«Rollentausch» in Emmenbrücke

Er Hausmann, sie Karriere: Familie Bucher lebt’s vor

Olivia und Sandro Bucher mit ihrem jüngsten Sohn Robin. (Bild: ida)

Die Familie Bucher in Emmenbrücke ist eine ganz normale Familie. Nur, dass sie es mit ihrem atypischen Familienmodell schon auf die Kinoleinwand geschafft haben. Olivia Bucher arbeitet und bringt das Geld nach Hause, Sandro Bucher kümmert sich ganztags um Kinder und Haushalt. Wir haben sie besucht.

Sandro und Olivia Bucher sitzen am Holztisch in ihrer Küche in Emmenbrücke. Vor sich eine Tasse Pfefferminztee und frische Brötchen. Ihre drei Söhne Noel, Nik und Robin setzen sich dazu, schnappen sich ein Gipfeli und zeigen – nicht ohne Stolz – die Narben und Schrammen, die sie sich zugezogen haben. Noel streckt seine linke Hand aus. Kürzlich musste er einen Finger nähen. Die Kurzfassung: Sportunterricht, Volleyballspielen, Blut und Ambulanz.

Also fast alles so, wie man sich das am Frühstückstisch einer ganz normalen Familie vorstellt. Nur dass in dieser hier eben die klassischen Rollenbilder umgekehrt wurden: Olivia Bucher (37) arbeitet und bringt das Geld nach Hause. Sandro Bucher (38) ist Hausmann und Vollzeit-Papi.

Ein Familienbild, mit dem sie es bereits auf die Kinoleinwand geschafft haben: 2020 erschien der Dokumentarfilm «Von der Rolle», in dem unterschiedliche Familienmodelle vorgestellt wurden. Üblich ist Buchers Modell noch immer nicht – in der Schweiz gehen knapp zwei von zehn Männern einer Teilzeitarbeit nach, bei Frauen sind es sechs von zehn.

«Wenn man als Mann Dinge im Haushalt erledigt, erhält man für jede noch so kleine Sache Anerkennung – viel mehr als jede Hausfrau.»

Sandro Bucher

Während Olivia Bucher sich in einer Führungsposition bei der Viva Luzern mit Zahlen herumschlägt, kümmert sich Sandro zu Hause um die drei Buben, macht die Wäsche, putzt und kocht. Bereits vor der Geburt des ersten Kindes war klar, dass sie sich die Rollen so aufteilen, weil Olivia besser verdiente als Sandro, der zuvor als Lagerist arbeitete.

Früher wurde der Vollzeit-Papi an Kindergeburtstagen als Held gefeiert

Fühlt er sich als Hausmann wertgeschätzt? «Damit habe ich kein Problem», sagt Sandro und lacht. «An Wertschätzung mangelt's dir nun wirklich nicht», ergänzt Olivia und lacht ebenfalls. «Definitiv nicht», so Sandro. «Wenn man als Mann Dinge im Haushalt erledigt, erhält man für jede noch so kleine Sache Anerkennung – viel mehr als jede Hausfrau.» Für den selbstgebackenen Kuchen beispielsweise.

«Meiner Meinung nach sollten Teilzeit-berufstätige Väter auch einen Teil der Hausarbeit übernehmen. Alles andere sind Schönwetter-Papis.»

Olivia Bucher

Mittlerweile habe sich das ein wenig eingependelt, zeitweise sei es aber extrem gewesen. «An den Kindergeburtstagen wurde Sandro als Held gefeiert», sagt Olivia. Ein Vollzeit-Papi, das war eine «Ausnahmeerscheinung». Bei Noel, dem ältesten Sohn, sei er meistens der einzige Vater gewesen, der sein Kind zur Spielgruppe brachte und wieder abholte. Beim jüngsten Buben Robin, sechs Jahre später, trifft er auf einige Teilzeit-Väter. «Aber einen anderen Vollzeit-Hausmann kenne ich auch heute immer noch nicht persönlich.»

