Zu Besuch im Caritas-Markt in Luzern

Armut in Luzern: Wenn das Tomatenpüree zu teuer wird

Im Caritas-Markt können Armutsbetroffene günstiger einkaufen. (Bild: ida)

Im Caritas-Markt an der Bleicherstrasse in Luzern können armutsbetroffene Menschen günstiger Lebensmittel einkaufen. Die Teuerung spüren sie im Alltag deutlich. Jetzt drohen steigende Mieten und höhere Krankenkassenprämien, die Lage noch schlimmer zu machen.

Mittwochnachmittag, kurz vor 13:30 Uhr: Obwohl der Caritas-Markt an der Bleicherstrasse seine Pforten noch nicht geöffnet hat, warten bereits die ersten Kundinnen vor dem Eingang.

Der Caritas-Markt ist der Supermarkt fürs kleine Budget. Menschen mit einer Kulturlegi-Karte können hier Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs zu stark vergünstigten Preisen kaufen.

Schweizweit gibt es 22 solche Läden. Diese haben im Jahr 2022 einen Umsatz von 16,1 Millionen Franken erzielt – ein «trauriger Rekord», wie Thomas Künzler, Geschäftsleiter der Genossenschaft Caritas-Markt festgehalten hat.

Für die steigende Nachfrage gibt es zwei Gründe. Zum einen der Ukraine-Krieg. Deutlich mehr Geflüchtete haben seither das Hilfsangebot (zentralplus berichtete) genutzt. Dann ist die Inflation gekommen.

Armutsbetroffene optimieren ihre Einkäufe

Seit dem vergangenen Sommer verzeichnen die Caritas-Märkte, die mit Spenden betrieben werden, einen starken Anstieg an Kundinnen. Es sind Menschen, die sich einen Einkauf in regulären Supermärkten nicht mehr leisten können. Das bestätigt Daniel von Holzen. Er ist Leiter der Läden und Märkte der Caritas Luzern. Die Kundinnen seien sehr preissensibel, wie er bei einem Gespräch im Laden zwischen den Regalen erzählt. «Viele optimieren ihre Einkäufe und vergleichen Preise, sodass sie einen Teil der Lebensmittel in Discountern und einen Teil in den Caritas-Märkten einkaufen.»

Profitieren würden Kundinnen in den Caritas-Märkten gerade bei Grundnahrungsmitteln wie Butter, Milch, Reis, Salz und Zucker. Diese verkaufe die Caritas deutlich günstiger, als dass sie sie eingekauft habe, so von Holzen weiter. «Wir fangen die Teuerung auf und geben sie nicht 1:1 unseren Kundinnen und Kunden weiter.»

Daniel von Holzen leitet die Caritas-Märkte der Region. (Bild: ida)

Einer, der seit rund zehn Jahren regelmässig den Caritas-Markt aufsucht, ist Remo*. Remo ist an Psychose erkrankt und erhält eine IV-Rente. Der 35-Jährige weiss genau, wo er die Willisauer-Ringli am billigsten kriegt. Seine Einkäufe erledigt er gleich in mehreren Läden – manchmal fährt er auch nach Deutschland. «Im Caritas-Markt kaufe ich vor allem gerne Äpfel und Birnen ein, weil die nicht nur günstig, sondern auch frisch sind.» Auch nutzt er Angebote wie vom gemeinnützigen Verein Windrad Luzern, der jeweils am Freitagabend Menschen am Rande der Gesellschaft einen Lunchsack gratis abgibt (zentralplus berichtete).

«Wenn das Geld jeweils knapp ist, komme ich in den Caritas-Markt.»

Caritas-Markt-Kundin

Die Inflation spürt Remo deutlich – auch Maria*, die momentan arbeitslos ist. «Wenn das Geld jeweils knapp ist, komme ich in den Caritas-Markt», sagt sie. «Denn hier kriege ich für wenig Geld mehr. Insbesondere jetzt, wo alles teurer geworden ist.»

Der Caritas-Markt an der Luzerner Bleicherstrasse. Links nebenan ist mit Caritas Wohnen das Brocki zu finden. (Bild: ida)

So viel mehr kosten Lebensmittel

Wie viel teurer der Einkauf ist, analysiert auch die «NZZ». Seit einem Jahr erhebt die Zeitung die aktuellen Lebensmittelpreise von grossen Schweizer Detailhändlern selbst. Bei über hundert Coop-Produkten konnte die «NZZ» Preissteigerungen von mehr als 20 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ausfindig machen. Grundnahrungsmittel wie Mehl, Eier und Milch wurden um rund 10 Prozent teurer. Das Tomatenpüree Passata di pomodoro der Billigmarke Coop Prix Garantie wies im Mai mit plus 64 Prozent die grösste Preissteigerung auf im Vergleich zum Vorjahresmonat. Gefolgt von Prix-Garantie-Senf und Peperoni.

