Zu Unrecht, sagt das Kantonsgericht

Luzerner «Todespfleger» wurde in den geschlossenen Vollzug zurückversetzt

Gestellte Szene im Dokumentarfilm «Der Todespfleger aus der Innerschweiz». (Bild: Screenshot SRF)

Der als «Todespfleger» bekannte Mann ist seit bald zwanzig Jahren im Gefängnis. Seit gut zehn Jahren ist er im offenen Vollzug. Rückfällig wurde er nicht. Trotzdem haben ihm die Behörden dieses Privileg vor Kurzem entzogen.

Wenn in der Zentralschweiz das Stichwort «Todespfleger» fällt, weiss fast jeder, von wem die Rede ist: von dem Mann, der zwischen 1995 und 2001 mindestens 22 Patienten in Alters- und Pflegeheimen umbrachte. Der wehrlose Menschen vergiftet oder erstickt hat. Der zugab, nicht nur aus Mitleid gehandelt zu haben – sondern manchmal auch aus Wut.

Der Fall hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt (zentralplus berichtete). 2006 wurde der damals 37-Jährige vom Kantonsgericht wegen mehrfachen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.

Wenn verurteilte Kriminelle zwei Drittel ihrer Freiheitsstrafe abgesessen haben, müssen sie bedingt entlassen werden – so steht es im Gesetz. Im Fall des Todespflegers jedoch machten die Behörde eine Ausnahme (zentralplus berichtete). Bis heute ist er im Strafvollzug und wird eng überwacht.

Seit fast zehn Jahren ist er im offenen Vollzug

Das Schweizer Justizsystem ist darauf ausgerichtet, Straftäterinnen nach Ende ihrer Strafe zurück in die Gesellschaft zu holen. Das gilt auch, wenn sie jemanden getötet haben. Mit kleinen Schritten geht es zurück in die Freiheit: Nach dem geschlossenen Vollzug – der bei Wiederholungsgefahr oder Fluchtgefahr angeordnet wird – folgt der offene Vollzug. Die richtige Integrationsarbeit beginnt dann mit dem Arbeitsexternat. Dabei geht der Verurteilte ausserhalb der Gefängnismauern einer bezahlten Tätigkeit nach.

Der Mann, der als Todespfleger bekannt wurde, durfte 2010 in den offenen Vollzug und 2016 erstmals ausserhalb der Justiz- und Vollzugsanstalt (JVA) einen Job annehmen. Er arbeitete unter anderem in der Logistik. Sein Arbeitgeber war sehr zufrieden mit ihm.

Das überrascht nicht. Schon im Gefängnis soll er stets höchste Arbeitsqualität geliefert haben. Schon immer wollte er «der Beste von allen» sein, wie es NZZ 2005 formulierte. Dabei war er stets fröhlich, stets aufgestellt.

Diese Gerichtszeichnung aus der Verhandlung vor dem Kriminalgericht Luzern wird im Dok-Film «Der Todespfleger aus der Innerschweiz» gezeigt. (Bild: Screenshot SRF)

Der Chef erfuhr von seiner Vergangenheit

Trotzdem wurde ihm im Juni 2019 gekündigt. Am 23. September 2019 wurde er gar per sofort freigestellt. Das hatte für den Mann weitreichende Konsequenzen: Der Vollzugs- und Bewährungsdienst (VBD) versetzte ihn sogleich wieder in den geschlossenen Vollzug. Wieder bei null.

Der Mann beschwerte sich, dass ihm wegen der Kündigung sämtliche erreichten Lockerungsschritte gestrichen wurden. Und nun kommt auch das Kantonsgericht zum Schluss: Das hätten die Behörden nicht tun dürfen.

«Er missbrauchte das ihm entgegengebrachte Vertrauen während dieser Zeit bis heute nie.»

