Luzerner Chefarzt blickt zurück – und nach vorne

«Wir haben aktuell über 100 Patienten mit einer bestätigten Covid-19-Infektion»

Christoph Henzen ist Leiter des Pandemiestabs am Luzerner Kantonsspital. (Bild: zvg)

Für den Leiter des Pandemiestabs am Luzerner Kantonsspital ist klar, dass die Skigebiete bei den aktuellen Fallzahlen nicht öffnen sollten. Im Gespräch sagt Christoph Henzen, was ihm vom Jahr 2020 besonders in Erinnerung bleibt, ob das Personal einen Bonus erhält und worauf man über die Festtage achten soll.

Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu. Endlich, mögen viele denken. Die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt. Besonders auch am Luzerner Kantonsspital (Luks). Mittendrin: Christoph Henzen, Arzt und Leiter des Pandemiestabs am Luks. zentralplus blickt mit dem 60-Jährigen auf ein besonderes Jahr zurück – und auf die nächsten Monate.

zentralplus: Herr Henzen, wie sieht die Situation im Luzerner Kantonsspital derzeit aus?

Christoph Henzen: (zögert). Die Stimmung ist eigentlich gut. Wir sind sehr professionell organisiert, auch weil wir nach der ersten Welle die Strukturen schaffen konnten, um uns auf die höhere Zahl an Covid-Patienten vorzubereiten. Insofern ist die Situation kontrolliert.

zentralplus: Das klingt nach einem Aber?

Henzen: Wir haben aktuell an unseren drei Standorten über 100 Patientinnen und Patienten mit einer bestätigten Covid-19-Infektion oder einem Verdacht darauf. Dazu die schwerkranken Nicht-Covid-Patienten. Die Auslastung ist extrem hoch, besonders auf den intensiv- und akutmedizinischen Abteilungen, und das seit gut zwei Monaten. Das führt zu einer gewissen Erschöpfung. Und zeigt: Es braucht einen langen Schnauf.

«In einem Marathon sollte man immer mal wieder an einem Verpflegungsstand Halt machen.»

zentralplus: Ist der vorhanden?

Henzen: Ja, ich denke schon. Wir versuchen die Entwicklung zu antizipieren und schauen fortlaufend, wie man die Belastung gleichmässig verteilen kann. Zum einen zwischen den Spitälern der Zentralschweiz, zum anderen innerhalb der Standorte und Abteilungen des Luzerner Kantonsspitals. Da zahlreiche Wahleingriffe verschoben werden, können Fachpersonen aus Anästhesie und Chirurgie in besonders belasteten Abteilungen eingesetzt werden.

zentralplus: Nicht nur Teile der Bevölkerung sind Corona-müde und resigniert, sondern auch der Pflege. Gibt es Raum für Erholung?

Henzen: Vorweg: Ich bin extrem beeindruckt und schätze es sehr, welchen Beitrag unsere Mitarbeitenden leisten. In einem Marathon sollte man immer mal wieder an einem Verpflegungsstand Halt machen. Uns ist darum sehr wichtig, dass unsere Leute trotz Pandemie Ferien beziehen und sich erholen können. Nicht zuletzt, weil wir wohl noch Wochen bis Monate so weiterfahren müssen.

zentralplus: Gibt’s Ende Jahr einen Corona-Bonus für die Pflegenden im Luks?

Henzen: Die Notwendigkeit einer solchen Wertschätzung ist erkannt. Eine interne Arbeitsgruppe hat sich deshalb diesem Thema ergebnisoffen angenommen und erste Vorschläge erarbeitet. Spruchreif ist aber noch nichts.

Anwohner des Kantonsspitals bedankten sich im Frühling mit einem Plakat. (Bild: jal)

zentralplus: Auf die Festtage hin hat der Bundesrat die Massnahmen verschärft. Reichen sie, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern?

Henzen: Wir haben in der Zentralschweiz pro Tag zurzeit nur einen Spielraum von zwei oder drei Intensivbetten – es gibt also wenig Luft nach oben. Insbesondere als Zentrumsspital, das auch hochspezialisierte Medizin anbieten muss, welche andere Kliniken nicht leisten können, brauchen wir einen minimalen Puffer. Beanspruchen aber zusätzlich zum Beispiel Skiunfälle mit Kopf- oder Wirbelsäuleverletzungen die Intensivstationen, bringt dies das System schnell an seine Grenzen.

zentralplus: Dann sollten die Zentralschweizer Kantone die Skigebiete erst öffnen, wenn die Fallzahlen deutlich gesunken sind?

Henzen: So schlimm das sein mag – ich bin Walliser, Skifahren ist auch meine Leidenschaft –, aus unserer Sicht ist die Antwort klar: Ja.

«Ich glaube nicht, dass es eine dritte Welle geben wird.»

zentralplus: Falls sich die Situation weiter verschlechtern sollte: Muss man dann auf das Medical Center in Nottwil ausweichen?

Henzen: Der Flaschenhals sind nicht die Betten oder Beatmungsmaschinen, sondern das Fachpersonal für die Intensivstationen. Das Notlazarett kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Es ist für Menschen gedacht, welche zum Beispiel im Spital von einer Covid-Infektion genesen sind, aber noch überwacht werden müssen und deshalb noch nicht nach Hause entlassen werden können.

zentralplus: Es gibt also keinen Plan B.

Henzen: Wir könnten die Covid-Kapazitäten im Luks massiv hochfahren, vor allem im akutmedizinischen Bereich, und wir könnten auch die Intensivbettenzahl verdoppeln – aber das würde Qualitätseinbussen bedeuten.

zentralplus: Welche Lehren kann man aus der zweiten für eine allfällige dritte Welle ziehen?

