Halleluja: Topleistung im Segens-Marathon
Jesus klettert auf den Berg und hält die Predigt seines Lebens. Frau Pfarrerin erobert den Altar und steht ihm in wenig nach. In der Ebikoner Kirche St. Maria erlebte unser Tester den bisher besten Gottesdienst unserer Serie.
Das Kirchenjahr bricht die rund 12‘000 Tage, die Jesu gelebt hat, auf 365 Tage runter. Der Februar ist bereits so etwas wie der heimliche Höhepunkt des Jahres: An Weihnachten ward Jesus geboren, jetzt nimmt sein Ding Fahrt auf, er handelt, heilt und hält grosse Reden. Die Leute schwelgen im Hochgefühl des anbrechenden Gottesreichs. So viel Lebensfreude, so viel Unbeschwertheit herrscht sonst nie im Kirchenjahr. Die Entbehrungen der Fastenzeit, das Drama von Tod und Auferstehung sind noch weit weg.
Die Pfarrerin
Der Gottesdienst in Ebikon kündet von Beginn weg von diesem Leben in Fülle der euphorisierten Jesus-Bewegung. Pfarrerin Renata Huber (die natürlich nicht Pfarrerin ist, sondern «nur» Pastoralassistentin, aber die Ausstrahlung und das überzeugende Selbstverständnis einer Pfarrerin hat) lädt zur Jubelfeier.
«Nun jauchzt dem Herren alle Welt», singt das nicht allzu zahlreiche Kirchenvolk zu Beginn. Es klingt gut in der eigenartig eierförmigen Barockkirche. Die Kirche ist eigentlich länglich, im Sitzbankbereich aber kreisförmig und oben mit einer Kuppel geschmückt. Die Töne tanzen im Kirchenbauch Pirouetten.
Wer heilt hier nun was?
Vor dem Altar stehen selbstgebackene Brote, Kerzen und bunte Tüten. Da kommt einiges zusammen für Frau Huber heut. Sie tritt hinzu und erklärt: Am Donnerstag war Mariä Lichtmess, am Freitag Gedenktag des heiligen Blasius und heute feiern wir Agatha-Tag. Die Kerzen stehen sowohl für die Lichtmess wie für den Blasius, der noch was mit Fischgräten und Halsweh zu tun hat, für die Agatha bringt man Brot mit, das dann wiederum vor Brustkrankheiten und Heimweh bewahren soll. Äh, wie war das nochmals im Mittelteil?
- Ort: Kirche St. Maria, Ebikon
- Zeit: 5. Februar, 10 Uhr
- Länge: 51 Minuten (mit Blasiussegen: 1 Stunde 7 Minuten)
- Pastoralassistentin Renata Huber, Assistent Lukas Wolfisberg, vier Ministrantinnen (zwei Mädchen, zwei Knaben)
- Volk: ca. 100 Personen
- Thema: Segen, Salz und sein Gegenteil
Man droht den Überblick über all die Heiligen und möglichen Heilungen zu verlieren. Allein die Pfarrerin behält die Kontrolle: Sie spricht zusammenfassend vom «Brot, das uns nährt» und vom «Licht, das uns leuchtet». Dann setzt sie zu einem kleinen Segnungs-Marathon an, inklusive Weihwasser. Da vorne könnten auch Spaghetti oder Wintersocken liegen, Hauptsache Segen. Es rührt einfach an, dass die Leute ihren Alltag vor den Altar legen und mit irgendetwas Grossem imprägnieren lassen.
Der Praktikant
Pfarrerin Huber hat heute einen Pastoralassistenten: Lukas Wolfisberg, Theologiestudent in Luzern und derzeit Praktikant in Ebikon. Er darf das Evangelium vorlesen: Jesu‘ Bergpredigt, in der er sein Nachfolge-Volk zum «Salz der Erde» und «Licht der Welt» erklärt. Pflichtgemäss schliesst Wolfisberg die Bibel und legt sie wieder in die Halterung, in der sie zur Schau gestellt wird.
