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Warum Windeln in der Weihnachtsgeschichte wichtig sind

Säuglinge – eingewickelt, aufgehängt und inszeniert

Jesus als Fatschenkind in Vitrine. Skulptur, 18. Jh. Inv.-Nr. 11523. (Bild: Museum Burg Zug)

Was die Weihnachtsgeschichte mit Windeln zu tun hat? Mehr als du dir vielleicht denken magst – deshalb spielen sie auch in der Überlieferung eine wichtige Rolle. Man ging einst gar so weit, Säuglinge bis zur Unbeweglichkeit in Windeln einzupacken und an einen Nagel zu hängen, wie das Museum Burg Zug im Blogpost schreibt.

Weihnachten steht vor der Tür – und damit eine Zeit, die bekanntermassen die Geister scheidet. Was für die einen mitunter die romantischste Zeit des Jahres bedeutet, die mit dem Weihnachtsfest ihren Höhepunkt findet, stellt für andere das reinste Horrorszenario dar, bei welchem es um nichts anderes als das Überleben all der mit dieser Zeit verbundenen Grässlichkeiten geht.

Nichtsdestotrotz kennen die meisten von uns die Weihnachtsgeschichte, die bemerkenswert kurz und knapp von der Menschwerdung Christi erzählt. Den Satz aus dem Lukasevangelium «… und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe» ist hinlänglich bekannt und wird alljährlich (mit Garantie!) wiederholt. Im kollektiven Gedächtnis gehört er zur Weihnachtsgeschichte wie das Amen in der Kirche.

Die Windel, das Corpus Delicti

Nicht ganz so viele dürften das heute noch gesungene Weihnachtslied «Vom Himmel hoch, da komm’ ich her», kennen, das Martin Luther im 16. Jahrhundert auf die Melodie des damals populären weltlichen Lieds «Ich kumm aus fremden Landen her» gedichtet hat:

«Merk auf, mein Herz, und sieh dorthin!                 
Was liegt dort in dem Krippelein?
Wes ist das schöne Kindelein?
Es ist das liebe Jesulein»

Diese 7. von 15 Strophen lässt jedoch ein entscheidendes Detail weg. Genau, die Windeln.

Zugegeben, Weihnachten ist keineswegs das wichtigste christliche Fest im Kirchenjahr. Dies spiegelt sich auch in der Liturgie der Kirche wider. Im «Missale Romanum» von 1784, einem 500-seitigen Messbuch mit einer Sammlung von Psalmen, Bittgebeten und der Lesung für den Weihnachtstag, nimmt die Weihnachtsbotschaft gerade mal viereinhalb Seiten ein. Aber auch hier gingen die Windeln nicht vergessen. Sie scheinen also wichtig zu sein.

Dies belegen auch die unzähligen Bilder, die bereits im ersten Jahrhundert nach Christus entstanden und das biblische Geschehen auf die immer gleiche Weise veranschaulichten: Da liegt ein in Windeln gewickeltes Kind in einer schlichten Krippe. In der darstellenden Kunst des Spätmittelalters lag das göttliche Kind zwar nicht selten auf dem Boden, aber das Detail mit der Windel hielt sich hartnäckig.

Gewickelt und gebändigt

Wie die Windel ausgesehen haben könnte, ist alle sieben Jahre im Aachener Dom zu sehen. Laut Legende verwahrt man hier die originale Windel Jesu. Die knapp einen Meter breite Reliquie, ein grober Wollstoff, soll von Konstantinopel als Geschenk für Karl den Grossen nach Aachen gebracht worden sein. Es ist hier allerdings nur die halbe Windel zu sehen, die zweite Hälfte liegt in Rom.

Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass in der Bibel von einem «in Windeln gewickelten Kind» die Rede ist. Zugegeben, es gibt nicht wenige Darstellungen, die ein Jesuskind zeigen, dessen Geschlechtsmerkmal von etwas Tuchartigem, Windelähnlichem bedeckt wird. In vorindustrieller Zeit bedeutete «in Windeln wickeln» aber gemeinhin das enge Bandagieren der Kinder. Die Säuglinge wurden dabei nach einer traditionellen Bandagiermethode mit Bändern vom Hals bis zu den Zehen fest gewickelt – wie kleine Mumien.