Henzen: Ich glaube nicht, dass es eine dritte Welle geben wird. Wir werden wohl relativ lang auf dem aktuell hohen Niveau der zweiten Welle bleiben. Für den weiteren Verlauf sind wir im Rahmen unserer Kapazitätsgrenzen gerüstet, insbesondere die Zusammenarbeit mit den anderen Spitälern hat sich sehr bewährt.

zentralplus: Im Unterschied zur ersten hat die Schweiz die zweite Welle nicht so gut gemeistert. Erst die vielen Todesfälle und die Warnrufe der Ärzte in den Medien im Dezember schienen zu einem gesellschaftlichen Umdenken geführt zu haben. Hätte das Luks früher an die Öffentlichkeit treten müssen, um den Ernst der Lage zu veranschaulichen?

Henzen: Im Sommer, nach dem Lockdown, verloren viele Menschen den Respekt vor dem Virus. Die Bereitschaft des Einzelnen, sich als Dienst am Ganzen persönlich einzuschränken, nahm ab. Bei diesem Punkt kommt mit der Impfung jetzt der nächste Prüfstein. Was Ihre Frage betrifft, so ist es meiner Ansicht nach Aufgabe der Politik, den Menschen zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben.

Am 23. Dezember ist die erste Luzernerin gegen Corona geimpft worden. (Bild: Keystone/Urs Flüeler) (Bild: Kanton Luzern/Keystone)

zentralplus: Sie haben die Impfung angesprochen, die im Kanton Luzern am 23. Dezember gestartet ist. Was ändert sie an der Ausgangslage?

Henzen: Der Impfstoff ist genial – wie ein Weihnachtsgeschenk. Zum einen dürfte die Zahl der schweren Erkrankungen zurückgehen, wenn möglichst alle Risikopersonen geimpft werden können. Zum anderen gewinnen wir Ressourcen, wenn das Spitalpersonal dank der Impfung nicht ausfällt. Vorausgesetzt natürlich, die Menschen machen mit: Wenn sich nicht mindestens drei Viertel der Bevölkerung impfen lässt, wird das Virus nicht eliminiert werden können.

zentralplus: Das heisst, auch junge und gesunde Menschen sollten sich impfen lassen.

Henzen: Unbedingt.

zentralplus: Bundesrat Alain Berset sprach zu Beginn der Pandemie davon, dass es nicht ein Sprint sei, sondern ein Marathon. Bei welchem Kilometer sind wir?

Henzen: Das ist eine gute Frage (überlegt). Ich würde sagen, wir sind jetzt knapp bei Kilometer 30.

zentralplus: Also über der Hälfte?

Henzen: Ja. Wenn es gelingt, bis im Sommer einen grossen Teil der Bevölkerung zu impfen, werden die Zahlen so stark sinken wie sie diesen Herbst gestiegen sind.

«Denkt nicht daran, worauf ihr verzichten müsst, sei es eine Party oder die Skiferien, sondern an das, was ihr habt.»

zentralplus: Das Jahr 2020 war geprägt von der Corona-Pandemie. Welches war für Sie persönlich der Moment, der Ihnen länger in Erinnerung bleiben wird?

Henzen: Wie bei vielen Menschen sind das die Bilder aus Bergamo und später aus dem Elsass. Es hat uns alle sehr beeindruckt zu sehen, was es heisst, wenn ein modernes Gesundheitswesen durch einen massiven Anstieg der Krankheitsfälle plötzlich überlastet wird.

zentralplus: Welche positiven Erfahrungen nehmen Sie mit?

Henzen: Was ich nie vergessen werde, ist die Bereitschaft der Mitarbeitenden, anzupacken. All die Menschen, die eine Extraleistung erbracht haben. Damit meine ich nicht nur Pflegende und Ärzte. Es braucht ganz viele Rädchen, damit das Ganze funktioniert. Beispielsweise auch jene Leute, die bei uns innert Kürze eine zusätzliche Intensivpflegestation gebaut haben, und nie im Fernsehen oder sonstwo zu sehen sind. Mich persönlich – und ich bin jetzt weit über 30 Jahre als Arzt im Spital tätig – hat zudem beeindruckt, wie schnell wir sehr viel gelernt haben über ein Virus, das ganz verschiedene Krankheitsbilder verursacht und immer wieder neue Überraschungen bereithält.

Zur Person

Christoph Henzen ist Departementsleiter Medizin am Luzerner Kantonsspital (Luks). Der 60-Jährige agiert zudem als Leiter des Pandemiestabs am Spital.

zentralplus: Wie werden Sie persönlich die Festtage verbringen?

Henzen: Ich werde ins Wallis fahren – aber nicht zum Skifahren. So sehr ich möchte, ich werde diesen Winter nicht auf die Piste gehen.

zentralplus: Und was sind Ihre Wünsche an die Bevölkerung? Worauf sollten die Luzerner in diesen Tagen achten?

Henzen: Ich wünsche mir, dass man sich dieses Jahr für einmal etwas zurücknimmt und die Festtage bescheidener feiert – im Wissen darum, dass es nächstes Jahr wieder anders sein wird. Und ich rate: Denkt nicht daran, worauf ihr verzichten müsst, sei es eine Party oder die Skiferien, sondern an das, was ihr habt. Wer gesund zuhause sein kann, sollte damit zufrieden sein. Denn die Gesundheit ist unser höchstes Gut.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Gregor Kaufmann
    Gregor Kaufmann, 26.12.2020, 16:39 Uhr

    Wie immer – Frau Lipp – Ihre Artikel sind sachlich bestechend aber auch süffig – Chapeau!! 👍👍👍

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 26.12.2020, 16:05 Uhr

    Manche freuen sich auf den Impfstoff zu Weihnachten, andere wiederum freuen sich auf viele Kontakte und Nähe 😉

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