Neue Regel für Kinder

Velofahren auf Trottoir: In Luzern klappt es

Kinder bis 12 Jahre dürfen neu auf dem Trottoir fahren. (Bild: Pixabay)

Kinder unter zwölf Jahren dürfen mit dem Velo auf dem Trottoir fahren – unter bestimmten Bedingungen. Obwohl Teile der Politik der neuen Verkehrsregel mit grosser Skepsis begegnen, scheint es in der Praxis zu funktionieren. Dennoch bestehen Unklarheiten.

Neue Verkehrsregeln werden nur selten mit offenen Armen empfangen. Auch Anfang 2021 traten mehrere neue Bestimmungen in Kraft, die teils kontrovers diskutiert wurden. Allen voran jene, wonach Kinder bis zwölf Jahre mit dem Velo auf dem Trottoir unterwegs sein dürfen.

Ein halbes Jahr später beschäftigt die neue Verkehrsregel die Politik immer noch. So musste die Luzerner Regierung kürzlich zu diesem Thema Stellung nehmen. Im Folgenden beantwortet zentralplus die fünf wichtigsten Fragen dazu.

1. Wie funktioniert die neue Regel?

Die geltenden Regeln für das Fahren auf dem Trottoir sind relativ schnell erklärt. Kinder bis zwölf Jahre dürfen auf Fusswegen und Trottoirs Velofahren. Allerdings nur unter folgenden Voraussetzungen:

  • Es darf kein Radweg oder Radstreifen entlang der Strasse vorhanden sein.
  • Wenn viel Verkehr auf der Strasse herrscht.

Auf dem Trottoir müssen die Kinder folgende Regeln einhalten:

  • Fussgängerinnen haben Vortritt.
  • Rücksicht nehmen und vom Fahrrad absteigen, wenn viele Leute unterwegs sind.

Der Bund hat die Regeln in einem kurzen Erklärvideo zusammengefasst:

2. Welche zusätzlichen Fragen gibt's?

Die Luzerner Kantonsrätin Monique Frey (Grüne) stellte der Regierung einen Fragebogen zur praktischen Umsetzung der neuen Regel. Diese hat der Kanton nun beantwortet. Hier eine Auswahl der Fragen und der regierungsrätlichen Antworten:

Frage: Wie wird es geregelt, wenn es nur auf einer Strassenseite ein Trottoir gibt?
Antwort: Wenn in der entsprechenden Fahrtrichtung Radweg und Radstreifen fehlen, können die Kinder auch das einseitige Trottoir benützen.

Frage: Wie will der Kanton die Fussgängerinnen, insbesondere die Menschen mit Beeinträchtigungen, auf den betroffenen Abschnitten schützen?
Antwort: Kinder auf Fahrrädern, welche das Trottoir benützen, sind gegenüber den Benützerinnen und Benützern dieser Strassenräume zu besonderer Vorsicht verpflichtet und haben ihnen den Vortritt zu gewähren. Die Eltern sind in der Pflicht, die Kinder bereits früh an den Verkehr und die damit verbundenen Gefahren zu gewöhnen. Für die Verkehrsinstruktion in den Schulen sowie für die Verkehrsprävention im Allgemeinen ist die Polizei zuständig. Sie schult die Kinder das richtige und sichere Verhalten im Verkehr bereits in den Anfangsjahren.

Frage: Was wird bei den Bushaltestellen zur Sicherheit der aussteigenden Menschen getan?
Antwort: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Langsamverkehrs sind zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Es sind keine speziellen Massnahmen im Bereich von Bushaltestellen vorgesehen.

Frage: Welche zusätzlichen Vorschriften gibt es (z. B. Benützung einer Klingel, Tragen einer Leuchtweste)?
Antwort: Eine Klingel ist nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert. Ebenso wenig vorgeschrieben ist das Tragen einer Leuchtweste. Die Verkehrsinstruktoren weisen die Kinder aber darauf hin, dass sehen und gesehen werden sehr wichtig ist im Strassenverkehr – insbesondere bei Dämmerung und in der Nacht.

Frage: Wie werden die Kinder beziehungsweise deren Erziehungsberechtigte auf diese Neuregelung vorbereitet, insbesondere auf die Weisung «rücksichtsvoll fahren und Fussgängern den Vortritt lassen»?
Antwort: Grundsätzlich sind alle Verkehrsteilnehmer verpflichtet, die Regeln zu kennen und sich daran zu halten. Jeder muss sich selber orientieren, welche Vorschriften Gültigkeit haben. Die Verkehrsinstruktorinnen der Luzerner Polizei werden das Thema im Rahmen des ordentlichen Verkehrsunterrichtes und bei Elternveranstaltungen behandeln. Ebenso sind die Erziehungsberechtigten in der Pflicht, die Kinder darauf vorzubereiten.