Aus dem Urteil

Dazu muss man wissen: Die Gründe für den Jobverlust sind nicht ganz klar. Aus dem Urteil ist herauszulesen, dass der Arbeitgeber herausgefunden hatte, dass sein Mitarbeiter für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich ist. Die Kündigung war demnach nicht auf ein aktuelles Fehlverhalten zurückzuführen.

Zu der sofortigen Freistellung dürfte unter anderem geführt haben, dass eine Mitarbeiterin ihm vorwarf, dass er sie kurze Zeit in einem Kühlraum eingesperrt habe. An den Vorwürfen war aber nichts dran, die Staatsanwaltschaft verfügte deshalb eine Nicht-Anhandnahme der Strafanzeige.

Gutachter sind sich einig: Es besteht keine Rückfallgefahr

Trotzdem war der Vorwurf für den VBD Grund genug, dem Mann wieder sämtliche Freiheiten zu entziehen. Gerechtfertigt ist so ein Schritt grundsätzlich nur, wenn beim Betroffenen entweder Flucht- oder Rückfallgefahr besteht.

Dass sich der Mann aus dem Staub machen könnte, glaubt das Kantonsgericht aber nicht. Der Mann habe sich von 2010 bis 2019 ununterbrochen im offenen Vollzug oder im Arbeitsexternat befunden. «Er genoss also über viele Jahre hinweg grosse Freiheit. Er missbrauchte das ihm entgegengebrachte Vertrauen während dieser Zeit bis heute nie.» Es gebe also keinen Anhaltspunkt, dass er untertauchen wolle.

Im Dokumentarfilm «Der Todespfleger aus der Innerschweiz» wird der Saal gezeigt, in welchem die Verhandlung des Kriminalgerichts stattfand. (Bild: Screenshot SRF)

Um die Rückfallgefahr zu prüfen, ordnete das Gericht ein psychiatrisches Gutachten an. Es ist das fünfte, dass über den «Todespfleger» erstellt wurde. Die Gutachterin kommt darin zu dem Schluss, dass der Mann zwar unter anderem an einer Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen leide. Das Rückfallrisiko sei aber gering, so lange sichergestellt würde, dass er nicht in der Pflege arbeite.

Auch die Fachkommission Innerschweiz für «Gemeingefährliche Straftäter» stuft ihn nicht als gemeingefährlich ein. Eine erhöhte Rückfallgefahr bestehe nur, wenn ihm die Verantwortung für schwache oder wehrlose Personen übertragen werde.

Bagatelldelikte als Vorwand

Die VBD begründete die Rückversetzung unter anderem damit, dass sich der Mann nach der Kündigung seinen Arbeitskollegen gegenüber launisch verhalten habe. Zudem sei er vor einigen Jahren wegen Geschwindigkeitsübertretungen und Falschparkierens aufgefallen, habe einmal ein gestohlenes Velo gekauft und sich einer falschen Anschuldigung im Zusammenhang mit einem Strassenverkehrsdelikt schuldig gemacht.

Hinweise auf ein erhöhtes Gewaltpotenzial sind das aus Sicht des Kantonsgerichts nicht. Es sei «schwer nachvollziehbar», der VBD wegen dieser «relativ bagatellitären Vorkommnisse» veranlasst sah, von den übereinstimmenden Erkenntnissen von (damals) vier verschiedenen Sachverständigen abzuweichen. Das Kantonsgericht weist den Vollzugsdienst an, den Mann «unverzüglich» in den offenen Vollzug zurückzuversetzen.

Der Fall zeigt anschaulich, wie schwer es ist, solche Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wer will schon einem 22-fachen Mörder eine Chance geben, egal, wie gut er arbeitet? Und doch gibt es dazu keine Alternative. Jemanden für immer wegzusperren – diese Möglichkeit kennt unser Strafsystem nicht, wenn keine Rückfallgefahr besteht.  

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1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 13.06.2020, 15:33 Uhr

    Wieder einmal Bürokratie ohne Vernunft.

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