Zwar arbeiten heute mehr Väter Teilzeit als noch vor einigen Jahren. «Aber die meisten Mütter, die einem Teilzeit-Pensum nachgehen, werden auch den grössten Teil des Haushaltes schmeissen», so Olivia Bucher. «Meiner Meinung nach sollten Teilzeit-berufstätige Väter auch einen Teil der Hausarbeit übernehmen. Alles andere sind Schönwetter-Papis.»

Berufstätige Mütter: «Ja, wer schaut denn jetzt auf die Kinder?»

Einen blöden Witz habe noch nie jemand gemacht, weder seine Kumpels von der freiwilligen Feuerwehr, wo er aktiv ist, noch seine Familie. Eher erwiderten Männer, dass sie sich auch vorstellen könnten, Vollzeit-Hausmann zu sein, das wäre «ja noch chillig». «Bis ich ihnen erzählte, was ich alles erledige. Da konterten sie, dass es wohl doch nichts für sie wäre …» Dann hat das Gegenüber vermutlich die Aufgaben und die Verantwortung unterschätzt. Andere argumentieren, dass es Einkommens-technisch wenig Sinn machen würde, weil sie mehr verdienen als ihre Partnerin.

Olivia muss sich auch heute noch immer wieder rechtfertigen. Dafür, dass sie Mutter ist und trotzdem Karriere macht. «Wer schaut denn auf die Kinder, wenn du arbeitest?» – eine Frage, mit der sie immer wieder konfrontiert wird. Auch bei der Jobsuche wurden ihr früher ähnliche Fragen gestellt. Wie: Ob sie zur Arbeit käme, auch wenn sich ein Sohn die Hand gebrochen hätte? Olivia Bucher schüttelt den Kopf. Schliesslich hat sie ihren Lebenslauf angepasst. Nun lässt er keine Fragen mehr offen, was die Kinderbetreuung anbelangt.

Das Einkommen und die Vorsorge werden halbiert

Robin klettert auf den Schoss seiner Mutter. Nik und Noel sitzen auf dem grossen Sofa im Wohnzimmer, flechten Armbänder. «An meiner Rolle als Hausmann gefällt mir am meisten, dass ich meine Arbeit und Zeit selber einteilen kann», sagt Sandro. Wenn die Buben gross genug sind, möchte er wieder einem Teilzeitpensum nachgehen. Nicht als Lagerist, sondern als Katecheten, also als Religionslehrer. Dieses Jahr hat er die entsprechende Ausbildung begonnen.

«Am Ende gehört die eine Hälfte ihm, die andere Hälfte mir. Das war und ist immer unser gemeinsames Geld. Aber ja: Das Geld wird uns irgendwann fehlen.»

Olivia Bucher

Ein Nachteil des Alleinernährerinnenmodells, so wie es das Paar Bucher kennt, ist, dass die Vorsorge auf eine Person konzentriert ist. Olivia Bucher erklärt: Wenn es die finanzielle Situation und der Arbeitgeber ermöglichten, zahlt sie mehr Geld in die Pensionskasse ein. Um die Vorsorge aufzustocken. «Unsere Vorsorge», betont Olivia Bucher. «Denn am Ende gehört die eine Hälfte ihm, die andere Hälfte mir. Das war und ist immer unser gemeinsames Geld.» Und sie fährt fort. «Aber ja: Das Geld wird uns irgendwann fehlen.» Auch wenn ihr Mann später wieder einem Teilzeitpensum nachgehen will, wird da doch eine Lücke von rund 15 Jahren sein. «Die ganze Differenz werden wir nicht aufholen können», so Olivia Bucher.

Zudem sei es ja nicht nur ein Teil der Vorsorge, der mal fehlen wird. Sondern auch der Lohn. «Andere Paare leisten sich ein teures Auto oder Ferien oder freuen sich später auf eine schöne Pension», so Olivia Bucher. Und ihr Mann ergänzt: «Unser Luxus ist es, Zeit mit den Kindern zu verbringen.»

