Buchhandel spürt nach Corona wieder Aufwind

Grosshändler macht sich in Zug breit und verdrängt Kleine

Bücher Balmer steht seit 2008 in der Zuger Neustadt. Schlecht geht es der Buchhandlung nicht. (Bild: zvg)

Die Stadt Zug wird um eine Buchhandlung reicher. Grund für Buchfreunde zum Jubeln? Nicht unbedingt. Denn eine andere, langjährige Buchhandlung verschwindet bald. Klar ist: Die Branche steht im Wandel. Und das nicht erst seit gestern.

Orell Füssli (OF) will in Zug noch stärker Fuss fassen. Bereits vor rund zwei Jahren ist eine 210 Quadratmeter grosse Filiale in der Zuger Einkaufsallee eingezogen. Nun soll in einem Jahr ein weiterer Standort im Bahnhof Zug eröffnet werden.

Diese soll zwar mit 60 Quadratmetern überschaubar bleiben, doch hält sie zwei besondere Trümpfe in der Hand: Zum einen liegt sie so zentral, wie es überhaupt geht. Zum anderen dürften auch die Öffnungszeiten – inklusive Sonntagsverkauf – unschlagbar sein. Die Orell Füssli Thalia AG ist derzeit mit 58 Standorten in der Deutschschweiz vertreten.

Orell Füssli hat Bahnhöfe entdeckt

Auf Anfrage von zentralplus sagt Alfredo Schilirò, Kommunikationsbeauftragter der Orell Füssli Thalia AG: «Der Hauptbahnhof Zug, einer der zehn grössten in der Schweiz, wird täglich von etwa 70’000 Menschen genutzt. Bei Eröffnungen von neuen Filialen setzen wir besonders auf Standorte mit hohem Besucheraufkommen, zu denen der Bahnhof Zug zweifellos gehört.»

Neben wirtschaftlichen Aspekten würden solche Orte dabei helfen, Bücher für ein grosses Publikum zugänglich zu machen und die Diskussion über Literatur anzuregen. «Die Filiale im HB Zug, die für den Herbst 2024 geplant ist, deckt zudem eine andere Zielgruppe von Orell-Füssli-Kunden ab als diejenige des Einkaufszentrums Metalli», so Schilirò weiter.

Geschäft in der Buchhandlung im Metalli laufe gut

Mit der Entwicklung letzterer sei man sehr zufrieden, erklärt der Medienverantwortliche weiter. «Konsumenten möchten nicht mehr nur einkaufen, sondern sehen Shopping Malls vermehrt auch als Treffpunkte, die zusätzliche Angebote bieten.» Gemäss Schilirò bieten ihre Buchhandlungen nebst Beratungen und Büchern für alle Altersklassen auch Papeterie- und Geschenkartikel und seien damit ein Ort zum Stöbern und Sich-Treffen. Damit erfülle man ein Bedürfnis der Kundinnen, die ein Einkaufszentrum besuchen.

Am neuen Standort plant Orell Füssli ein «vielfältiges Buch- und Zusatzsortiment sowie kompetente Beratung und ein zeitgemässes Ladenkonzept». Dies werde durch Verknüpfungen mit den Online-Services der Buchhandelskette ergänzt. «Online-Buchung, Abholung vor Ort oder Zustellung nach Hause gehen Hand in Hand mit weiteren digitalen Angeboten. Ein spezieller Bereich wird zudem exklusiv eBooks und den unterschiedlichen tolino eReadern gewidmet sein, ideal für unterwegs und auf Reisen», sagt Schilirò weiter.

OF-Filiale sei «erstaunlich wenig spürbar» für Bücher Balmer

Zum Aufmarsch des Buchgiganten in Zug äussert man sich beim Buchhaus, zu welchem auch die Buchhandlung Balmer gehört, nicht. David Bucher, Marketingleiter der Lüthy + Stocker AG, sagt auf Anfrage: «Die Strategie von anderen Unternehmen kommentieren wir grundsätzlich nicht, wir sind in der freien Marktwirtschaft und die SBB kann die Flächen nach eigenem Gutdünken vermieten. Grundsätzlich ist jede Buchhandlung eine Bereicherung für eine Stadt.»

«Wir haben glücklicherweise festgestellt, dass unsere Kunden uns sehr treu sind.»

David Bucher, Marketingleiter der Lüthy + Stocker AG

Von der Buchhandlung Balmer bis ins Metalli sind es zu Fuss keine zehn Minuten. Dennoch beteuert Bucher, dass der Einzug von Orell Füssli im Metalli «erstaunlich wenig spürbar» gewesen sei. «Wir haben glücklicherweise festgestellt, dass unsere Kunden unser grosses Angebot auf drei Stockwerken und den persönlichen Service sehr schätzen und uns sehr treu sind.»

Trotzdem sei die Buchhandlung natürlich gefordert, ihr Angebot laufend anzupassen und zu verbessern. «Wir haben daher auch verschiedene Abteilungen wie Manga/Comics und Papeterie ausgebaut und setzen auf Veranstaltungen mit wichtigen lokalen Autorinnen.»

Susanne Giger nimmt es gelassen

Die Buchhändlerin Susanne Giger, die an der St.-Oswalds-Gasse eine kleine Buchhandlung führt, äussert sich wie folgt zum Expansionskurs von Orell Füssli: «Ein Geschäft am Bahnhof wird wohl allein aufgrund der Lage und der langen Öffnungszeiten funktionieren. Da können alle anderen Buchhandlungen natürlich nicht mithalten.» Giger weiter: «Es fragt sich jedoch, ob es sich dabei eher um eine Buchverkaufsstelle oder eine tatsächliche Buchhandlung mit ausgebildeten Buchhändlerinnen handeln wird, welche auch beraten und recherchieren.»

Susanne Giger blickt entspannt auf die Pläne von Orell Füssli. Dies aus einem einfachen Grund. Die Buchhändlerin schliesst ihr Geschäft per Ende Dezember (zentralplus berichtete).

Die Zugerin, die seit 30 Jahren ein eigenes Geschäft führt, zunächst an der Schmidgasse, seit 2016 in der Altstadt, erzählt, wie sie die Veränderung in der Branche erlebte: «Einschneidend war für mich der Fall der Buchpreisbindung 2007.» Wenig später, nämlich 2008, zog der Bücher Balmer von der Neugasse an die Rigistrasse, gleich neben dem Bundesplatz. «Das spürte ich sehr, denn alle, die auf dem Weg in meine Richtung waren, kamen zuerst am neuen Balmer vorbei. Früher war es umgekehrt», sagt Giger.

Dies sei einer der Gründe gewesen, warum Susanne Giger den Laden an der Schmidgasse schliesslich aufgab. «Auch das Aufkommen von eBooks brachte Veränderungen mit sich.»

«Ich bin froh, dass ich nun zuschauen kann, wie es in der Zuger Buchhandelslandschaft weitergeht, ohne selber Angst zu haben.»

Susanne Giger, langjährige selbständige Buchhändlerin

Auf die Frage, was es wohl brauche, um in der heutigen Zeit eine keine Buchhandlung erfolgreich führen zu können, sagt sie: «Von Vorteil ist es sicher, wenn das eine jüngere Person macht, die andere Menschen ihrer Generation zu begeistern vermag. Auch hilft es sicher, wenn man auf den sozialen Medien unterwegs ist. Das ist weniger mein Ding.» Ihr Fazit über die Pläne von Orell Füssli im Bahnhof Zug: «Ich bin froh, dass ich nun zuschauen kann, wie es in der Zuger Buchhandelslandschaft weitergeht, ohne selber Angst zu haben um mein Geschäft.»

Lesen steht in Konkurrenz mit anderen Freizeitaktivitäten

Während die Kleinbuchhändlerin die stärkere Präsenz von Bücher Balmer stark zu spüren bekam, beschreiben grössere Buchhandlungen respektive Buchhandelsketten den Wandel der Branche anders. «Das Buch steht vermehrt in Konkurrenz mit anderen Freizeitaktivitäten», meint David Bucher von Lüthy + Stocker AG, «die aber teilweise auch wieder zu mehr Buchverkäufen führen», etwa aufgrund von Netflixserien.

Eine weitere Beobachtung: «Zudem wollen engagierte Eltern ihren Kindern das Medium Buch ans Herz legen und damit das Tor zur eigenen Fantasie aufstossen und die Bildschirmzeit möglichst reduzieren.»

Seit Corona habe die Attraktivität des Buchs wieder zugenommen, hält Bucher fest. «Bis heute hält diese Lese-Euphorie an und hat auch neue Kreise gezogen. Mittlerweile hat zum Beispiel Booktok dazu geführt, dass auch ein jüngeres Publikum das Buch und die Buchhandlung wieder neu entdeckt», so der Marketingleiter der Lüthy + Stocker AG.

Orell Füssli Thalia spricht von gemässigtem Wachstum

Ins selbe Horn bläst Orell Füssli Thalia. «Wir registrieren seit einigen Jahren wieder ein gemässigtes Wachstum in der Buchbranche, nachdem der Buchmarkt generell zwischenzeitlich stark gelitten hatte.» Orell Füssli Thalia habe in diesen herausfordernden Jahren gut gearbeitet und seine Strategie, sich als Omnichannel-Anbieter im Schweizer Buchhandel zu positionieren, konsequent umgesetzt, heisst es weiter. «Wir investieren in den Markt mit vielen neuen Buchhandlungen, die wir neu eröffnen oder übernehmen. Wir glauben auch an den stationären Offline-Handel», schreibt Alfredo Schilirò.

Auch bei Orell Füssli Thalia spürt man seit 2020 einen Trend. «Die Onlinebestellungen haben sich bei Orell Füssli während der Coronapandemie und auch danach stark nach oben entwickelt. Diese Tendenz hält an und zeigt weiterhin nach oben.» Der Online-Vertriebskanal werde in Zukunft weiter wachsen und an Bedeutung gewinnen – auch für Orell Füssli, so der Medienverantwortliche.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit David Bucher von Lüthy + Stocker AG
  • Schriftlicher Austausch mit Alfredo Schilirò von Orell Füssli
  • Mündlicher Austausch mit Susanne Giger
  • Medienmitteilung von Orell Füssli
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1 Kommentar
  • Profilfoto von MARIO P. HERMANN
    MARIO P. HERMANN, 20.08.2023, 00:43 Uhr

    Die Buchhandlungen sind in der Tat wieder im Aufwind — auch dank der langen, hartnäckigen Pandemiezeit…!
    Gewissen Unternehmen, auch im Detailhandel, bescherte Corona teilweise Umsatzrekord! Hunderttausende blieben in dieser Zeit länger zu Hause in den vier Wänden, kochten daheim UND lasen zum Zeitvertreib ein oder mehrere Bücher…!
    Auch ich suche die grosse, mehrstöckige Buchhandlung (neben NewYorker) in Zug immer auf und werde dort auf den Etagen immer fündig! Dass jetzt noch eine weitere Buchhandlung neu eröffnen wird in Zug, verwundert mich daher nicht.
    Die Buchhandlungen mussten VOR der Pandemie längere Zeit «unten durch»; Bücher lesen war nicht mehr so im Trend…Und jetzt blüht dieser Markt wieder richtig auf, was ich sehr gut finde.
    Vermehrt sollten aber auch wieder junge Leute (Primarschule bis Teenager) in der Freizeit ein BUCH in die Hand nehmen; anstatt stets auf’s Tablet, Handy oder den PC zu starren…
    Also, auf geht’s in den Bücherladen — Viel Spass!

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