«Ärmere Haushalte haben nicht so viel Spielraum, das ist das grösste Problem.»

Reto Stalder, Mediensprecher Caritas Luzern

Werden Lebensmittel teurer, ist das vor allem für ärmere Haushalte fatal. Umso mehr, da Recherchen des Westschweizer Fernsehens zeigten, dass gerade bei Günstiglinien die Preise von gewissen Produkten massiv gestiegen sind. Viel stärker als bei Markenprodukten.

Menschen kommen mit Stromrechnungen zur Caritas

Reto Stalder, Mediensprecher der Caritas Luzern, führt aus: «Wir sagen oft: Die momentan steigenden Preise führen zu einer Krise mit Ansage. Sie wird aber nicht als solche wahrgenommen, weil sie noch nicht alle Menschen erreicht hat. Viele Menschen können höhere Preise abfedern, ohne dass es im Portemonnaie allzu fest wehtut.»

Gemäss Caritas Schweiz müssen die 20 Prozent der Haushalte mit den tiefsten Einkommen fast ihr ganzes Geld für Konsumausgaben aufbringen. Dazu zählen unter anderem Wohnen, Essen, Gesundheit und Mobilität – also alltägliche Grundausgaben, bei denen man kaum sparen kann. Im durchschnittlichen Schweizer Haushalt beanspruchen diese Konsumausgaben dagegen nur etwas mehr als die Hälfte des Budgets. «Ärmere Haushalte haben nicht so viel Spielraum, das ist das grösste Problem», so Stalder.

«Es brauchte uns immer – und wird uns auch in Zukunft noch brauchen.»

Daniel von Holzen, Leiter der Läden und Märkte der Caritas Luzern

Dennoch suchen viele Armutsbetroffene nach Lösungen. Sie lehnen sich etwa Geld von einem Freund aus, um über die Runden zu kommen. Bis es effektiv nicht mehr geht – und sie unter Umständen auch Hilfe bei der Caritas suchen. «Wir spüren bereits, dass die Nachfrage bei der Sozial- und Schuldenberatung steigt. Beispielsweise suchen im Vergleich zum Vorjahr massiv mehr Menschen bei der Caritas Hilfe, weil sie ihre Stromrechnung nicht mehr selbst bezahlen können.»

Steigende Mieten: Bereits kündigt sich das nächste Problem an

Seit April geht die Inflation zwar zurück. Derzeit liegt sie bei 2,2 Prozent. «Jetzt aufzuatmen, wäre zu verfrüht», sagt Daniel von Holzen. «Wir rechnen damit, dass sich die Anzahl der Kundschaft in den Caritas-Märkten auf einem hohen Niveau einpendeln wird.»

Hinzu kommt der Referenzzinssatz, der erstmals seit 15 Jahren steigt. Zahlreiche Menschen müssen mit höheren Mieten rechnen. Und Comparis kündigte an, dass für 2024 ein durchschnittlicher Anstieg der Krankenkassenprämien um sechs Prozent erwartet wird. Das sind keine rosigen Aussichten. Denn damit steige das Risiko, dass gefährdete Menschen in die Armut abrutschen.

«Wir sind einfach da», sagt Daniel von Holzen zum Abschluss. Bald jedoch an einem neuen Standort. Denn das Brocki und der Lebensmittelmarkt der Caritas Luzern müssen in einem Jahr einer Wohnüberbauung weichen. Deswegen ist die Caritas auf der Suche nach neuen Räumen (zentralplus berichtete). «Es brauchte uns immer – und wird uns auch in Zukunft noch brauchen.»

*Hinweis: Zum Schutz der Betroffenen wurden die Namen anonymisiert.

