Die Frau mit den zwei Gesichtern

Luzernerin schlug ihre Tochter – und spielt vor Gericht die Unschuldige

Teilweise soll die Frau mit einem Besenstiel auf ihre Tochter eingeschlagen haben. (Symbolbild: Mabel, Pixabay)

Eine Frau hat fünf Kinder und ist alleinerziehend. Wenn die älteste Tochter nicht pariert, versucht die Mutter, ihr mit Gewalt Vernunft beizubringen. Als sie deswegen vor Gericht gestellt wird, kehrt ihr Verteidiger den Spiess um – und behauptet, das Opfer sei das Problem.

«Meine Mama hat zwei Gesichter und kann sich gut verstellen», sagte das Mädchen den Polizisten, als diese sie im November 2015 vom Dach des Familienwohnhauses holten. Dorthin war die damals 13-Jährige geflohen, nachdem die Mutter ihr eine Ohrfeige verpasst und ihr Bruder ihr Prügel angedroht hatte.

Das Mädchen war einige Stunden zuvor von einem Besuch bei der Grossmutter nach Hause gekommen. Später, als ursprünglich abgemacht war. Es gab Streit. Die Mutter flippte nach Aussagen von einem der Brüder völlig aus. Sie gab ihrer Tochter eine Ohrfeige und verbot ihr, die Oma je wieder zu sehen.

Die 13-Jährige packte daraufhin ihre Sachen und wollte zurück zur Grossmutter. Die Mutter hinderte sie daran, indem sie das Mädchen am Kragen packte. Das Kind stürmte daraufhin in sein Zimmer und verbarrikadierte sich dort.

Das Bett gegen die Wand geschleudert

Als der älteste Bruder nach Hause kam, erzählte die Mutter ihm von dem Streit. Darauf geriet auch dieser in Wut und polterte nach oben. Als er die Tür zum Zimmer seiner Schwester verschlossen vorfand, drohte er, diese einzuschlagen. Das Mädchen bekam solche Angst, dass es aufs Dach floh.

Von dort aus telefonierte die Jugendliche mit der Grossmutter und der Polizei. In der Zwischenzeit schaffte es der Bruder ins Zimmer, er hatte bereits das Bett an die Wand geschleudert, als die Polizistinnen eintrafen.

«Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern.»

Mutter vor Gericht

Die nachfolgenden Befragungen zeigten, dass der Vorfall nur die Spitze des Eisbergs war. Die Mutter hatte das Kind bereits seit Jahren immer wieder geschlagen. Manchmal kam dabei eine Holzkelle oder ein Besenstiel zum Einsatz.

Zwei Mal schlug die Luzernerin ihrer Tochter so stark mit der Faust ins Gesicht, dass ein Teil des Zahns abbrach. Sie selber behauptete später, das sei ein Unfall gewesen, der beim «Rutzen» passiert sei.

Verteidiger spricht von Märchengeschichte

Ihr Familienleben schildert die heute 53-Jährige harmonisch. «Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern. Ich bin für sie da, sie können immer zu mir kommen. Seit wir nicht mehr mit dem Vater zusammenleben, haben wir es sehr gut», sagte sie vor dem Bezirksgericht, wo der Fall erstinstanzlich verhandelt worden war.

Doch dieses Bild widerspricht diametral dem, was ihre älteste Tochter erzählt. Ihr zufolge war ihre Kindheit von Angst geprägt und es kam über Jahre mehrmals die Woche zu Schlägen. Ein Bruder bestätigte, dass die Mutter häufig auf das Mädchen einprügle und «Bläuele» hinterlasse.

Der Verteidiger der Mutter hingegen tat die ganze Sache vor dem Bezirksgericht als «Märchengeschichte» ab. Sein Plädoyer stellte er provokativ unter den Titel: «Wie ein pubertierendes Mädchen eine ganze Familie crashte.» Die Tochter sei impulsiv, ja gar vulgär und aggressiv. Aus dem Opfer wird plötzlich die eigentliche Täterin.

Weder Einsicht noch Reue erkennbar

Für diese Argumentation hatten weder das Bezirksgericht noch das Kantonsgericht Gehör. Beide sind überzeugt, dass das nette Auftreten der Beschuldigten nur Fassade ist. Grund: Die Aussagen des Mädchens werden von ihrem Bruder gestützt.

Die dem diametral gegenüberstehenden Aussagen der Mutter, welche das Mädchen nie geschlagen und eine äusserst harmonische Beziehung gehabt haben will, seien hingegen nicht glaubhaft. Negativ anzulasten sei ihr zudem, dass sie weder Einsicht noch Reue erkennen lasse.

Kaum körperliche Nähe in der Kindheit

Das Kantonsgericht verurteilt die Frau deshalb wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung und mehrfacher Tätlichkeiten. Bestraft wird sie mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 80 Franken.

Die 4’800 Franken werden fällig, wenn sie in den nächsten zwei Jahren erneut die Hand gegen eines der Kinder erheben sollte. Sofort bezahlen muss sie eine Busse von 1’000 Franken.

Das Mädchen lebt heute in einem Wohnheim für Jugendliche. Sie besucht ihre Geschwister regelmässig und hat auch mit der Mutter sporadischen Kontakt. Das Verhältnis sei aber distanziert. Vor Kantonsgericht sagte die junge Frau, ihre Mutter habe sie nicht mehr in den Arm genommen, seit sie vielleicht neun oder zehn Jahre alt gewesen sei.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Margarita
    Margarita, 20.07.2020, 14:04 Uhr

    Nachbarn, Verwandte, Befreundete und Lehrpersonen müssen hinschauen. Sie dürfen nicht schweigen, wenn Kinder leiden, misshandelt, ausgebeutet werden. Wer unterstützt solche Eltern bei Erziehungsfragen und familiären Problemen ? Hier muss mehr getan werden. Die Info zu Kindererziehung muss stark verbreitet werden

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    • Profilfoto von M. Moser
      M. Moser, 24.07.2020, 07:43 Uhr

      Es gibt eine Behörde, die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Was man von dieser Behörde halten muss? Nicht viel. Es passieren dort zu viele Fehler. Statt individuelle Lösungen zu erarbeiten, wird in dieser Behörde nach Schema F gearbeitet. Fremdplatzierung statt familiäre Problemlösungen sind bei dieser Behörde an der Tagesordnung. Ob kindliche Probleme bei dieser Behörde einer sinnvollen Lösung zugeführt werden? Wenn man auch hier bei Z+ gewisse Artikel die die KESB zum Thema haben liest, dann schlagen einem dunkle Zweifel entgegen. Das die Imageweste der KESB grosse dunkle Flecke aufweist, das hat sich diese Behörde nach verschiedenen Vorfällen, die auch in anderen Kantonen geschehen sind, ganz allein und selber zuzuschreiben.

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    • Profilfoto von Martin Schleiss
      Martin Schleiss, 24.07.2020, 08:38 Uhr

      @Moder: Wäre es Ihnen lieber, es wäre so wie früher, dass ein Sozialvorsteher einer Luzerner Landgemeinde, von Beruf vielleicht Lehrer oder Landwirt, über Fremdplatzierungen oder Bevormundungen aus dem Bauch heraus entscheidet? Ich bezweifle, dass dies die besseren Resultate brachte. Die Kesb ist verbesserungswürdig, das Prinzip würde ich aber nicht hinterfragen. Oder wäre denn Ihre Lösung? Kinder in nicht funktionierenden Familien mit Gewalttätern oder Alkoholikern belassen?

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