Mit 30 km/h durch das Zuger Stadtzentrum

Kommt jetzt Tempo in den Langsamverkehr?

Die Grabenstrasse mit Blick auf den Kolinplatz. Nun ist quasi davon auszugehen, dass hier künftig Tempo 30 gilt, nachdem die Baudirektion dies verfügt hat.

(Bild: Google Maps / pbu)

Die Stimmen, die sich eine Temporeduktion auf der Grabenstrasse in Zug wünschen, werden lauter. Ein Bundesgerichtsurteil könnte diesem Vorhaben nun Aufwind geben – und die Höchstgeschwindigkeit gleich bis zum Metalli auf 30 km/h beschränken.

Der Rechtsstreit rund um die Grabenstrasse in Zug währt schon eine gefühlte Ewigkeit. Um es kurz zu machen: Den Anwohnern ist es zu laut. Vor allem in der Nacht und am frühen Morgen machen Motorfahrzeuge zu viel Krach. Nur mit einer Temporeduktion liesse sich der Lärm langfristig reduzieren. Davon ist zumindest Daniel Brunner überzeugt. Der Zuger ist Erstunterzeichner einer entsprechenden Beschwerde und legt den Behörden kein sonderlich gutes Zeugnis vor: «Die Regierung hätte wegen der überschrittenen Lärmgrenzwerte längst handeln sollen. Sie hat aber den Willen nicht, das Nötige zu tun. Deshalb zieht sich die Sache nun schon so lange hin.»

2005 wurde die Grabenstrasse baulich saniert. Dabei wurde festgestellt, dass die Lärmimmissionen bei den Wohnliegenschaften entlang der Strasse über dem Grenzwert liegen. Der Kanton finanzierte in der Folge zwar teilweise Schallschutzfenster, ansonsten wurden allerdings Ausnahmebewilligungen, sogenannte erleichterte Bedingungen, erteilt. Damit dürfen die Grenzwerte von 65 Dezibel tagsüber und 55 Dezibel nachts weiterhin überschritten werden.

Etappensieg für Tempo 30

Damit wollte sich Daniel Brunner nicht zufriedengeben. Er sieht den Kanton in der Pflicht, Massnahmen zu ergreifen, um die hohe Lärmbelastung auf der Kantonsstrasse zu reduzieren. Massnahmen, die über die Installation von Schallschutzfenstern hinausgehen. Während er mit seinen Forderungen sowohl beim Kanton als auch beim Verwaltungsgericht abblitzte, war auch sein zweiter Gang ans Bundesgericht erfolgreich. «Nach öffentlicher und teils kontroverser Urteilsberatung hiess das Bundesgericht am 3. Februar 2016 die Beschwerde mit drei zu zwei Stimmen teilweise gut», liess Martin Looser, der Rechstanwalt der vier beschwerdeführenden Anwohner, jüngst verlauten (zentral+ berichtete).

Belastungsgrenzwerte für Lärm

Um die Lärmbelastung zu beurteilen und zu begrenzen, legt die Lärmschutzgesetzgebung Planungswerte, Immissionsgrenzwerte und Alarmwerte für verschiedene Lärmarten fest. Diese sind auf die Lärmempfindlichkeit des belasteten Gebiets abgestimmt und liegen während der Nacht jeweils tiefer.

Die Belastungsgrenzwerte sind in der Lärmschutzverordnung (LSV) verankert und stützen sich auf das Umweltschutzgesetz:

Planungswerte gelten für die Errichtung neuer lärmerzeugender Anlagen und für die Ausscheidung und Erschliessung von Bauzonen für lärmempfindliche Gebäude (Wohnungen).
Immissionsgrenzwerte legen die Schwelle fest, ab welcher der Lärm die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich stört.
Alarmwerte sind ein Kriterium für die Dringlichkeit der Sanierungen und den Einbau von Schallschutzfenstern.

Ein Etappensieg für den lärmbelästigten Brunner. Das Bundesgericht hat den Fall zur erneuten Prüfung an die Baudirektion zurückgewiesen. Gleichzeitig regte es an, dass sie in einem längeren Versuch die Wirkung von Tempo 30 auf der Grabenstrasse evaluieren soll.

Eine Niederlage für den Zuger Baudirektor Heinz Tännler. Für ihn kam eine Temporeduktion von 50 auf 30 km/h nie infrage. Nach einem ersten Verkehrsgutachten – welches das Bundesgericht nun als mangelhaft beurteilt hat – empfahl die Baudirektion, auf eine Geschwindigkeitsreduktion zwischen Casino und Kolinplatz zu verzichten. Eine verbesserte Umweltbelastung könne damit nicht erreicht werden. Ausserdem, so Tännler im August 2015 gegenüber der Neuen Zuger Zeitung, sei es äusserst ungewiss, ob Tempo 30 von den Autofahrern auch eingehalten werde.

Vom Casino bis zur Gubelstrasse?

GLP-Gemeinderätin Michèle Kottelat kann diese Argumentation nicht nachvollziehen: «Das macht keinen Sinn. In gleicher Weise könnte man argumentieren, dass der Verkauf von Zigaretten an 14-Jährige nicht verboten werden sollte, da sie selbst bei einem Verbot rauchen würden.» Sie freut sich indessen auch aus einem anderen Grund über den Bundesgerichtsentscheid: «Ich kann mir vorstellen, dass unsere Motion durch den Bundesgerichtsentscheid Aufwind erhält.» Mit dieser beauftragt die GLP-Politikerin den Stadtrat, beim Kanton einen Versuch für eine Tempo-30-Zone auf der Achse Casino–Gubelstrasse zu beantragen.

