Redaktionsleiter über «falsche» Verkäufer

Bei der «Gasseziitig» Luzern gibt es immer wieder Betrugsmaschen

Redaktionsleiter Roger Lütolf mit der ersten Ausgabe der «Gasseziitig Lozärn». (Bild: kok)

Immer wieder halten sich einzelne Verkäufer der Luzerner «Gasseziitig» nicht an die Regeln. Warum das System trotzdem nicht geändert wird, erzählt der Redaktionsleiter der Strassenzeitung.

Zurzeit läuft ein Verkäufer der «Gasseziitig Lozärn» durch die Stadt und versucht, den Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen. Seine Masche? Er hat eine Zeitung in der Hand und bittet um Spenden, die er selbst einsteckt (zentralplus berichtete).

Wer es sei, wisse das Team hinter der «Gasseziitig» noch nicht, sagt Roger Lütolf, der Redaktionsleiter der Strassenzeitung. «Wir gehen aber von einer Person aus, die sich häufig beim Löwencenter aufhält.» Sobald klar sei, wer es sei, werde die Person für den Verkauf gesperrt. Zumindest für eine gewisse Zeit.

Suchtbetroffene verkaufen die «Gasseziitig Lozärn»

Die «Gasseziitig Lozärn» erscheint seit 1997 dreimal jährlich mit einer Auflage von 10’000 bis 15’000 Exemplaren. Sie berichtet vom Leben der Randständigen und Suchtbetroffenen der Stadt. Verantwortlich für den Inhalt ist ein Team aus Sozialarbeitern des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern. Bei Roger Lütolf liefen die Fäden zusammen, erzählt er zentralplus in seinem Büro in der Anlaufstelle «Paradiesgässli».

Roger Lütolf blättert in den Ausgaben der letzten Jahre. (Bild: kok)

Aus seinem Fenster blickt der engagiert wirkende Sozialarbeiter auf die Rosette der Maihofkirche. Er sagt, die «Gasseziitig Lozärn» sei mit anderen Strassenzeitungen wie der «Surprise» nicht vergleichbar. «Bei uns verkaufen Menschen, die aktuell stark von Sucht betroffen sind.» Sie kaufen die Zeitung bei der Gassechuchi, einer anderen Anlaufstelle des Vereins, für einen Franken. Die Zeitung verkaufen sie dann auf der Strasse für zwei Franken weiter.

Verkaufsausweise, wie bei der «Surprise», hätten die etwa 40 Klientinnen nicht, sagt Roger Lütolf. «Sie sind selbstständig tätig, aber alle bei uns registriert.» «Klienten», so bezeichnet er die Verkäufer der «Gasseziitig». Für den Verkauf erhalten sie vom Verein ein Merkblatt mit Grundregeln. Darauf steht unter anderem: keine Preiserhöhung, keine Spenden sammeln und nur aktuelle Ausgaben verkaufen.

Einzelfälle mit Betrügereien lassen sich nicht verhindern

Die Freiheit, die der Verein den Verkäuferinnen gibt, birgt ein gewisses Risiko. «Es gibt immer wieder Betrugsmaschen. Das können wir nicht verhindern», sagt der Sozialarbeiter. Neben seinem Tisch stapeln sich die Ausgaben der vergangenen Jahre. Einzelne Verkäufer hätten bereits versucht, die Zeitung teurer zu verkaufen, oder alte Ausgaben dabeigehabt.

Das Aussehen der Strassenzeitung hat sich über die Jahre verändert. (Bild: kok)

Letztes Jahr sei sogar ein Auto mit ausländischem Kennzeichen vor der Gassechuchi aufgetaucht. Die Fahrer hätten stapelweise «Gasseziitige» kaufen wollen. «Sie haben sich wohl ein gutes Geschäft versprochen, wenn sie die Zeitungen weiterverkaufen», erzählt Roger Lütolf. Mitarbeiter der Anlaufstelle hätten ihnen den Zugang zu dieser aber verwehrt.

Frauen sind die erfolgreicheren Verkäuferinnen

Für Roger Lütolf sind die Betrügereien kein Grund, um das Verkaufskonzept zu ändern. «Bei einer Auflage von 10’000 Exemplaren erreichen mich jeweils keine Handvoll Beschwerden.» Nicht viel, wenn man bedenke, dass die meisten Verkäufer stark suchtkrank seien. «Viele können keine zwei Stunden an einem Ort stehen, ohne zwischendurch zu konsumieren.»

Die «Gasseziitig Lozärn» biete ihnen eine Möglichkeit, ihre Sucht und andere Bedürfnisse auf legalem Weg zu finanzieren, sagt der Sozialarbeiter. «Ansonsten müssten sie sich für ihre Sucht prostituieren oder dealen.» Ausserdem ermögliche der Verkauf menschliche Kontakte zu Nicht-Suchtbetroffenen.

Die aktuellste Ausgabe der «Gasseziitig Lozärn». (Bild: kok)

Zudem schaffe der Verkauf positive Anreize. Wer sich gut anstellt, kann laut Lütolf mit dem Verkauf über 200 Franken am Tag verdienen. «Wenn Klienten freundlich auftreten und anständig aussehen, machen sie mehr Gewinn.» Tendenziell seien Frauen erfolgreicher.

Das Netzwerk der Strassenzeitungen

Die «Gasseziitig Lozärn» und die «Surprise» sind die Schweizer Versionen eines globalen Phänomens. Auf der ganzen Welt gibt es Zeitungen, die das Leben von Randständigen porträtieren und ihnen ein finanzielles Auskommen sichern. Über 100 von ihnen, auch die «Surprise», sind Teil des 1994 gegründeten «International Network of Street Papers». Warum die Luzerner «Gasseziitig» nicht?

«Geld nur gegen Ware. Und keine Spenden geben. Trinkgeld ist erlaubt.»

Roger Lütolf, Redaktionsleiter der «Gasseziitig»

Roger Lütolf, dessen kleines Büro mit Papieren tapeziert zu sein scheint, lacht. «Ich würde auch gern zu solchen Treffen fahren. Aber dafür reichen unsere Ressourcen schlicht nicht.» Zehn Prozent seines Pensums darf Lütolf für die «Gasseziitig» verwenden, seine fünf Kolleginnen jeweils drei Prozent. Ausserdem erscheine die «Gasseziitig Lozärn» nur regional.

Zuletzt hat das Team gemeinsam an der dritten Ausgabe für das Jahr 2023 getüftelt. «Es gibt Zeichnungen und Comics von Klienten und einen spannenden Bericht über die offene Drogenszene», verspricht der Sozialarbeiter. Ab 6. Dezember wird sie verkauft. Damit Kaufwillige nicht auf den falschen Verkäufer hereinfallen, hat Roger Lütolf einen einfachen Tipp. «Geld nur gegen Ware», sagt er lachend. «Und keine Spenden geben.» Ein Trinkgeld sei dagegen erlaubt.

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort
  • Gespräch mit Roger Lütolf, Redaktionsleiter «Gasseziitig Lozärn»
  • zentralplus-Medienarchiv
  • Website des «International Network of Street Papers»
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