Fast richtig. Die Lehrmeisterin klappt das geschlossene Buch danach wieder an der gelesenen Stelle auf und sagt: «Die Frohbotschaft bleibt bei uns offen.» Ein öffentliches Abwatschen des Praktikanten? Wirkt irgendwie nicht so. Renata Huber sagt es nicht triumphierend, eher erklärend, fast entschuldigend, und lächelt ihrem Lukas dabei mütterlich-nachsichtig zu. Er lächelt zurück, nur minimal peinlich berührt. Gelernt ist gelernt.
Bitte mehr Licht!
Die Predigt ist wieder Chefsache. Das Salz-der-Erde-Sein vergleicht Huber mit unserem alltäglichen Tun in der Familie, in Vereinen, in der Gemeinde. Stille Hintergrundarbeit, mutmasslich bedeutungslos wie eine Prise Salz, jedoch mit grossem Wirk- und Würzfaktor. Und das Licht, das nicht «unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter» gestellt werden? Für Renata Huber «das pure Gegenteil» des Salzes: Licht sein bedeute, mutig hinzustehen, auch einmal öffentlichkeitswirksam zu werben für grosse Überzeugungen, im Namen von Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. «Au do z’Äbike.»
Was das für die Dorfbewohner heissen könnte, bleibt offen. Aber Renata Huber alias Frau Pfarrerin führt es ihrerseits vor. Ihr selbstverständliches und selbstbewusstes Hochgebet (das natürlich kein Hochgebet ist, sondern ein Kommuniongebet, weil Hochgebet darf ja nur ein geweihter Priester, ein Mann logischerweise) ist nicht nur angenehm verkürzt, sondern auch von einer seltenen Schönheit.
Auferstehung reloaded
Das Stilmittel ist so schlicht: Die Pfarrerin liest die Emmaus-Geschichte vor, in der die von Jesus verlassenen Jünger von einem sonderbaren Mann begleitet werden. Parallel spielt die Orgel «Meine Hoffnung und meine Freude», ein Kirchenschlager aus der Taizé-Tradition. Als Jesus das Brot bricht, «wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie erkannten ihn», liest Huber. Nun stimmt das Volk in die Melodie ein. Das ist Auferstehung, die nicht verordnet, sondern am eigenen Leib erfahren wird. Ergreifend!
Nach dem Schlusssegen folgt noch der letzte Segen: Der Blasius-Segen. Ich halte Frau Huber meinen Hals hin, den sie zwischen zwei Kerzen klemmt. Was sie genau gesagt hat, weiss ich nicht mehr. Aber auf jeden Fall hatte ich seither kein Halsweh. Ich glaube, der Segen wirkt.
Kurzbewertung (1 bis 5)
Predigt:
Volksnah, einfach und doch klare Kante. Bei diesem netten Jesus-Wort lauert die Versuchung, eine Kuschel-Predigt zu halten. Renata Huber umschifft die Gefahr, indem sie zwischen «Salz» und «Licht» einen Gegensatz herstellt.
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Persönlichkeit ( Pastoralassistentin Renata Huber, Theologiestudent Lukas Wolfisberg):
«Da wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie erkannten…», dass es einfach ein Blödsinn ist, solche Frauen nicht zu Priesterinnen zu weihen.
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Musik:
Stimmige Lieder, schöner Klang. Starker Orgel-Teppich im Zusammenspiel mit der Pastoralassistentin.
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Feierlichkeit:
Wenn ich recht gezählt habe, wohne ich fünf (!) verschiedenen Segensrituale bei. Man wartet auf den Moment, dass es zu viel wird, doch der will einfach nicht eintreten.
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Kirchenraum:
Leichte Orientierungslosigkeit: Wo ist hier die Mitte, wo hinten, wo vorne? Ungewohnter, sperriger Raum, aber dadurch durchaus wieder interessant.
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Integrationsfaktor:
Der vielfache Segen von oben verbindet auch untereinander. Nur eine Frage: Der Gottesdienst ist fast durchgängig in Mundart gehalten. Neben mir sitzt eine mutmasslich tamilische Frau. Wie gut kommt sie mit?
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Gesamterlebnis:
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