Eritreisch-orthodoxe Christen im Kanton Zug

Weihnachten ist erst im neuen Jahr

Weihnachten kann kommen: Tedros Belay, zum Gottesdienst gewandet.

(Bild: mam)

Tedros Belay ist Vorsänger in der Gemeinschaft der eritreisch-orthodoxen Christen, welche im Kanton Zug im Entstehen begriffen ist. Er richtet sich in reilgiösen Dingen nach einem andern Kalender als wir. Und kann sich so noch auf ein baldiges Weihnachtsfest freuen.

Vergangenen Dienstag, am 18. Tag des Monats Tahsas 2009 nach eritreisch-orthodoxer Zeitrechnung: Tedros Belay, Yordanos Mebrahtu und der Berichterstatter stehen vor dem Pfarreiheim Sankt Michael in Zug und wollen an die Wärme. Die Eritreer sind gekommen, um eine Feier an Silvester vorzubereiten. Der Hauswart weiss nichts vom vorangehenden Pressetermin und macht keine Anstalten, sie einzulassen. «Ihr seid eine Stunde zu früh», wiederholt er, versperrt die Türe und schaut angestrengt an der kleinen Gruppe vorbei. Erst als Eva Wimmer von der Aktionsgruppe FRW Interkultureller Dialog, die uns den Kontakt vermittelt hat, hinzukommt, lässt er uns passieren.

«Beim seelischen Fasten versuchen wir schlechte Gedanken zu vermeiden.»

Tedros Belay, eritreisch-orthodoxer Christ aus Zug

60 Minuten haben wir Zeit, um über die Weihnachtszeit zu reden. Dann wollen die Eritreer für den Silvesterabend proben. Dabei geht’s nicht ums Knallen der Champagnerkorken und den Jahresabschluss, sondern um den Erzengel Gabriel. Er ist der Patron der eritreisch-orthodoxen Gemeinschaft, die derzeit im Kanton Zug am Entstehen ist. Gabriel wollen sie am Samstag zum ersten Mal als ihren Zuger Schutzheiligen feiern.

Zu Gast bei den Katholiken in Unterägeri

Angefangen haben die orthodoxen Eritreer als kleine Gebetsgruppe, die bei der katholischen Pfarrei in Unterägeri Unterschlupf gefunden hat. Das Patronatsfest feiern sie bei den Katholiken von Sankt Michael, Weihnachten hingegen zusammen mit Eritreern aus anderen Teilen der Schweiz in einer reformierten Kirche in Zürich. «Da wir keine eigene Kirche haben, gehen wir dorthin, wo wir Gastrecht erhalten», sagt Tedros.

Das glauben die Eritreer in der Schweiz

Die Mehrheit der Eritreer in der Schweiz gehört der eritreisch-orthodoxen Kirche an. Dies hat damit zu tun, dass sich unter den Flüchtlingen viele Angehörige der Volksgruppe der Tigrinya befinden, die stark orthodox geprägt ist.

In Eritrea selber sind etwa die Hälfte der Einwohner sunnitische Moslems, die andere Hälfte Christen – vorab Eritreisch-Orthodoxe, aber auch Katholiken und Lutheraner. Angehörige von evangelikalen Freikirchen werden vom Regime verfolgt.

Tedros ist kein Priester oder Diakon, sondern ein engagierter Laie, der in der Kirche als Vorsänger auftritt, vergleichbar einem Kantor bei den Reformierten. Er spricht leidlich Deutsch. Wenn es um komplizierte Glaubensinhalte geht, hilft Yordanos aus, eine junge Frau, die er als Übersetzerin mitgebracht hat.

Mehr als die Hälfte des Jahrs wird gefastet

Momentan fastet er. Dies ist die Vorbereitung der orthodoxen Eritreer auf Weihnachten: Kein Kaufrausch und keine Shoppingexzesse kennzeichnen ihre Adventszeit, sondern der Verzicht auf Fleisch- und Milchprodukte. 40 bis 45 Tage lang. Vor Ostern dann dasselbe. «Eigentlich fasten wir öfter im Jahr als nicht», bemerkt die Übersetzerin Yordanos. Wobei es nicht nur körperliches Fasten gibt, wie Tedros erklärt, sondern auch seelisches Fasten: «Dann versuchen wir auch schlechte Gedanken zu vermeiden.»

Ohne Tannenbaum, aber mit Lichtern

Weihnachten findet am übernächsten Samstag, den 7. Januar, statt und wird mit einem grossen Festmahl im Familienkreis gefeiert. Die Nacht zuvor wird Tedros und die andren Etritreer bei einem langen Gottesdienst in der Kirche verbracht haben.

Weihnachtsbäume existieren in der eritreisch-orthodoxen Tradition nicht, aber das Licht hat ebenfalls eine symbolische Bedeutung. «Das Fest steht für den Übergang von Dunkel ans Licht», sagt Tedros, «denn wir erinnern uns daran, dass Jesus Christus geboren wurde, der uns erlöst hat.»

Ganz ohne Geschenke geht’s nicht

Eine Bescherung für die Kinder sei traditionell nicht vorgesehen, sagt Tedros. «Aber natürlich passen wir uns in Europa an die lokalen Bräuche an und kaufen mindestens den Kindern Geschenke», meint er. «In Eritrea bekamen wir zu Weihnachten jeweils neue Klamotten», erinnert sich Yordanos, «das war auch eine Art von Geschenk.»

Längst nicht alle Eritreer in der Schweiz sind religiös und feiern Weihnachten auf die traditionelle Art, sagt Tedros. Und längst nicht alle sind orthodox. Zu katholischen und muslimischen Landsleuten bestünden gute Kontakte, auch wenn man getrennt feiere. «Wir haben untereinander keine Probleme wegen der Religion», sagt Tedros, «das hatten wir auch in Eritrea nie.»

So darf man sich eritreisch-orthodoxe Zeremonien vorstellen: Trommler in der Heilige Dreifaltigkeitskirche in Asmara, Eritrea.

So darf man sich eritreisch-orthodoxe Zeremonien vorstellen: Trommler in der Heiligen Dreifaltigkeitskirche in Asmara, Eritrea.

(Bild: flickr/David Stanley)

Was bedeutet ihm der 24. und 25. Dezember? «Eigentlich nichts», sagt Tedros. «Aber ich habe natürlich meinen reformierten und katholischen Bekannten frohe Weihnachten gewünscht.» Denn auch wenn sein Weihnachtsfest an einem anderen Tag stattfinde, meint Tedros, «so respektiere ich die Schweizer Tradition.»

5500 Jahre nach der Schöpfung wurde Jesus geboren

Der Kalender der Eritreisch-Orthodoxen ist der äthiopische, der wiederum auf einer altägyptischen Art der Zeitrechnung beruht. Das Jahr beginnt im September und hat 12 Monate zu je 30 Tagen – und einen 13. Schaltmonat, der 5 oder 6 Tage zählt. Unserm Kalender läuft er ungefähr sieben Jahre und acht Monate hinterher. Der Unterschied in der Jahreszählung beruht darauf, dass Äthiopier und Eritreer einst Christi Geburt auf 5500 Jahre nach dem von ihnen angenommenen Datum der Schöpfung ansetzten.

Die Eritreer selbst sprechen vom Ge’ez-Kalender. Ge’ez bezeichnet die altäthiopische Sprache und Schrift, die im spätantiken Reich von Aksum verwendet wurde. Während dessen Bestehen breitete sich das Christentum in Ostafrika aus. Ge’ez oder Altäthiopisch ist immer noch die Kirchensprache der eritreisch-orthodoxen und der äthiopisch-orthodoxen Christen, sowie der äthiopischen Juden.

Die eritreisch-orthodoxe Kirche ist eine altorientalische Kirche, die in die Familie der ägyptischen, koptisch-orthodoxen Kirche gehört. Ihr gehören etwa zwei Millionen Christen in Eritrea an. Geleitet wird sie von einem Bischof, der als Patriarch fungiert. Momentan ist der Posten allerdings verwaist, da der letzte Patriarch 2015 starb, ohne dass ein Nachfolger ernannt wurde. Der vorletzte, vom Regime abgesetzte Patriarch wäre noch am Leben, steht jedoch unter Hausarrest.

Übrigens: Mit den Orthodoxen aus Osteuropa haben die Eritreer nichts am Hut. Die Spaltung zwischen der Familie der koptischen Kirchen und den europäischen Kirchen erfolgte bereits 451 – damals konnte man sich nicht darauf einigen, wie göttlich und menschlich zugleich Jesus Christus war.

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