Luzerner Theologe im Gespräch

Warum die Kirche über Sex und Männlichkeit sprechen muss

Daniel Ammann beschäftigt sich seit Jahren mit der Männerproblematik innerhalb der Kirche. (Bild: ida)

Der Luzerner Theologe und Seelsorger Daniel Ammann lädt zu einer Tagung, an der über Männlichkeit und Sexualität in der Kirche gesprochen wird. Er erklärt, warum das nötig ist.

«Gottes Liebe ist bunt – Für eine Versöhnung von Sexualität und Spiritualität»: So wird eine Tagung, die an diesem Donnerstag in der Paulus Akademie in Zürich stattfindet, angepriesen. Auch im Pfarreiblatt des Kantons Luzern wird auf diese hingewiesen.

Man müsse das Thema Missbrauch im Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutieren, heisst es darin. Die Organisatoren laden dazu ein, über Männlichkeitskonzepte, Sexualmoral und Vorstellungen des Amtspriestertums zu sprechen. Denn sie sind überzeugt: Die Problematik geht weit über die Institution der römisch-katholischen Kirche hinaus «und hat ihre Wurzeln tief in der Sexualmoral und patriarchalen Prägung der westlich-christlichen Kultur».

Das «Sex Manifest»

Mit dabei: Daniel Ammann, ein Theologe und Seelsorger aus Luzern. Er engagiert sich seit Jahren in der kirchlichen Männerarbeit. Ammann ist Teil des Dachverbands der Schweizer Männer- und Väterorganisation Männer.ch. Gemeinsam mit Christoph Walser, einem reformierten Pfarrer in Zürich, leitet er die Fachgruppe «Männerarbeit im kirchlichen Kontext».

2013 haben sie gemeinsam ein «Sex Manifest» an einem Männertag in Hertenstein verfasst. Darin heisst es, dass man Männer «mit allen sexuellen Facetten ernst nehme». Man weigere sich, «starren Bildern zu entsprechen, wie männliche Sexualität zu sein oder nicht zu sein hat». Sexuelle Erfüllung sei ein Geschenk. Im «Sex Manifest» steht weiter, dass das Recht, Sexualität frei zu leben, kein Freipass sei und man Verantwortung für sein sexuelles Handeln wahrnehmen soll.

«Natürlich war es nicht ganz ohne, als Theologen so ein ‹Sex Manifest› zu verabschieden», sagt Ammann bei einem Treffen in einem Stadtluzerner Café. Schnell merkt man: Das Thema liegt dem 62-Jährigen am Herzen. «Sexualität ist für mich die Urkraft des Lebens. Diese verdrängen zu wollen, wie es die Kirche über Jahrhunderte gemacht hat, produziert nur Opfer und zusätzliche Selbstzerstörung.»

Über die Tagung

Die Fachtagung «Gottes Liebe ist bunt – Für eine Versöhnung von Sexualität und Spiritualität» findet am 22. Februar von 9 bis 17 Uhr statt. Veranstaltungsort ist die Paulus Akademie in Zürich. Geleitet wird die Tagung von Daniel Ammann, Csongor Kozma und Bernhard Lindner. Mehr Infos findest du hier.

Warum Sexualität thematisiert werden muss

Er ist überzeugt: Das Thema Sexualität gehört in die Kirche. Würde das Thema verdrängt und totgeschwiegen, so bedeute das eine Negativspirale. Betroffene würden noch mehr vereinsamen, von Schuldgefühlen geplagt werden oder sich selbst abwerten. Und es könne eben auch den Nährboden für Missbrauch schaffen. «Deswegen ist es absolut zentral, über Konstrukte von Männlichkeit, deren verheerenden Wirkungen auf uns und unsere Beziehungen mit anderen zu thematisieren.»

Als Historikerinnen im vergangenen September eine umfassende Studie veröffentlicht haben, mit der sie 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche dokumentieren konnten (zentralplus berichtete), hielten Ammann und Walser bereits in einer Medienmitteilung fest: «Täter und Taten sind untrennbar mit dem abgeschotteten patriarchalen System verbunden, das dafür den Nährboden bereitstellt.» Deswegen würden sie sich mit jenen Protesten solidarisieren, welche fordern, dass die römisch-katholische Kirche in den Bereichen Macht, Sexualmoral, Priesterbild und Gleichberechtigung der Frauen umgewälzt werden soll.

