Eltern
Blog
Wenn es alle besser wissen

Die Herausforderung einer frisch gebackenen Familie

Vereinbarkeit von Familie und Arbeit: Dahinter steckt viel mehr als nur gute Organisation und ein perfekter Zeitplan. Dass dabei auch die Gefühle mitspielen, musste ich erst lernen.

Neulich hat mich eine Freundin gefragt, ob ich und mein Mann vor der Geburt unserer Tochter das Gespräch hatten. Das Gespräch? Natürlich hatten wir viele Gespräche geführt. Über den Namen, den bevorstehenden Kaiserschnitt, das Kinderzimmer, das Windelabo. Endlos viele Gespräche hatten wir geführt, tausend Fragen gestellt und zehntausend beantwortet. Aber DAS Gespräch? «Welches Gespräch?», fragte ich. «Na, das über die Aufteilung», war die Antwort. Ach dieses Gespräch.

Ja, das hatten wir tatsächlich geführt. Etwa im fünften Monat, nach der Kita-Anmeldung unseres ungeborenen Kindes. (Total absurd übrigens, das eigene Kind abzugeben, bevor es überhaupt da ist). Wir hatten uns damals diverse Fragen gestellt, unter anderem:

  • Wie machen wir das denn?
  • Wer arbeitet wann und wie viel?
  • Wann geht die Kleine in die Kita und wer holt sie ab?

Ungeplante Emotionen

Für uns war das im ersten Moment gar nicht so eine komplizierte Sache. Reine Organisation. Montag und Dienstag Kita, Mittwoch und Freitag Mama, Donnerstag Papa. Die Grosseltern helfen beim Abholen in der Kita oder mal am Wochenende aus. So einfach.

Anders sah die Sache auf meiner Gefühlsebene aus. Dort stellte ich mir viele Fragen, die schwer auf mir lasteten. Ist es denn okay, wenn ich arbeiten gehe? Ist 70 Prozent zu viel oder zu wenig? Ist sie mit fünf Monaten nicht noch zu klein für die Kita? So einfach das Gespräch im ersten Moment schien, es endete in Tränen. Nicht, weil irgendetwas bei der Planung nicht aufgegangen wäre, sondern wegen meiner kompletten emotionalen Überforderung. Ich hatte meine «Mamagefühle» eben erst kennengelernt und wusste noch überhaupt nicht, wie ich diese bewältigen kann. Mein herzallerliebster Mann beruhigte mich daraufhin und so liess ich erst einmal einfach alles geschehen und auf mich zukommen.

Ungewollte Fremdbeurteilungen

Machen wir einen Sprung zur Kita-Eingewöhnung. Es war der Horror. Nicht für meine Tochter, aber für mich. Sie abzugeben, war fürchterlich und ich fühlte mich schrecklicher als je zuvor. Ich wollte sie am liebsten 24 Stunden bei mir haben, behüten und nonstop mit Liebe überschütten. Ich hatte die Befürchtung, dass unsere Bindung nicht stark genug sei, dass sie sich ungeliebt und abgeschoben fühlen würde. Und natürlich war ich voller Sorge, dass ihr etwas passieren könnte.

Die Welt ist so gefährlich und wäre sie nicht am sichersten in meinen Armen? Heute weiss ich, dass das ein Trugschluss ist. Aber damals war mir das noch nicht klar. Ich hab mal gelesen, dass Elternsein bedeutet, mit der Erziehung ein Boot zu bauen, womit das Kind dann einmal wegsegeln kann. Wie pathetisch.

Zurück zur Kita. Die Eingewöhnung lief wunderbar, die Kita war und ist fantastisch, das Kind glücklich. Und ich? Ich fasste immer mehr Vertrauen und Mut und redete mir bezüglich meines Arbeitspensums gut zu. Und siehe da: Ich ging gerne zurück zur Arbeit und genoss die Mittagspausen ohne Kind in vollen Zügen. Aber mit jedem dieser Momente kam auch das schlechte Gewissen zurück. Ich kämpfte dagegen an.

Dabei war es wenig hilfreich, dass ich Aussagen begegnete wie «Was? 70 Prozent? Ist das nicht etwas viel?», «Also mit fünf Monaten will ein Kind schon am liebsten bei der Mutter sein» oder «Reichen dir denn zwei Tage mit deiner Tochter?». Als ob das Wochenende nicht zählen würde und Quantität wichtiger als Qualität wäre. Alle, die diese Situation kennen, verstehen mich, oder? Ihr Mütter und Väter, die das Beste für eure Kinder wollt. Und für euch. Und die Familie. Wir tun, was wir können.

Unsensible Gesellschaft

Seit zwei Jahren funktioniert unser Alltag perfekt. Natürlich gibt es immer wieder Stolpersteine. Eine Grippewelle zum Beispiel. Da stehen wir manchmal vor scheinbar unlösbaren Arbeits- und Betreuungsproblemen. Es stresst. Total. Aber irgendwie kriegen wir es immer hin. Und das macht mich sehr glücklich. Unser Modell, welches wir vor vielen Monaten besprochen hatten, mein Mann und ich, es geht auf. Es passt. Es stimmt für uns alle drei.

Dennoch habe ich in den letzten zwei Jahren gelernt, dass in der Gesellschaft noch nicht angekommen ist, zu akzeptieren, dass jede Familiengestaltung individuell sein darf. Immer wieder bekomme ich Kritik für mein Arbeitspensum und immer wieder höre ich, wie toll es ist, dass mein Mann einen Tag zu Hause bleibt. «Oooh, er macht einen Papitag? Das ist einfach super von ihm.» Natürlich ist es das. Und von mir doch auch, oder?

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mit uns Müttern und Vätern mitwächst. Dass sie akzeptiert und nicht wertet. Dass sie die Unsicherheiten und das schlechte Gewissen beruhigt und es nicht befeuert. Und ich? Ich lerne weiter, mich gegen ausserfamiliäre Kritik abzugrenzen. Ich lerne, darauf zu vertrauen, dass es gut ist, was wir tun und wie wir unsere Familie gestalten. Und jedes Mal, wenn ich meine Tochter lachend aus der Kita oder von den Grosseltern abhole oder sie zu Hause zufrieden spielt, dann blüht mein Herz auf und die Zweifel verschwinden für einen Augenblick.

Eltern
Blog
Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Lorena
    Lorena, 17.03.2024, 20:54 Uhr

    Hallo, ich arbeite auch 70% und bin stolz darauf. Mir war es bei unserem ersten Kind wichtig, dass er soziale Kontakte und Regeln lernt, welche er nur unter Erwachsenen nicht lernen konnte. Mit komischen Fragen musste ich auch umgehen. Aber mir tut die Arbeit gut, es ist ein Ausgleich und dieser kommt meinen Kindern auch wieder zu gute. Denn, ich bin überzeugt, nur glückliche Eltern, können gute Eltern sein. Wir überlegen uns sogar unser Modell von 70 zu 90 auf 80 und 80 anzupassen da wir nahezu den selben Lohn haben. Früher wäre dies nicht möglich gewesen da ich trotz des selben Berufes weniger als mein Mann verdient habe. Erst seit dem wir den selben Lohn haben war es mir möglich mein Pensum anzupassen. Meine Kinder geniessen sowohl die Mama wie auch die Papa Tage, da wir sie unterschiendlich gestalten. Mit dem Kindergarten kommt eine neue Etappe und es muss wieder einiges angepasst werden, mal sehen wie wir uns schlagen…

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon