Kanton nimmt an Projekt ComPaxion teil

In Zug betreuen Geflüchtete ihresgleichen – das soll der ganzen Gesellschaft helfen

Benafsha Efaf und Samuel Mengisteab lassen sich derzeit als Berater für Menschen mit Migrationshintergrund ausbilden. (Bild: wia)

Im Asylwesen fehlt es an dringend benötigten Beratungsangeboten. Insbesondere von Leuten, die wissen, was Geflüchtete durchgemacht haben. Das Pilotprojekt Compaxion, das im Kanton Zug anläuft, soll das nun ändern.

Für die meisten Geflüchteten ist es anfangs schwierig, hierzulande Fuss zu fassen. Schlicht, weil die Schweizer Kultur für die meisten sehr anders ist als jene, in der sie selber aufgewachsen sind. Ein grosser Teil von ihnen ist zudem traumatisiert: Durch Dinge, die sie in ihrem Herkunftsland, während der Flucht oder in der Schweiz erlebt haben. Angemessene Betreuung zu erhalten ist jedoch schwierig, denn ausgebildetes Fachpersonal ist rar.

Das hat auch Benafsha Efaf erlebt. Die Menschenrechtsaktivistin flüchtete vor knapp zwei Jahren aus ihrem Heimatland Afghanistan. Die Anwältin war in einer Frauen-NGO tätig und unter anderem zuständig für 33 Frauenhäuser. «Nachdem ich in der Schweiz angekommen war, hätte ich selber Beratung benötigt. Man sagte mir, dass ich zu einem Psychologen solle.» Dort jedoch fühlte sie sich unverstanden. Dies in mehrerlei Hinsicht.

Die Afghanin blieb in mehrerlei Hinsicht unverstanden

«Ich konnte mich nicht in meiner Muttersprache austauschen, merkte aber auch sehr rasch, dass der Psychologe meine Situation nicht nachvollziehen konnte. Für ihn war das, was in Afghanistan passierte, schlicht ‹unglaublich›. Ich realisierte bald, dass er mir nicht helfen kann, da er meine Kultur nicht verstand», erzählt sie in bemerkenswert gutem Deutsch. «Ich weiss nun, dass ich damals keine psychologische Hilfe gebraucht hätte. Viel mehr hätte es mir geholfen, mich auf Augenhöhe mit jemandem auszutauschen, der die spezifischen kulturellen Begebenheiten kennt.»

«Ich kam übers Mittelmeer, während dieser Reise starben zehn Personen.»

Samuel Mengisteab, Geflüchteter aus Eritrea

Auch Samuel Mengisteab hat in der Schweiz schwierige Erfahrungen gemacht. Vor acht Jahren flüchtete der ehemalige Lehrer aus Eritrea. «Die Flucht war sehr intensiv. Ich kam übers Mittelmeer, während dieser Reise starben zehn Personen.» Dass Mengisteab letztlich in der Schweiz landete, war Zufall.

«Die erste Zeit war schwierig. Zwei Jahre lang wartete ich auf eine Aufenthaltsbewilligung. Während dieser Zeit durfte ich keine Deutschkurse besuchen. Oft habe ich mich damals gefragt, was ich hier überhaupt mache.» Heute spricht Mengisteab fliessend Deutsch und arbeitet als Betreuer in einer kantonalen Asylunterkunft. Ausserdem ist er Moderator bei «Männertische», einem Zuger Beratungsangebot für Migranten.

Heute ist der gebürtige Eritreer bestens eingegliedert in die Gesellschaft. Damals hätte es ihm, gerade in jener anfänglich schwierigen Phase, jedoch geholfen, das Erlebte und die Situation mit einem ausgebildeten Berater zu besprechen, der selbst Migrationserfahrung hat. Ein entsprechendes Angebot existierte jedoch zu jener Zeit nicht.

Der Kanton Zug nimmt am Pilotprojekt teil

Zumindest im Kanton Zug soll sich dies nun ändern. Dieser macht, gemeinsam mit dem Kanton Aargau, beim Pilotprojekt «ComPaxion» mit. Es handelt sich dabei um ein niederschwelliges Beratungsangebot für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, die psychisch leicht bis mittelschwer belastet sind. Der Clou: Geflüchtete selbst schlüpfen in die Rolle der Beraterinnen.

«Ziel des Projekts ist es, die Belastungen anzugehen, bevor diese ein klinisch relevantes Ausmass annehmen.»

