Grosse Nachfrage auf Gratisessen in Luzern

«Drogensüchtige sind jetzt noch viel dankbarer als vorher»

Bis zu 70 Menschen suchen am Freitagabend die Stadtmission auf. Hinweis: Die Gesichter der Menschen wurden verpixelt, sodass sie nicht erkennbar sind. (Bild: zvg)

Früher hat der Verein Windrad zum Spaghettiplausch geladen – seit Corona verteilt er bedürftigen Menschen ein Lunch-Paket. Diese sind gefragter denn je.

Es waren Bilder, die man sonst nur aus Krisengebieten kennt: In Genf standen im Frühling rund 2'500 bedürftige Menschen stundenlang an, um sich einen Sack mit Nahrungsmitteln zu ergattern.

Auch in der Stadt Luzern wird kostenlos Essen verteilt. Ganz so viele Menschen wie in Genf sind es in der Zentralschweiz zwar nicht. Doch auch hier zeigt sich an jedem Freitagabend an der St. Karli-Strasse bei der Stadtmission Luzern folgendes Bild: Rund 70 Menschen stehen meterlang Schlange, um ein Lunch-Paket des gemeinnützigen Vereins Windrad Luzern abzuholen.

«Letzte Woche warteten einige bereits eineinhalb Stunden, bevor wir an der St. Karli-Strasse die Tür öffneten», erzählt Reto Siegrist, der Präsident des Vereins.

Präsident ist selbst erstaunt, dass so viele kommen

Die Mitarbeitenden von Windrad Luzern wollen Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, Zeit und gute Gedankenanstösse schenken. Entstanden ist der Verein vor über sieben Jahren. Drei ehemalige Junkies haben ihn ins Leben gerufen.

Vor Corona besuchten die Verantwortlichen einmal pro Woche die Randständigen am Busperron 2 in der Stadt Luzern. Einmal pro Monat luden sie zum Spaghetti-Essen ein.

«Es ist aussergewöhnlich, wie viele Menschen in Not sind.»

Reto Siegrist, Präsident Verein Windrad

Seit Corona hat sich das Blatt gewendet: Sie suchen nur noch einmal im Monat die Randständigen auf, dafür kommen diese einmal wöchentlich zu ihnen. Grund ist unter anderem die Abgabe eines kostenlosen Lunch-Pakets.

Siegrist ist selber erstaunt, wie rege das Angebot seit Corona genutzt wird. «Es ist aussergewöhnlich, wie viele Menschen in Not sind. Klar ist ein Teil davon auch eine selbstgemachte Not durch die Sucht nach Drogen.»

Auch warme Winterkleider sind hoch im Kurs

Kommen nun andere Menschen als früher? Siegrist verneint. Viele seien drogenabhängig. Aber die Menschen hätten sich in der Krise verändert. «Sie waren schon immer dankbar für unser Angebot. Aber jetzt sind sie noch viel dankbarer als früher.»

Neben Essen verteilt der gemeinnützige Verein auch Winterkleider, Hygieneartikel oder Migros-Gutscheine. Siegrist erzählt von einem Mann, der ein paar Schuhe anprobierte. Schuhe, die ein anderer nicht mehr wollte. «Der Mann war so glücklich über seine neuen Schuhe und strahlte über das ganze Gesicht.»

«Viele Drogensüchtige suchen jetzt Hoffnung und brauchen mehr Halt als vorher.»

Reto Siegrist

Dem Verein ist der Glaube ein wichtiges Anliegen. Siegrist sagt, dass sich jetzt mehr Menschen ein seelsorgerisches Gespräch wünschen oder das gemeinsame Gebet suchen würden. «Viele Drogensüchtige suchen jetzt Hoffnung und brauchen mehr Halt als vorher.»

Einige überlegten sich, auf die Drogen zu verzichten

Die Situation auf der Gasse habe sich inzwischen wieder fast normalisiert. Gerade während des Lockdowns sei die Situation doch sehr angespannt gewesen. Die Grenzen waren zu, der Stoff rar. Möglichkeiten, Drogen zu finanzieren, brachen ein. Viele konnten sich weniger Geld erbetteln, denn die Menschen waren auf mehr Abstand oder trugen kein Bargeld auf sich.

Der Druck stieg – gezwungenermassen. «Ich hörte im Frühling von einigen Drogensüchtigen, die mit den Drogen aufhören wollten und sich überlegten, die Krise als Chance für einen Ausstieg zu nutzen», sagt Siegrist. Viele hätten ihm erzählt, dass sie sich in der Psychiatrie in St. Urban angemeldet hätten und einen richtigen Entzug machen wollten.

Doch sobald sich die Situation soweit wieder normalisiert hatte, habe die Sucht bei den meisten Überhand gewonnen.

Doch davon lässt sich der Verein Windrad nicht unterkriegen. Er will den Menschen auf Augenhöhe begegnen, ihnen Hoffnung und Mut schenken, um einen Weg aus der Drogensucht zu finden.

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