3. Wo kommt die Regel zum Einsatz?

Kantonsrätin Frey wollte von der Regierung auch wissen, welche Luzerner Strassen beziehungsweise Trottoirabschnitte von der neuen Regelung betroffen sein werden. Zudem wollte sie wissen, auf welchen betroffenen Streckenabschnitten die Signalisation und der Bau neuer Radstreifen und Radwege prioritär behandelt wird.

Zu diesen Fragen gibt's seitens der Regierung keine konkreten Antworten. Die Regierung gibt keine Auskunft darüber, welche Strassenabschnitte in Frage kommen – sie verweist lediglich auf die oben genannten Regeln, wann ein Kind das Trottoir benutzen darf. Zwei Beispiele: In der Stadt Luzern könnte dies etwa entlang Teilen der Obergrundstrasse der Fall sein. Auch Abschnitte der Bernstrasse kämen in Frage, wo nur einseitig eine Velospur besteht.

Auch darüber, ob die Realisierung gewisser Velostreifen und Velowege nun schneller in Angriff genommen werden, schweigt sich die Regierung aus. Man werde die neue Regelung im Rahmen der Überarbeitung des Radroutenkonzepts berücksichtigen. Mit dem Radroutenkonzept soll das Luzerner Velonetz besser ausgebaut werden (zentralplus berichtete).

4. Funktioniert die neue Regel?

Dem Bund war schon bei der Einführung bekannt, dass die neue Regelung ihre Schwachstellen hat. So werden Hausausgänge und Garagenausfahrten als Gefahrenherde für die Velos auf dem Trottoir ausgemacht. Auch hier verweist die Luzerner Regierung auf die Eigenverantwortung der Kinder und die Pflicht der Eltern, ihre Kinder auf die möglichen Gefahren hinzuweisen.

Der nationale Fonds für Verkehrssicherheit, Pro Velo Schweiz und Fussverkehr Schweiz haben eine nationale Informationskampagne mit dem Titel «Walk’n’roll» lanciert. Dazu wurde folgender Clip veröffentlicht:

Die neue Regel ist mittlerweile seit rund einem halben Jahr in Kraft. Zumindest in Luzern scheint es zu funktionieren, wie die Regierung mitteilt: In den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten dieser Neuregelung wurden keine damit verbundenen Unfälle verzeichnet oder sonstige Meldungen über problematische Situationen eingereicht, sie beruft sich dabei auf Angaben der Luzerner Polizei. «Die Verordnungsanpassung hat einen Zustand legalisiert, der vielerorts im Alltag bereits gang und gäbe war», schreibt die Regierung dazu.

5. Weshalb gibt es Kritik an der neuen Regel?

Dass Kantonsrätin Monique Frey kritische Fragen an die Luzerner Regierung stellt, kommt nicht von ungefähr: Frey ist Vorstandsmitglied der Luzerner Sektion von Fussverkehr Schweiz. Die Fussgängerlobby äusserte schon vor der Einführung Bedenken und starke Kritik an der neuen Regel.

Neben einem erhöhten Sicherheitsrisiko für alle Beteiligten sieht der Verband vor allem eine fehlende Bereitschaft seitens der Politik, echten Verbesserungen in Form von getrennten Velo- und Fusswegen nachzukommen. Dies jedoch ist eine Forderung, die sowohl Fussverkehr Schweiz wie auch Pro Velo Schweiz schon seit Jahren stellen. In der Stadt Luzern wurde dazu etwa die Veloinitiative eingereicht, die mehr separate Velospuren fordert (zentralplus berichtete).

Jürg Buri, Geschäftsleiter von Pro Velo Schweiz, stuft die neue Regelung denn auch als «klare Notmassnahme» ein. «Es ist ein klares Zeichen an die Gemeinden und Kantone, die Strassen velofreundlicher und sicherer zu gestalten, gerade auch für Kinder», heisst es in einer Mitteilung.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 09.08.2021, 12:41 Uhr

    Da sind Unfälle vorprogrammiert, vor allem mit den unberechenbaren Kindern und den gebrechlichen älteren Leute.
    Auch finde ich naiv zu denken, dass Helme Unfälle verhindern. Sie sind zu empfehlen, weil Sie schützen.
    Es gibt mehr E-Bike Unfälle, weil immer mehr im Verkehr beteiligt sind und von beiden Seiten unterschätzt werden. Man könnte fürs bremsen auch den E-Motor einsetzen, das wäre auch eine aktive Hilfe.

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  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 24.07.2021, 05:19 Uhr

    Ich (80) werde täglich auf dem Trottoir von Radfahrern erschreckt und/oder gefährdet. Vor allem wird nicht einmal der Mindestzwischenraum von 60 cm eingehalten. In der Regel lassen sie sich nicht zum Absteigen veranlassen.

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