Esther Oester, Gründerin von ComPaxion

«Ziel des Projekts ist, die Belastungen anzugehen, bevor diese ein klinisch relevantes Ausmass annehmen», erklärt Esther Oester, die das Projekt ins Leben gerufen hat. Das bringe nicht nur den Geflüchteten, sondern auch der Gesellschaft einen grossen Mehrwert, ist sie überzeugt. «Durch die frühe Unterstützung können Ressourcen der psychiatrischen Versorgung geschont und entsprechende Kosten für das Gesundheitssystem, für den Arbeitgeber und im Bereich der Sozialhilfe gemindert oder gar eingespart werden», sagt sie.

Vor wenigen Wochen hat der erste Ausbildungszyklus begonnen. Efaf wie auch Mengisteab, die beide im Kanton Zug leben, absolvierten das mehrstufige Aufnahmeverfahren erfolgreich und drücken nun jeden Tag die Schulbank. Zur Hälfte online, zur Hälfte beim Liveunterricht. Drei Monate dauert die intensive schulische Ausbildung, danach folgt ein neunmonatiges Praktikum im Bereich «Valued Based Counseling» oder anders gesagt: in der transkulturellen, psychosozialen Beratung.

Eine Weiterbildung, die gleichzeitig therapiert

Voraussetzungen für die Weiterbildung sind eine abgeschlossene Ausbildung in einem Gesundheitsberuf, in Psychologie, Psychiatrie, sozialer Arbeit oder ähnlichem, gute Deutschkenntnisse sowie eine stabile und empathische Persönlichkeit. Dennoch werde im Kurs sehr bewusst gelehrt, wie sich Beraterinnen von den teils sehr belastenden Geschichten anderer Menschen abgrenzen können.

Für Efaf ist das viel Wert. «In Afghanistan hatte ich oft mit Frauen zu tun, die von Gewalt betroffen waren. Das hat mich oft sehr betroffen gemacht, ich konnte mich nur schlecht abgrenzen. In der Ausbildung, die wir nun absolvieren, lernen wir genau das.»

Überhaupt werde das Thema Selbsterfahrung sehr hoch gewichtet. Mengisteab spricht von einer «inneren Reise». «Wir reden über unsere Erfahrungen, lernen, unsere eigenen Gefühle zu verstehen. Im Prinzip ist das eine Therapie für uns.» Seine Kollegin nickt. Diese Reflexion ist äusserst wichtig und soll verhindern, dass es zu Retraumatisierungen kommt.

Das Projekt ist noch nicht in trockenen Tüchern

Die Organisation Paxion, psychosozialer Support für Geflüchtete, erfindet das Rad mit ihrer Weiterbildung nicht neu. Sie übernimmt mit ihrem Modell eine bewährte Methode der «International Psychosocial Organisation», die bereits seit Jahren in verschiedensten Ländern angewendet wird.

Darin lernen die Auszubildenden, wie man Gruppen- und Einzelberatungen durchführt. Dies jeweils in der eigenen Muttersprache. Oester dazu: «Die Berater werden stets begleitet – und zwar nicht nur während des Praktikums, sondern auch danach im Rahmen von Supervisionen.»

Oester ist überzeugt vom grossen Nutzen der Beratungen, sowohl für die Betroffenen wie auch für die Gesellschaft. Doch das Projekt ComPaxion ist finanziell nicht in trockenen Tüchern. «Wir brauchen nicht nur die Unterstützung der Kantone selbst, sondern sind auch auf Spendengelder und Partnerorganisationen angewiesen, um das Projekt aufzubauen», sagt Oester unverblühmt. «Wir stehen also unter Erfolgsdruck.»

Darum macht der Kanton Zug bei ComPaxion mit

Der Kanton Zug ist neben dem Kanton Aargau der einzige, der beim Pilotprojekt teilnimmt. Andreas Hostettler, Zuger Direktor des Innern, über die Gründe: «Viele Personen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich bringen traumatische Migrations- und Fluchterfahrungen mit. Nur ein kleiner Teil davon ist in psychologischer Behandlung.»

Und weiter: «Der Kanton Zug ist überzeugt, dass wir mit niederschwelliger Beratung durch die sogenannten Counselors mehr Menschen erreichen und die Entwicklung von schwereren psychischen Erkrankungen abschwächen können.» So könnten Folgekosten vermindert und das Gesundheitssystem entlastet werden, sagt Hostettler weiter. Nach Abschluss des Pilotprojekts Ende 2024 will der Kanton Zug gemeinsam mit dem Projektträger Paxion das Angebot evaluieren und das weitere Vorgehen definieren.

Verwendete Quellen
  • Website des Kanton Zug zur Einführung des Projekts ComPaxion
  • Informationen über Ipso
  • Persönliches Gespräch mit Efaf, Mengisteab und Oester
  • Website von Compaxion
  • Anfrage bei der Direktion des Innern
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