Teilweise lastet auf Olivia aber auch Druck. «Manchmal werde ich gefragt: Belastet es dich denn nicht, wenn das ganze Einkommen auf dir lastet? Das überlege ich mir in den meisten Tagen gar nicht – ich gehe zur Arbeit und mache das gerne.»

Einblick in den «SRF»-Dokumentarfilm «Von der Rolle»:

Das Paar spricht immer wieder über die Rollenteilung

Die grösseren beiden Söhne setzen sich wieder an den Tisch, greifen erneut zu den Brötchen. Sandro erzählt, wie er tags zuvor mit Noel sein Zimmer aufgeräumt hat. Fünf Stunden lang. «Bei mir ist immer ein wenig ein Puff», sagt der 11-Jährige. «Nur heute nicht.» Und lächelt spitzbübisch. «Heute hast du deine Zimmertür sogar einen Spalt offen gelassen …», sagt seine Mutter. «Sonst muss ich sie immer zu machen …», meint dieser. Nicht, dass der Besuch noch sein Chaos sieht.

Das Paar spricht immer wieder über die Rollen- und Arbeitsteilung sowie ihre Wünsche. «Gerade du fragst mich sehr oft, ob ich noch glücklich bin», sagt Sandro und schaut Olivia an. «Ja, weil es mir auch wichtig ist, dass du dich wohl fühlst.» Könnten sie sich vorstellen, die Rollen zu tauschen? Olivia als Vollzeit-Hausfrau? Ja, antwortet diese prompt. Wenn sich ihr Mann wünschen würde, wieder voll ins Berufsleben einzusteigen. Und wäre es Sandro wohl, nicht mehr als Vollzeit-Papi, sondern als Hauptverdiener? Er überlegt lange. «Bis jetzt habe ich mit diesem Gedanken nicht gespielt. Es wäre definitiv ein Umgewöhnen.»

Doch egal, wer welchen Part in einer Familie einnimmt: Jedes Paar sollte seinen Weg finden – ohne nach links und nach rechts zu schauen. «Wir sollten versuchen, einander gegenseitig viel mehr zu unterstützen und uns nicht ständig mit anderen vergleichen oder konkurrenzieren zu wollen», sagt Olivia. Wir sollten jedes Familienmodell akzeptieren. Genauso wie jeden Vollzeit-Hausmann und jede Vollzeit-Hausfrau – die im Alltag Enormes leisten. «Gerade auch Vollzeit-Hausfrauen dürften mehr Anerkennung von der Gesellschaft bekommen, denn daran ist absolut nichts verwerflich», sagt Olivia Bucher. Wurden früher berufstätige Mütter kritisch beäugt, sind es heute Vollzeit-Hausfrauen. «Dabei gibt es keinen falschen und keinen richtigen Weg.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Dan Riesen
    Dan Riesen, 18.10.2021, 09:31 Uhr

    Cooler Artikel! Der Film kann übrigens als VOD angeschaut werden unter https://www.von-der-rolle.ch/

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  • Profilfoto von parent célibataire
    parent célibataire, 16.10.2021, 19:32 Uhr

    Da gibt es Alleinerziehende die haben die hälfte Einkommen, und leisten das doppelte. Und haben keine Plattform in der Presse, oder keine Zeit? Einfach nur peinlich diese selbst Darstellung!

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  • Profilfoto von Alois
    Alois, 16.10.2021, 12:20 Uhr

    Da krieg ich die Krise. Jammern auf hohem Neveau. Ihr Lohn, so um die 7000.00 bis 8000.00 Franken, er anschliessend als «Teilzeitarbeiter» dann so gegen 3500.00 Franken. von dem können normale Arbeiter/ Innen nur träumen. Bitte nicht Jammern!

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