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Wenn die Sträggele die arbeitsscheue Tochter holt

Das Wilde Heer zieht durchs Zugerland

Wegkreuze sollen Menschen vor dem Türst warnen und schützen. (Bild: Maria Greco)

Zu genau bestimmten Zeiten im Winter zieht der Schwarze Türst, der Anführer der Totenzüge, umher. Begleitet wird er von symbolträchtigen Figuren und Wesen wie seinen schwarzen Hunden, der Pfaffenkellnerin oder der in Zug und Luzern bekannten Sträggele. Was es mit dieser Sage auf sich hat, weiss Maria Greco.

Im gesamten Alpenraum werden zur Winterzeit archaische Bräuche gelebt. Die Wintergeister und Dämonen werden meist mit viel Lärm und Glockengeläut vertrieben, wie beim Klausjagen oder an Silvester mit Feuerwerken. Diese Traditionen, die ihren Ursprung in vorchristlicher Zeit und zum Teil in der germanischen oder nordischen Mythologie haben, sind Teil unseres gelebten Brauchtums.

Im Volksglauben galt die Vorstellung, dass die Winterstürme die ruhelosen Seelen der Verstorbenen waren. Als «Wildes Heer» oder auch «Wuotis Heer» (Wodans Heer) jagen sie zu bestimmten Zeiten auf der Erde über die Felder und durch Wälder. Ihr Anführer ist der Schwarze Türst, der als ewiger Jäger oder Herr der Toten eine bekannte Sagenfigur ist. Insbesondere im Luzerner Hinterland sind die Erzählungen über den Türst, den «höllischen Meister», und seine Geliebte, die Sträggele, weit verbreitet.

Ein grausames Schicksal

Vielerorts war es vorwiegend während der Fronfastentage – Mittwoch, Freitag und Samstag nach St. Luzia (13. Dezember) – und während der Raunächte – zwischen Thomastag (21. Dezember) und Dreikönigstag – Brauch, die Tenntore der Scheunen offen zu lassen, damit das Wilde Heer freien Durchgang hatte. Dem Schwarzen Türst und seinem Wilden Heer darf man sich nicht in den Weg stellen, sonst ereilt einen ein schreckliches Schicksal.

Seiner Aufforderung «Drei Schritt uswäg, drei Schritt uswäg» ist unbedingt Folge zu leisten. Wer sich ihm entgegenstellt, wird grausam in der Luft zerfetzt und muss sich dem Geisterzug anschliessen.

Schutzmassnahme Wegkreuz

Auf einem Spaziergang lassen sich vielerorts Flur- oder Wegkreuze entdecken. Diese stehen nicht willkürlich an diesen Orten. Die Kreuze erinnern an spezielle Ereignisse, an Unfälle oder Verbrechen. Oft stehen sie an Wegkreuzungen. Dort, so heisst es, bieten sie den Reisenden Schutz. An solchen Orten kreuzen sich auch die Wege der Menschen mit denen der Geisterzüge.

Eine furchteinflössende Sage

Zum Gefolge des Schwarzen Türst gehören auch die Pfaffenkellnerin und eine Horde laut bellender, johlender und jammernder schwarzer Hunde. Seine Begleiterin oder Geliebte ist die wilde Sträggele: eine furchteinflössende Hexe. Von der Sträggele wird vielerorts berichtet, dass sie am Fronfasten-Mittwoch, vor Weihnachten, unterwegs sei. Sie soll die faulen Kinder strafen.

Die Sträggele ist eine vor allem im ländlichen Luzern vorkommende Sagengestalt. Doch auch in den Zuger Sagen gibt es eine Geschichte über die Sträggele. Wer vom Spätherbst bis zum fronweihnächtlichen Fasten nicht 10 Haspeln Garn gesponnen hat, den holt die Sträggele. Mit dieser Aussage flösste man den arbeitsscheuen Kindern in der Gegend von Cham, Hünenberg und Steinhausen gerne Angst ein.

In einer Sage holt die Sträggele die arbeitsscheue Tochter einer Spinnerin.
In einer Sage holt die Sträggele die arbeitsscheue Tochter einer Bauernfrau. (Bild: Brigitt Andermatt)

D Sträggele und die fuul Spinneri

In der Gegend von Steinhausen wohnte einst eine brave Bauernfrau. Diese hatte eine sehr hübsche Tochter, die aber, statt fleissig auf ihrem Spinnrad zu spinnen, viel lieber in den Spiegel schaute. Die Mutter schimpfte mit dem spiegelsüchtigen Kind und drohte ihm: «D Sträggele chunnt dich sicher go hole, wirsch gseh.»

Einmal wollte die Mutter im Zimmer nach ihrer Tochter schauen. Dabei sah sie, dass das Spinnrad stillstand und das Kind vor dem Spiegel sass und sich hübsch machte. Die Mutter war so erbost, dass sie zu ihm rief: «Hüt Abig chunnt dich d Sträggele go hole. Chasch sicher sii!» Ungläubig und unbekümmert hat die «Jumpfer» nur gelächelt.

Die Mutter traf daraufhin mit dem Knecht eine Abmachung. Sie wollte dem Kind einen tüchtigen Schrecken einjagen. Er solle, sobald es dunkel sei, an den Fensterladen klopfen, dann werde sie ihm die Tochter aus dem Fenster geben.
Am Abend klopfte es nach dem Eindunkeln wie abgemacht an den Fensterladen. Die Mutter packte ihr Kind, das Kind schrie Zetermordio und sperrte sich dagegen. Aber die Mutter war eine kräftige Frau und hat sie durch das Fenster gestossen. Auf der anderen Seite waren zwei kräftige Arme, die das Kind packten.

Kaum hatte die Bauernfrau das Fenster geschlossen, so klopfte es erneut an den Fensterladen, und eine Stimme ertönte: «Gib mer die fuul Spinneri use!» Erschrocken öffnete die Mutter das Fenster und sah den Knecht draussen stehen. Sie fragte ihn, was er denn wolle, er habe die Tochter doch vorhin entgegengenommen.

Doch dieser wusste von nichts, und beide waren noch nicht aus ihrem Staunen herausgekommen, als sie einen grausam verzweifelten Schrei durch die dunkle Nacht hörten. Da wussten sie, dass die Sträggele das Kind geholt hatte. Am anderen Morgen fand man vor dem Haus ein Fetzchen von ihrem Kleid und die beiden abgerissenen Zöpfe der armen Spinnerin am Boden.

Fragwürdige Moral

Die Geschichte ist aus heutiger Sicht alles andere als pädagogisch wertvoll. Dennoch mag diese archaische Erzählung zu früheren Zeiten ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Wer sich auf die Spuren der Sträggele begeben möchte, dem sei ein Ausflug nach Sempach empfohlen. Dort steht beim Kreisel, auf der Strasse Richtung Eich, das Sträggele-Chäppeli.

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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Vivi
    Vivi, 21.12.2023, 12:28 Uhr

    Im Gegensatz zu manch anderen solchen Schauergeschichten hat diese aber eine durchaus bedenkenswerte zusätzliche Perspektive – nämlich den Blick auf die Rolle der Mutter. Sie will ihrer Tochter sicher nichts wirklich Böses, sondern sorgt sich (in den alten kargen Zeiten sicher nicht grundlos) um ihre Zukunft, und weiss, dass ihr die geübte Handfertigkeit und das gesponnene Garn länger von Nutzen sein werden als ihre Teenagerschönheit anhalten wird. Aber statt sie zu überzeugen oder zu motivieren, droht sie und macht Angst. Aber nicht etwa vor den Konsequenzen, wenn das Mädchen keine anständige Aussteuer hat oder wenn sie einmal einem bäuerlichen Betrieb samt Familie nicht wird vorstehen können, weil sie in den Routinen nicht geübt ist, oder welche Gefahren ihr später als Frau drohen können, die sich den moralischen Erwartungen ihres Umfelds verweigert (Hexe!) – was noch eine Logik und Realitätsnähe hätte. (Gewaltfreie Kommunikation, intrinsische Motivation wecken, positive Impulse… in der Frühneuzeit auf dem innerschweizer Dorf… das wären dann doch utopische Erwartungen.) Die Mutter bemüht eine Spukgestalt, reine Angstmacherei, um die Tochter zur Arbeit zu bewegen. Und diese Teufelsdrohungen werden dann plötzlich real. Da ist nicht nur das Mädchen gestraft, sondern auch die Mutter! Und damit wird «die Moral von der Geschicht für die Eltern» geradezu fortschrittlich: Droht euren Kindern nicht mit Höllenunfug und Geisterwesen, wenn sie nicht brav und fleissig etc. seid – ihr könntet eure Kinder dadurch verlieren! Findet einen anderen Weg, sie zu erziehen.
    Psychische Gewalt, denn das sind solche Drohungen, haben schon vielen Kindern immens geschadet, bis hin zu so massiven Folgen im späteren Leben, dass sie zu dauerhaften Erkrankungen bis hin zur Suizidalität führten. Das weiss man inzwischen! Und immer noch gibt es trotzdem Leute, die Kindern Angst machen, damit sie gehorchen sollen, und da ist es egal, ob mit so einer Gruselfrau, «der Polizei», oder «dem lieben (???) Gott» (was ich besonders schrecklich finde. Gott sollte als positive und ermutigende Instanz vermittelt werden, nicht bedrohlich und verurteilend) oder mit was auch immer gedroht wird.
    Wer sein Kind mit solchen Gestalten ängstigt, muss im schlimmsten Fall damit rechnen, dass in seinem Leben diese Ängste so eine reale Präsenz gewinnen, dass sie dieses Leben zerstören. Das können Eltern doch nicht ernsthaft riskieren wollen?
    Fazit: Ich finde gut, dass diese Geschichte mal nicht nur den Wunsch der Jugendlichen nach jugendlichem Leichtsinn thematisiert und bedroht, sondern auch einen Blick auf die Mutter und ihren Umgang mit dem Mädchen wirft und in Sagengestalt vor psychischer Gewalt in der Erziehung warnt.

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