktiv, geschweige denn wertschätzend gewesen – «obwohl wir im Prinzip unentgeltliche Sozialarbeit geleistet haben, indem wir uns um die Suchtkranken genauso wie um unsere anderen Gäste kümmerten». Die Stadtverwaltung habe das Refugium schliesslich sogar für den Abfall der Suchtkranken unter der Langensandbrücke verantwortlich gemacht. Eine Beschwerdemail des Vereins Divers blieb unbeantwortet.

Vier Kastenwagen vor der Tür

Doch schon bevor Suchtkranke das Refugium für sich entdeckten, hatte dieses mit Problemen zu kämpfen. «Während Corona ist die Polizei mit vier Kastenwagen vorgefahren und hat das Refugium gestürmt.» Wegen des Coronagesetzes durfte die Polizei den privaten Raum betreten. «Die Gastropolizei hat uns in der Folge immer wieder mit Anzeigen gedroht. Doch es kam nichts – weil das, was wir gemacht haben, legal war», erinnert sich Livius Steiner. «Ich musste 1500 Franken in einen Anwalt investieren, um zu beweisen, dass wir den Ort zu Recht betrieben und offen gehalten haben.» Die Staatsanwaltschaft hat dies denn auch bestätigt.

Steiner resümiert: «Wenn die Stadt Luzern weiterhin einen derart destruktiven Umgang mit Alternativkultur pflegt, erfüllt sie ihren sozialen Auftrag schlicht nicht.» Er hätte es begrüsst, wenn die Stadt auch mal einen Sozialarbeiter statt immer nur Polizisten vorbeigeschickt hätte.

Ein einziger Nachbar provozierte das Ende

Doch ausschlaggebend für die Schliessung des Refugiums waren weder die Suchtkranken noch die Besuche der Polizei – «sondern, dass ein einziger Mieter das, was wir gemacht haben, nicht gut fand», so Steiner. Der Nachbar habe rund 50 Nachtruhestörungen gemeldet – woraus aber keine einzige Anzeige resultiert sei. Schliesslich habe der Mieter via Eigentümerschaft die Kündigung durch die Gebäudeverwaltung erzwungen. Dennoch möchte Steiner sich bei dieser bedanken. «Ohne den Goodwill der Verwaltung Apleona wäre das Refugium nicht möglich gewesen.»

«Die Stadt Luzern machte keinen einzigen Schritt auf uns zu.»

Livius Steiner, Mitgründer und Betreiber des Refugiums

Steiner führt aus: «Das Refugium war ein Unikat.» Selbst in Zürich würden derartige Freiräume fehlen. Jungen Menschen gehörten nun mal keine Häuser. «Doch wir hatten Glück: Der Raum war ausgeschrieben», sagt Steiner. Und wurde während der zweieinhalb Jahre für alles Mögliche genutzt. «Eines Morgens hatte ich nach Feierabend noch etwas Energie und habe aus einer Schreibmaschine ein Instrument gebastelt, indem ich Effektgeräte und Tonabnehmer angeschlossen habe.» Es sollte nicht das letzte Instrument gewesen sein, das im Refugium gebastelt würde. Hinzu kam etwa ein Cajon, das gleichzeitig auch eine Gitarre war, und eine Bass-Sitar.

Kreatives Schaffen wurde im Refugium gelebt: Konzerte und Jamsessions, eine Zusammenarbeit mit dem Kleintheater, ein Kunst- und ein Nähatelier waren ebenso Teil des Kulturlokals wie der kostenlose Mittagstisch für Kulturschaffende, das Nährwerk, wo in Kooperation mit der Schweizer Tafel auch ein Beitrag gegen Food Waste geleistet wurde. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsmittelschule (WML) ermöglichte das Refugium zudem das schweizweit erste ehrenamtliche Ausbildungspraktikum. Und apropos Bildung: Auch die HSLU befasste sich mit dem Refugium.

Das Ende war womöglich erst der Anfang

Livius Steiner scheint stolz zu sein auf das, was er und die Mitglieder des Vereins Divers mit einer Altersspanne von 20 bis 67 Jahren auf die Beine gestellt haben. «Es war eine fantastische Zeit.» Gleichzeitig ist Steiner von der Stadtverwaltung enttäuscht. «Die Stadt Luzern machte keinen einzigen Schritt auf uns zu» – obwohl ihr bekannt gewesen sei, was im Refugium alles geleistet worden ist.

Das wird Livius Steiner und seine Mitstreiterinnen nicht davon abhalten, sich irgendwann wieder nach Räumlichkeiten für ein neues Refugium umzusehen. «Das Konzept ist pfannenfertig. Doch wir müssen das Refugium erst einmal vermissen. Dann wird der Drive von selbst wieder kommen.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit Livius Steiner, Mitgründer und Betreiber des Refugiums
  • Feiern im Refugium
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