Last-Minute-Einkäufe am Bahnhof Luzern

Für den vergessenen Estragon ein Bad im Menschenmeer

Die Menschenmenge vor dem Coop – sie sollte sich als Klavierpublikum entpuppen. (Bild: Leserreporter)

Am Bahnhof Luzern dürfte das Piepen der Migros- und Coop-Kassen kurz vor Heiligabend so laut sein wie lange nicht mehr. Am Abend zuvor hingegen ist es in den beiden Supermärkten fast schon besinnlich still.

Den Estragon für die Sauce béarnaise vergessen? Zum ersten Mal seit 2017 fällt der Heiligabend wieder auf einen Sonntag. Für Last-Minute-Einkäuferinnen bedeutet dies gezwungenermassen: ab ins Getümmel am Bahnhof Luzern. Denn dort haben Migros und Coop auch sonntags und an Feiertagen offen.

zentralplus begibt sich bereits am Samstagabend, als die Läden der Stadt Luzern bereits zu sind, an den Bahnhof Luzern. Die grosse Hektik – so viel sei an dieser Stelle bereits verraten –, sie bleibt aus.

40 Prozent kommen zum Shoppen und Schlemmen

SBB-Mediensprecher Reto Schärli erklärt gegenüber zentralplus, dass der Bahnhof Luzern täglich von rund 170’000 Reisenden und Passantinnen frequentiert werde. Doch nur 100’000 führen effektiv Zug.

Das heisst: Rund 70’000 Personen marschieren durch den Bahnhof hindurch, verpflegen sich mit Momos und anderem (zentralplus berichtete) – oder versuchen, kurz vor Heiligabend ein Päckchen Estragon zu ergattern.

Kein dicht an dicht: Der Bahnhof Luzern platzte am Samstagabend nicht aus allen Nähten. (Bild: Leserreporter)

Von der Seebrücke herkommend, zeichnet sich bereits bei der Rolltreppe in den Schlund des Bahnhofs ab, dass dieser am Samstagabend keine Besucherrekorde knacken wird. Die Suche nach dem Estragon kann also in aller Entspanntheit losgehen.

Koriander-Hype am Bahnhof Luzern

Den ersten Stopp macht zentralplus in der Migros. Vom Estragon im Kräuterbereich keine Spur. Dafür mehrere Reihen Koriander. Duftet es in Luzerns Wohnungen heuer nach Currysaucen und Basmatireis statt nach Sauce béarnaise mit Rindsfilet?

Zugegebenermassen ist die Migros-Filiale um einiges kleiner als die Coop-Filiale. Dort sollte es also besser stehen um die Erfolgschancen. Tatsächlich verdichtet sich das Personenaufkommen vor dem Bahnhofs-Coop. Doch das hat nicht etwa mit dem Estragon-Angebot zu tun. Sondern dem Klavier, das von zwei jungen Herren bespielt wird.

Das Publikum lauscht dem Popsong andächtig – und belohnt das Duo mit warmem Applaus. Der vorweihnachtliche Kitsch vermag dem Bahnhof seine kühle Atmosphäre aber nicht zu nehmen.

Auch im Coop kein Estragon

Das musikalische Intermezzo lässt die Estragon-Sorgen kurz verfallen. Doch mehr als ein Lied liegt nicht drin. Ab in den Coop. Dort befinden sich die Kräuter nahe beim Eingang. Die Ordnung ist nicht mehr so perfekt, wie sie wohl zu Tagesbeginn noch war.

Viele Luzernerinnen feiern heuer wohl Weihnachten ohne Estragon. (Bild: Leserreporter)

Ein letzter Pack Koriander hängt im Kühlregal. Doch den Estragon sucht man vergeblich. So deutet auch kein Schildchen darauf hin, dass hier mal Estragon hing. Dabei hat zentralplus bei Coop extra nachgefragt, ob es ein Sicherheitskonzept gebe für den Fall, dass sich am Samstagabend und am Sonntag die Kundschaft kollektiv auf den Estragon stürzen würde.

Hochfrequenzstelle im Bahnhofs-UG

Die Antwort der Coop-Mediensprecherin Stefania Telesca: «Wir überlegen uns aktuell, den Estragon im Aussenbereich aufzustellen.» Doch im Aussenbereich gibts nur Klaviermusik. «Spass beiseite», löst Telesca den Scherz denn auch auf, «als Hochfrequenzverkaufsstelle ist der Supermarkt im Bahnhof Luzern bestens für die Feiertage gerüstet.»

Der Bahnhof Luzern sei ein sehr wichtiger Standort für Coop. Wie umsatzstark die Filiale sei, will Telesca nicht verraten. Hingegen weist folgende Aussage daraufhin, dass die Tage der Sauce béarnaise gezählt sein könnten: «Die Lagerbestände werden den Bedürfnissen der Kundschaft laufend angepasst.» Hat der Bahnhofs-Coop den Estragon mangels Nachfrage aus dem Sortiment gestrichen?

«Estragon? Was ist das?»

zentralplus fragt an der Kasse nach. «Estragon? Was ist das?», antwortet der Mitarbeiter, der dafür zuständig ist, dass bei den Kassen kein Stau entsteht. «Es ist nur das da, was da ist. Sorry.»

Der Coop-Kasseneinweiser konnte zentralplus bei der Suche nach dem Estragon auch nicht weiterhelfen. Dabei wäre die Schlange für einmal so kurz gewesen. (Bild: Leserreporter)

Etwas frustriert werden die Sauce-béarnaise-Pläne verworfen. Stattdessen gibt es eine Portion Momos und etwas Gratis-Livemusik. Inzwischen klimpert es etwas klassischer zu den Imbisstischchen herüber. Dafür entspricht die Chilisauce, die zu den Momos gereicht wird, ganz und gar dem kulinarisch-exotischen Weihnachtstrend. Grün der Tannenbaum – und grün der Koriander.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Reto Schärli, Mediensprecher der SBB
  • Schriftlicher Austausch mit Stefania Telesca, Mediensprecherin von Coop
  • Eigenhändige Suche nach Estragon am Bahnhof Luzern
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