Mehr Sicherheit, weniger Verkehrslärm, attraktive Innenstadt – für Kottelat liegen die Vorteile einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf maximal 30 km/h entlang der Hauptverkehrsachse auf der Hand. «Der Stadttunnel wurde abgelehnt. Die Verkehrsprobleme bleiben. Es stellt sich nun die Frage: Was machen wir jetzt? Tempo 30 auf der wichtigsten Durchgangsachse der Innenstadt ist eine verkehrsberuhigende Massnahme ohne Diskriminierung der einzelnen Verkehrsteilnehmer.»

Die rot markierte Strecke führt vom Casino zum Kolinplatz. Das Bundesgericht empfiehlt hier eine Tempo-30-Testphase. Die blaue Linie kennzeichnet die Strecke vom Kolinplatz bis zur Gubelstrasse.

Die rot markierte Strecke führt vom Casino zum Kolinplatz. Das Bundesgericht empfiehlt hier eine Tempo-30-Testphase. Die blaue Linie kennzeichnet die Strecke vom Kolinplatz bis zur Gubelstrasse.

(Bild: Google Maps / pbu)

Es sei ein Versuch, eine Testphase, genau so, wie es der Bundesgerichtsentscheid nahelege. «Durch einen zeitlich beschränkten Versuch mit Tempo 30 können Erkenntnisse gewonnen werden, ob damit ein Teil der Probleme gelöst werden kann», so Kottelat. Nur: Während Daniel Brunner sich mit seiner Beschwerde vorderhand auf den Abschnitt zwischen Casino und Kolinplatz beschränkte, möchte Kottelat die Temporeduktion gleich bis zur Gubelstrasse erweitern. Wäre das nicht etwas zu viel des Guten?

«Wenn das Bundesgericht einen solchen Versuch auf der Grabenstrasse anregt, dann können wir gleich alles zusammen machen.»

Michèle Kottelat, GLP-Gemeinderätin

Die GLP-Gemeinderätin sieht das nicht so. «Wie gesagt, es handelt sich um eine Testphase. Wenn das Bundesgericht einen solchen Versuch auf der Grabenstrasse anregt, dann können wir gleich alles zusammen machen.» Letztlich habe man nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Zwei verschiedene Paar Schuhe

Anders sieht das Baudirektor Heinz Tännler. Im Gegensatz zur Grabenstrasse gehe es beim Strassenabschnitt Casino–Gubelstrasse nicht um eine nach Bundesumweltschutzrecht vorzunehmende Lärmsanierung, betont er. «In diesem Fall sprechen wir von einer verkehrspolitischen Massnahme. Die Situation kann daher nicht mit der Grabenstrasse verglichen werden, weshalb auch die Argumente pro und kontra Tempo 30 für diese Teilstrecken unterschiedlich ausfallen können.» Sollte das Bundesgericht eine Pilotphase tatsächlich anordnen, betreffe diese ausschliesslich das Lärmsanierungsprojekt Grabenstrasse, sagt Tännler.

Allzu weit aus dem Fenster lehnen möchte sich der Zuger Bauchef zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Man wolle zunächst die schriftliche Begründung des Bundesgerichtsurteils abwarten, so Tännler. Dass das Urteil mit drei zu zwei Richterstimmen gefällt wurde, zeige indessen eindrücklich, wie schwierig und kontrovers das mögliche Lärmminderungspotenzial von Tempo 30 auf der Grabenstrasse beurteilt werde.

«Die mit der Einführung von Tempo 30 zu erwartende Geschwindigkeitsreduktion ist als gering einzuschätzen.»

Heinz Tännler, Zuger Baudirektor

Tännler räumt zwar ein, dass gemäss den Aussagen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) mit einer Geschwindigkeitsreduktion auf 30 km/h der Lärm in der Nacht für die Anwohner wahrnehmbar reduziert werden könne. Aber: «Bereits heute ist die mittlere gefahrene Geschwindigkeit auf der Grabenstrasse deutlich unter der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Die mit der Einführung von Tempo 30 zu erwartende Geschwindigkeitsreduktion ist deshalb als gering einzuschätzen.»

Neuer Chef, neues Glück?

Die schriftliche Begründung des Bundesgerichtsurteils steht noch aus. Diese dürfte in den nächsten Wochen eintreffen. Allerdings ist bereits jetzt klar, dass die Zuger Baudirektion erneut ein Verkehrsgutachten zu Tempo 30 erstellen muss – ein Gutachten, das nicht auf veralteten Berechnungsmethoden beruht. Ob man die 30 km/h-Testphase gleich bis zur Gubelstrasse ausdehnen wird, ist fraglich. Auch wenn sich das eine mit dem anderen grundsätzlich verbinden liesse.

«Wir sind festgefahren. Gefangen in einem Kistendenken», sagt Kottelat. Sobald es um verkehrsberuhigende Massnahmen gehe, ernte man den Vorwurf, man sei gegen Autos und Autofahrer. Daniel Brunner bleibt skeptisch, sieht im anstehenden Direktionswechsel aber einen kleinen Lichtblick. Ab dem 25. Februar 2016 wird Urs Hürlimann am Bauhebel sitzen (zentral+ berichtete). «Der neue Baudirektor war mit der Vorgeschichte nicht befasst, und als ehemaliger Polizeikommandant kennt er die Fragen der Verkehrssicherheit von einer andern Seite als Ingenieure. So hoffe ich, dass er unser Anliegen besser versteht – es betrifft längst nicht nur die Grabenstrasse.»

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