Verwendete Quellen
  • Persönliche Gespräche mit Daniel von Holzen und Reto Stalder sowie Caritas-Kunden und -Kundinnen
  • Augenschein vor Ort
  • Mitteilung der Caritas Schweiz
  • Artikel in der «NZZ»
  • Mitteilung der Caritas Schweiz
  • Bericht von «Kassensturz»
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


6 Kommentare
  • Profilfoto von Rudolf Schweizer
    Rudolf Schweizer, 23.06.2023, 10:10 Uhr

    Gerade Gestern war ich bei einem Pöstler der den Stadt Anzeiger verteilt. Er kommt gerade über die Runden und habe ihm einen Aprikosen Kuchen vorbei gebracht, meine Schwester macht diese feinen Kuchen. Als IV Rentner habe ich immer noch meine Carrosserie die ich Seit mehreren Jahren nur noch zu 30% führen konnte, so kam ich um die EL herum. Nun aber haben sich die Probleme meiner Gelenke die einen Schaden der Blei Intoxikation erlitten haben bemerkbar. Ich muss nun mich von meiner Firma endgültig loslösen. Doch einen Nachfolger für meine Carrosserie zu finden ist sehr schwierig da in unserem Gewerbe die Schweizer Versicherungen seit 25 Jahren den freien Markt Unterwandern. Nun mache ich eine Zwischennutzung mit einer Schreib & Lernwerkstatt. Als ich nach Hause mit dem Fahrrad fuhr, machte ich spontan halt und betrat das Neue Libanesische Restaurant an der Voltastrasse. Daniel Furrer der Geschäftsführer der Caritas Luzern war auch da und hat mit seiner Frau sich ein Essen gegönnt. Ihm habe ich dann in den Rucksack meine zwei Flyer der einen für die Nachfolge und der andere für meine Zwischennutzung abgegeben. Zum Glück lebe ich seit sieben Jahren in einer Untermietwohnung für CHF 770.00, ansonsten ich auch schon lange im Caritas Laden einkaufen müsste.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Armando
    Armando, 17.06.2023, 21:07 Uhr

    In der Schweiz kosten Lebensmittel generell zuviel, nämlich mind. das Doppelte wie im benachbarten Ausland. Darum lohnt sich der Einkauf ennet der Grenze immer mehr. Mir ist auch aufgefallen, dass Grundnahrungsmittel massiv aufgeschlagen haben. Hier nur ein Beispiel: Bei Denner kostete ein Fruchtjoghurt vor einem Jahr 50 Rappen, heute sind 65 Rappen, das ist ein massiver Preisaufschlag von 30 Prozent, bei einer Inflation von 2.5 Prozent. Gerechtfertigt wäre als ein Aufschlag von höchstens 5 Rappen, damit wäre die Teuerung immer noch doppelt abgegolten. Die Grossverteiler nutzen die Situation schamlos aus, zahlen dürfen die Konsumenten.

    👍2Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
  • Profilfoto von Hansi müller
    Hansi müller, 17.06.2023, 11:59 Uhr

    So lange die Restaurant Abends in der Stadt,wenn ich heimkomme brechend voll sind und man sich ein Salätli für 20.- oder ein Bier für 8.- bestellt ist wohl Armut Ned so ein grosses Problem.

    👍1Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
  • Profilfoto von Hampi R.
    Hampi R., 17.06.2023, 09:23 Uhr

    Hauptsache, die Regierung (Politiker) erhalten – geben sich – immer mehr Lohn. Ich frage mich nur, wofür eigentlich?

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runter
  • Profilfoto von Franz
    Franz, 17.06.2023, 08:52 Uhr

    Dass Coop und mittlerweile auch die Migros viel zu hohe Preise haben, ist längst bekannt. Das steht in jeder K-Tipp-Ausgabe. Die günstigeren Alternativen heissen Denner (bedingt, aber Vorteil zentrale Lage), v.a. aber Aldi und Lidl.

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
    • Profilfoto von Armando
      Armando, 17.06.2023, 21:07 Uhr

      In der Schweiz kosten Lebensmittel generell zuviel, nämlich mind. das Doppelte wie im benachbarten Ausland. Darum lohnt sich der Einkauf ennet der Grenze immer mehr. Mir ist auch aufgefallen, dass Grundnahrungsmittel massiv aufgeschlagen haben. Hier nur ein Beispiel: Bei Denner kostete ein Fruchtjoghurt vor einem Jahr 50 Rappen, heute sind 65 Rappen, das ist ein massiver Preisaufschlag von 30 Prozent, bei einer Inflation von 2.5 Prozent. Gerechtfertigt wäre als ein Aufschlag von höchstens 5 Rappen, damit wäre die Teuerung immer noch doppelt abgegolten. Die Grossverteiler nutzen die Situation schamlos aus, zahlen dürfen die Konsumenten.

      👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon