Amnesty International kritisiert die Praxis der Staatsanwaltschaft Luzern
Heidi Joos wirft der Luzerner Polizei Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch vor, nachdem sie an einer Corona-Mahnwache festgenommen wurde. Die Staatsanwaltschaft ist diesen Vorwürfen eigenhändig nachgegangen – obwohl sie im Alltag eng mit der Polizei zusammenarbeitet. Das ist aus Sicht einer Menschenrechtsorganisation heikel.
Hat die ehemalige Kantonsrätin Heidi Joos eine Polizistin gebissen und beschimpft? Oder wurde sie im Mai an einer Corona-Mahnwache zu Unrecht brutal verhaftet? Mit diesen Fragen werden sich die Luzerner Gerichte befassen müssen.
Nachdem die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen sechs Polizisten eingestellt hat, zieht Joos den Fall nun an das Kantonsgericht weiter (zentralplus berichtete). Sie kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft blind auf die Darstellung der Luzerner Polizei vertraut – und den Fall nicht unabhängig untersucht hat.
Grosse Nähe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft
Was ist da dran? Fakt ist: Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten im Normalfall eng zusammen. Die Staatsanwältin leitet die Verfahren und ordnet beispielweise Hausdurchsuchungen an, die dann durch Polizisten vorgenommen werden. Auch Zeugenbefragungen und Ermittlungen delegiert die Staatsanwaltschaft oft an die Polizei. Es gibt kaum Fälle, in denen faktisch nicht zusammengearbeitet wird.
«Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass die Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei die Ermittlungen beeinflusst.»
Beat Gerber, Amnesty International
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International findet es daher heikel, wenn Vorwürfe gegen Polizisten von Staatsanwälten untersucht werden, die beruflich so eng mit jenen verbunden sind. «Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass die Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei die Ermittlungen beeinflusst», sagt Sprecher Beat Gerber auf Anfrage von zentralplus.
Es gebe häufig Korpsgedanken und eine grosse Hemmung, sich gegen dessen Mitglieder zu stellen. «Man kennt einander schliesslich – und daher kommt es immer wieder zu Einstellungen von Verfahren, bei denen Fragen offenbleiben.» Ob das in diesem Fall auch so ist, hat das Luzerner Kantonsgericht zu prüfen.
Ausserordentlicher Staatsanwalt im Fall Malters
Amnesty International verlangt seit 2007, dass in solchen Fällen eine unabhängige Untersuchungsinstanz beauftragt wird. In Luzern hat man das durchaus schon gemacht. Im «Fall Malters», in welchem dem Polizeikommandanten und dem Kripo-Chef eine fahrlässige Tötung vorgeworfen wurde, leitete ein ausserordentlicher Staatsanwalt aus dem Aargau das Verfahren.
«Bei solch schweren Vorwürfen gegen die Polizei ist es zentral, dass diese von einem Sonderstaatsanwalt untersucht werden.»
Beat Gerber, Sprecher von Amnesty International
Im Fall von Heidi Joos jedoch betrachtet sich Staatsanwaltschaft Luzern als «selbstständig und unabhängig» (zentralplus berichtete). Befangenheitsvorwürfen wurde in zweierlei Hinsicht Rechnung getragen:
Zum einen wurde der Fall einer Abteilung der Staatsanwaltschaft übertragen, die für Sonderdelikte aus den Bereichen Vermögens-, Betäubungsmittel- und Sexualdelikte zuständig ist. Und nicht der Staatsanwaltschaft Kriens, die sich sonst um Delikte kümmert, die in der Stadt begangen werden. Zum anderen befragte die Staatsanwältin vorliegend alle Zeugen selber. Also ohne die Luzerner Polizei einzubeziehen, wie das sonst bei Ermittlungen meistens der Fall ist.
Unabhängigkeit nimmt Vorwürfen den Wind aus den Segeln
Reicht das? Aus Sicht von Amnesty International geht es zu wenig weit, wenn ausserordentliche Staatsanwälte nur dann eingesetzt werden, wenn sich strafrechtliche Vorwürfe an das Polizeikader richten. Zwar hat die Organisation keine Detailkenntnisse zu dem Fall. «Aber für uns ist klar: Bei solch schweren Vorwürfen gegen die Polizei ist es zentral, dass diese von einem Sonderstaatsanwalt untersucht werden», sagt Beat Gerber.
Eine Auslagerung ist aus seiner Sicht besser für die Glaubwürdigkeit der Strafverfolgungsbehörden, weil der oft geäusserte Vorwurf, dass eine Untersuchung nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, von vornherein entkräftet wird. «Wenn die Untersuchung unabhängig und aus der nötigen Distanz erfolgt, wird sichergestellt, dass keine Rücksicht genommen wird auf persönliche Beziehungen oder Hierarchien.» Sprich: Wenn ein Sonderstaatsanwalt zum Schluss kommt, dass Vorwürfe weder Hand noch Fuss haben, bleibt kein Makel hängen, dass man sich gegenseitig gedeckt haben könnte.
Wer davon überzeugt ist, dass eine Untersuchung zu Unrecht eingestellt wurde, dem steht natürlich der Rechtsweg offen. Sprich, der Gang ans Kantonsgericht. Dieser ist allerdings mit einem gewissen Prozessrisiko verbunden. Heidi Joos wurden bereits für das Strafverfahren auf Stufe Staatsanwaltschaft rund 6'100 Franken Verfahrenskosten auferlegt.