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Erziehen oder begleiten – mit und ohne Drama

«Also mein Kind würde ich nicht so erziehen!»

Ein Kind zu begleiten heisst auch, Kompromisse zu finden. (Bild: pexels)

Seit einigen Jahren wird der Erziehungsstil immer weniger streng. Kinder setzen sich durch, machen, was sie wollen und die Eltern haben keine Lust zu erziehen. Zumindest macht es den Anschein. Eltern-Bloggerin Samira erklärt ihre Sicht der Dinge.

Es ist gar nicht mal so lange her, da hatte ich noch keine Kinder. Erziehung war also kein Thema für mich. Trotzdem gab es Situationen beim Einkaufen oder im Restaurant, die ich kritisch beobachtete. Immer mit dem Gedanken: «Mein Kind würde ich nicht so erziehen», oder: «Bei mir gäbe es so was nicht.»

Ganz ehrlich? Das war naiv und definitiv nicht gerechtfertigt. Denn ich befand mich weder in dieser Situation mit dem Kind noch wusste ich Bescheid über das, was zuvor schon geschehen war. Aber so sind wir Menschen. Wir sehen eine Momentaufnahme und urteilen darüber. Was also hat sich geändert?

Der Mythos «weinen lassen»

Ich bin jetzt Mama von 2 Kindern. Um genau zu sein: ein Baby und ein Kleinkind. Beim Baby ist noch nicht viel mit Erziehung. Eher ist es eine Herausforderung, wie man selbst mit Situationen umgeht, zum Beispiel, wenn Baby weint. Die Kleinen weinen, um ihre Bedürfnisse auszudrücken. Ich bin der Meinung, dass man Babys nicht weinen lassen soll, damit sie lernen, wie man früher dachte.

Meine Kinder weinen sich nicht in den Schlaf. Und auch bei der Autofahrt halte ich an, wenn die Kleine schreit und es ihr nicht mehr wohl ist. Aber das ist meine Art, mit ihren Bedürfnissen umzugehen. Klar dachte ich vorher auch nicht, dass ich jeden Abend eine Stunde mit den Kindern im Bett liege, bis sie schlafen, aber im Moment stimmt das so für mich.

Der Teufelskreis mit den Grenzen

Aber es gibt auch Dinge, die ich damals abgelehnt habe und auch heute als Mama immer noch ablehne. Situationen, die ich beobachtet habe und die für mich einfach falsch waren. Hierzu ein kleines Beispiel: Das Kind beginnt eine Szene beim Einkaufen zu machen, weil die Mutter «nein» zum Kauf der Gummibärli gesagt hat. Irgendwann gibt die Mutter dann doch nach mit dem Satz: «Aber die essen wir erst zu Hause.» Kaum bezahlt, ist die Packung offen und die Mutter lässt das Kind gewähren.

Warum ich ein solches Verhalten kritisiere? Kinder suchen immer Grenzen, um zu wissen, in welchem Rahmen sie sich bewegen können. Das gibt ihnen Sicherheit. In dieser Situation aber überschreitet das Kind die Grenzen der Mutter, es verliert also auch die Sicherheit der Mutter-Kind-Beziehung. Es wird immer wieder solche Grenzen überschreiten, die Mutter kann irgendwann gar nicht mehr nein sagen. Das Kind verliert immer mehr den Boden.

Erziehen oder Begleiten?

Für mich gibt es da einen grossen Unterschied. Erziehen, das Wort erklärt sich quasi von selbst. Etwas oder jemanden in die Richtung ziehen oder drücken, die mir passt. Um meine Sichtweise besser zu erklären, gehen wir schrittweise zurück. In meiner Kindheit gab es viel Schönes, aber ich habe auch oft gelitten. Meine Eltern gaben ihr Bestes und ich bin ihnen zutiefst dankbar für alle die Jahre.

Aber ich werde meine Kinder nicht so behandeln, wie Kinder aus meiner Generation behandelt wurden. Denn wie viele aus meiner Generation wurden beschimpft und geschlagen. Mussten oft körperliche und verbale Gewalt ertragen. Und das war damals leider absolut okay. Doch gehen wir noch einen Schritt zurück.

Das schwere Los unserer Eltern

Wie wurden denn meine Eltern als Kinder behandelt? Auch sie litten unter verbaler und körperlicher Gewalt. Nicht nur von ihren Eltern. Es war Sitte, dass auch Lehrpersonen zum Stock griffen oder dass sie die Kinder vor der ganzen Klasse beschämten. So geht es weiter. Meine Grosseltern durften sich keine Fehler erlauben, als Mädchen hatte man nichts zu sagen und wer nicht gut arbeitete, bekam nichts zu essen.

Was also zeigt uns das? In der meisten Zeit geht man mit den eigenen Kindern lockerer und liebevoller um, als man es vielleicht selbst erfahren hat. Kommt man aber in eine schwierige Situation, greift man auf das zurück, was man gelernt hat. Man kann irgendwie gar nicht anders. Und doch geht es.

Wir haben beide einen starken Willen

Ich bin definitiv keine Vorzeigemama, aber ich gebe mein Bestes, für die Kinder da zu sein und sie zu begleiten. Was bedeutet das nun konkret? Es gibt Situationen, in denen mein Sohn mich provoziert, bis ich nicht mehr kann. Instinktiv werde ich lauter, möchte, dass er aufhört mit dem, was er tut. Ich möchte also meinen Willen durchsetzen. Logisch, denn ich bin erwachsen und habe das Sagen, er ist das Kind und hat zu folgen.

Und genau da fängt das Umdenken an. Denn ich bin ein Mensch und er genauso. Ich habe einen Willen und er genauso. Ich reagiere mit Laut-Werden und bleibe stur und er genauso. Denn Kinder kopieren unser Verhalten und lernen nicht durch Schreien. Ich verlasse dann die Situation, um durchzuatmen, mich zu sammeln. Nehme mein Kind auf Augenhöhe wahr und versuche, mit ihm einen Kompromiss zu finden. Er lernt so, dass man mit Diskussionen ans Ziel kommt. Schreien hilft niemandem.

Muss Drama denn sein?

Kürzlich erlebten wir folgende Situation: Wir möchten gehen, sind spät dran, was zu Stress führt. Mein Sohn möchte sich nicht anziehen, sondern lieber noch weiter spielen. Er kann oder will mir gar nicht zuhören. Ich werde lauter, er fängt an, provokativ die Socken auszuziehen. Ich werde noch lauter versuche ihn zum Anziehen zu bewegen. Klar, wäre es einfacher, ihn zu ignorieren, unter Geschrei die Jacke und Schuhe anzuziehen. Irgendwann beim zehnten Versuch würde er folgen und machen, was ich will.

Doch genau das will ich nicht, denn dann macht er es nicht selbstständig aus freien Stücken, sondern aus Angst, dass ich ihn wieder packe und zwinge. Also erkläre ich ihm, dass er später, wenn wir zurückkommen, weiterspielen kann, wir aber jetzt gehen müssen. Ich gehe zur Tür und warte. Er weiss, dass wir nun gehen, weiss aber auch, dass ich auf ihn warte, bis er bereit ist.

Da er immer noch spielt, sage ich ihm, dass ich Schuhe und Jacke bereits mitnehme und beim Auto auf ihn warte. Nach kurzer Zeit kommt er, zieht sich an und die Sache ist erledigt. Auf keinen Fall werde ich ihm sagen: «Gut, du bleibst da, ich gehe ohne dich.» Denn zum einen ist das eine Lüge und zum anderen setze ich ihn unter Druck, um mir zu gehorchen, ich mache ihm sogar Angst.

Ich entscheide nicht alleine

Gibt es Uneinigkeit? Ja, die gibt es. Bei mir und meinem Partner zwar selten, aber durchaus kommt es vor, dass wir anderer Meinung sind. Auch für uns ist es gerade neu mit der Erziehung. Unser Sohn wird bald drei Jahre alt. Da müssen wir mittlerweile gut aufpassen, was wir sagen oder versprechen. Wenn es dumm läuft, sagt der eine nein und der andere ja zu ein und derselben Sache.

Das Kind ist verwirrt und weiss nicht, was denn nun gilt. Damit es Klarheit gibt, müssen mein Partner und ich uns absprechen. Wenn ich also nicht sicher bin, wie wir es handhaben möchten, spreche ich mit meinem Partner darüber, oft im Beisein unseres Sohnes. So kann er auch etwas zur Diskussion beitragen und sieht uns dabei, wie wir uns einig werden und als «eins» agieren.

Wie bereits erwähnt: Kinder lernen durch Kopieren. Und wenn wir ihnen von Anfang an zeigen, dass ihre Meinung zählt und gehört wird, werden sie später für sich einstehen können, so wie andere Meinungen anhören. Ich denke also ja, die Erziehung wird immer weniger streng, zum Glück! Denn mit bestrafen, schreien oder gar schlagen ist niemandem geholfen. Aber begleiten ist dafür umso anstrengender für uns Eltern.


Und du? Wie machst du es mit der Erziehung und Begleitung deiner Kinder?

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Manuel
    Manuel, 15.01.2024, 16:09 Uhr

    Naja, also zwischen körperlicher Züchtigung und der aktuell en voguen bedürfnisgerechten Erziehung – was nichts anderes als ein Euphemismus für «Kind-bestimmte-Erziehung» ist – gibt es schon noch Nuancen. Aber mit der verpassten, elterlichen Erziehung darf sich ja dann später (meist) die Schule, resp. die Primarlehrerin, Heilpädagogin, Logopädin, Bewegungstherapeutin und die Rhythmikbeauftragte der Schule herumschlagen.

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