Fragen, ob der Zölibat abgeschafft gehöre und auch Frauen Priesterinnen werden dürfe, seien wichtig. Doch diese seien nur «Oberflächenphänomene», wie Ammann sagt. Man müsse viel tiefer graben. «Wo Sexualität und Spiritualität zusammenkommen und sich versöhnen, sehen wir die Basis einer konstruktiven Prävention gegen Missbrauch.»

Je weniger sexuell, desto spiritueller?

Wie problematisch ist denn der Männlichkeitsbegriff innerhalb der Kirche? Der Theologe holt erst aus. «Die Bilder von Männlichkeit, die wir verinnerlicht haben, sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern sozial konstruiert.» Männer wurden innerhalb der Kirche dahingehend trainiert, dass sie gehorsam waren und auch keusch blieben.

Ammann sagt weiter: «Die patriarchal geprägte Männlichkeit unterscheidet stark zwischen Körper und Geist.» Der Körper werde als schlecht, der Geist als gut betrachtet. Die Frau wird dem Körper, der im Verdacht steht, sündig zu sein, zugeteilt, der Mann dem Geist. «Solche Trennungen sind immer sehr schwierig.» Hinzu kommt, dass Sexualität allzu oft mit Sünde in Beziehung gebracht wurde. Das wiederum führte zur Vorstellung: Je weniger sexuell jemand ist, desto spiritueller sei er.

Auch für Ammann war es ein langer Prozess, um sich von diesen Vorstellungen loszusagen. Er erzählt, wie er als 15-jähriger Junge mit einem Mädchen spazieren ging, sie sich auf eine Bank setzten und das Mädchen ihn plötzlich küsste. «Ich wusste: Das dürfte nicht sein. Also habe ich das gebeichtet. Es war meine letzte Beichte.» Der Beichtvater, ein Ethiker, fragte ihn, ob er sich dabei etwas Böses gedacht habe. Er verneinte. Der Beichtvater erwiderte, dass es ja keine Sünde sein könne.

Auch «Narziss und Goldmund», eine Erzählung von Hermann Hesse, prägte Ammann. Das Buch zeigte ihm, dass beide Männer – ob Lebemann oder Mönch – ihren Weg zu Gott finden. «Dieses positive, gute Verhältnis zu seiner Sexualität muss sich jeder erringen.»

Hier findest du Hilfe

Das Mannebüro hat eine Mannehotline, die sich spezifisch an Männer richtet, die Fragen haben zu Beziehung, Familie, Sexualität, Gewalt etc. Mehr Infos findest du hier.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Daniel Ammann
  • Beitrag im kantonalen Pfarreiblatt Luzern
  • Infos zur Tagung in der Paulus Akademie
  • Medienmitteilung der Fachgruppe Männerarbeit im kirchlichen Kontext vom 22.09.2023
  • Sex Manifest von mM
  • Website von Männer.ch
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6 Kommentare
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    LD, 22.02.2024, 09:18 Uhr

    Versöhnung von Sexualität und Spiritualität ist ein erneuter Versuch die Probleme auf den einzelnen abzuschieben, um (in der Tradition der röm. Kaiser als Pontifex Maximus) von der Machtpolitik der Kirche abzulenken. „Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen, sich an der Macht zu halten und von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen.“ Niccolo Machiavelli.
    Wohlstand und Macht des Westens wurde über Jahrhunderte hinweg durch die brutale Ausplünderung der Kolonien und des gesamten Planeten erreicht, "spirituell" sekundiert durch die Kirchen. Die Geschichte des Westens ist eine Chronik der endlosen Expansion durch eine riesige militärisch-finanzielle Pyramide, die immer neuen Treibstoff (Rohstoffe, technologische und menschliche Ressourcen) braucht, die anderen gehören, um sich selbst zu erhalten. Deshalb kann der Westen nicht aufhören und er hat auch nicht die Absicht, das zu tun. "Das Öl-Zeitalter – Der wahre Motor der tragischen Geschichte des 20. Jahrhunderts" ist ein Filmbericht von phoenix 2010, der diese Hintergründe aufschlüsselt. Unbedingt anschauen! Die Rolle der Kirche ist die Verschleierung dieses Systems, von dem sie rücksichtslos über eine tausendjährige Theokratie die Welt mitbeherrschte. Und nun wird von Sexualität und Spiritualität gefaselt. Die Truman Show muss weiterlaufen (Peter Weir, 1998) – die Probleme werden niemals wirklich aufgearbeitet, die Macht wird niemals freiwillig aufgegeben.

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    Hanswurst, 21.02.2024, 19:07 Uhr

    „Die Problematik geht weit über die Institution der römisch-katholischen Kirche hinaus «und hat ihre Wurzeln tief in der Sexualmoral und patriarchalen Prägung der westlich-christlichen Kultur.»“ Und wie steht es mit den extrem patriarchalen Islam – Afghanistan spricht Bände – oder dem orthodoxen Judentum, wo nicht mal die Hand unreiner Frauen geschüttelt werden darf? Geht es nicht vielmehr generell um bewusst reformunfähige Religionen, die seit je her von machtgierigen, angeblich erleuchteten oder allwissenden Pharisäern, Patriarchen, Priestern beherrscht werden und dem Machterhalt zudienen? Beispiele orthodoxe Christen dem Putin, Islam den Mullas oder Evangelikaner dem Trump? Ist sehr wohl ein patriarchales, aber kein rein „westlich-christliches“ Problem – vielmehr zeugt diese Aussage von woker Denkweise.

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    • Profilfoto von Melk Christen
      Melk Christen, 22.02.2024, 08:48 Uhr

      Der Mann ist ein christlicher Theologe aus der Schweiz. Da darf er doch wohl seine Wahrnehmung zu eben dieser Kultur darlegen, die ihn nun mal geprägt und geformt hat. Was, bitte sehr, soll das mit "wokeness" zu tun haben? Darf man nach Ihnen denn inzwischen keine kritischen Gedanken mehr ausdrücken, ausser man schiebt ein "Die anderen sind aber schon nicht etwa besser!" hinten nach? Und wenn nicht, ist man "woke" und kann als "Woker" also nicht ernst genommen werden?

      Da ist doch jetzt die Frage, wen man hier tatsächlich nicht ernst nehmen kann, Herr Hanswurst.

      Dabei bin ich ja mit Ihnen einverstanden darin, dass das Kernproblem die Verquickung von Patriarchat und Religion ist. Die ja je für sich schon sehr schwierig sind.

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      • Profilfoto von Hanswurst
        Hanswurst, 22.02.2024, 13:07 Uhr

        Die grösste Gemeinsamkeit des Wokeismus besteht darin, dass er die westliche Zivilisation verachtet und durch etwas noch Unbekanntes ersetzen will. Oder kennen Sie woke Chinesen, Araber, Japaner oder Russen? Darauf zielt meine Attribuierung woker Denkensweise ab. Ihre Bemerkung zum „ernst nehmen“ ist in einer Diskussionskultur untere Schublade, wie sie dem selbstgerechten Wokeismus eigen ist.

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        • Profilfoto von Melk Christen
          Melk Christen, 22.02.2024, 14:31 Uhr

          Das ist Ihre ganz eigene Definition von "Wokeness". Meiner Meinung nach versuchen Menschen, die von anderen als "woke" beschimpft werden, ganz einfach bewusst (und somit auch selbstkritisch) über unsere Gesellschaft und ihre Dynamiken/Muster nachzudenken. Deswegen verachten sie doch nicht den Westen, auch nicht sich selbst. Und während mein Freundeskreis nicht rund um die Welt reicht, kann ich dennoch sagen: Ich kenne zumindest einen Syrer, der von einigen wohl wirklich auch als "woke" beschimpft wird. Einzelne "woke" Exemplare wird es also rund um die Welt geben, nehme ich mal an. Ich schreibe das übrigens in Anführungs- und Schlusszeichen, weil einerseits sehr unterschiedlich verstanden wird, was "woke" genau bedeuten soll, vor allem aber, weil es inzwischen zu einer abwertenden Fremdbezeichnung wurde. So, wie Sie es benutzt haben um Herr Ammann zu desavouieren, obwohl er einfach nur seine Meinung zu einem Thema kundgetan hat. Ich halte es für absurd zu erwarten, dass hiesige Umstände nur noch kritisiert werden dürfen, wenn man gleichzeitig auch klarstellt, dass natürlich auch alle anderen Kulturkreise ihre Missstände haben. Selbstverständlich haben sie das. Aber als Mensch aus dem Westen ist man eben am allermeisten mit den Zuständen im Westen beschäftigt, und das darf man auch sein.

          Wenn mein "nicht ernst nehmen" Sie beleidigt hat, tut mir das leid. Ich habe damit halt auch darauf reagiert, dass ich Ihr "woke Denkweise" Statement als eine Aggression empfunden habe.

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 21.02.2024, 18:13 Uhr

    Zitat: "Die Frau wird dem Körper, der im Verdacht steht, sündig zu sein, zugeteilt, der Mann dem Geist."

    Das ist schlicht Humbug. Vielleicht sollte man seine Rolle in der Gesellschaft hinterfragen mit einem solchen Weltbild.

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