Christkind in Vitrine (Fatschenkind). Skulptur, 19. Jh. Inv.-Nr. 3251. © Museum Burg Zug.
Christkind in Vitrine (Fatschenkind). Skulptur, 19. Jh. Inv.-Nr. 3251. (Bild: Museum Burg Zug)

Fatschenkinder an den Nagel gehängt

Diese Prozedur geht bis ins 6. vorchristliche Jahrhundert zurück und die bereits zitierte Stelle aus dem Lukasevangelium befeuerte diese Entwicklung massgeblich. Kinder aus allen Gesellschaftsschichten mussten sie über sich ergehen lassen, vom Kronprinzen bis zur Bauerntochter. Das enge Bandagieren sollte Missbildungen am jungen Körper während des Wachstums verhindern. Der in der Säuglingspflege verwendete Begriff für das Einwickeln der Kinder lautet «fatschen» (von lat. «Fascia, «Binde», «Wickelband»). Ein in Windeln gewickeltes Kind war somit ein «Fatschenkind», ein Windelpaket.

Die so bewegungsunfähig gemachten Säuglinge wurden in bäuerlichen Haushalten nicht selten zusätzlich im wahrsten Sinne des Wortes an den Nagel gehängt. So sollte verhindert werden, dass sie durch sich im Haus befindliche Tiere Schaden nahmen. Die Eltern wiederum konnten sich ihrer Arbeit widmen und brauchten sich nicht um das am Nagel hängende Kind zu kümmern.

Niemand Geringeres als Immanuel Kant, Jean-Jacques Rousseau u. a. machten sich vor über 250 Jahren während der Aufklärung für die Befreiung der Kinder aus diesen Bandagen stark. Sie wiesen auf «schädliche Folgen» und die «missliche Lage» der Kinder hin.

Christkind der Kleinen Schwestern von Jesus. Skulptur, 18. Jh. Inv.-Nr. 11524.
Christkind der Kleinen Schwestern von Jesus. Skulptur, 18. Jh. Inv.-Nr. 11524. (Bild: Museum Burg Zug.)

Frommes Brauchtum

Im Mittelalter begannen Menschen an Weihnachten zu Hause im «Herrgottswinkel», einem zur Ausübung des Glaubens festgesetzten Ort im Haus, oder in Kirchen sogenannte «Fatschenkinder» aufzustellen. Diese «in Windeln gewickelte» Jesuskinder dienten sowohl als Schmuck als auch der persönlichen Frömmigkeit. Meist war das Fatschenkind eine aus Wachs geformte Darstellung von Jesus. Die in kostbare Seide, Spitzen oder Rüschen eingefatschten Wachsfiguren wurden oft in Holzkästen, mit einer schauseitig angebrachten Glasscheibe geschützt, aufbewahrt. Die Innenwände waren mit buntem Papier, bestickter Seide, Steinen und diversen Mariensymbolen verziert (sog. «Paradiesgärtchen»).

Da es seit dem Mittelalter üblich war, auch Novizinnen beim Eintritt ins Kloster Figuren des Jesuskinds zu schenken, damit es ihnen als Andachtsbild diene, erhielten die Fatschenkinder den Beinamen «Trösterlein». Vermutlich sollten sie den Nonnen auch als Kinderersatz dienen.

Kästchen mit Fatschenkind in Paradiesgärtlein. Skulptur, 19. Jh. Inv.-Nr. 10261.
Kästchen mit Fatschenkind in Paradiesgärtlein. Skulptur, 19. Jh. Inv.-Nr. 10261. (Bild: Museum Burg Zug.)

Klosterarbeiten und Reliquienkult

Ausgeführt wurde dieses religiöse Kunsthandwerk fast ausschliesslich in Klöstern. Mit viel Fleiss, Geschick und Hingabe wurden diese und viele andere «Schöne Arbeiten», wie die Klosterarbeiten auch genannt werden, grösstenteils anonym von Nonnen angefertigt. Solche Klosterarbeiten sind seit Jahrhunderten ein wesentlicher Bestandteil religiösen Brauchtums. Im Gegenzug entstanden bereits im Barock ab etwa 1575 mit dem erwachenden Reliquienkult viele Möglichkeiten für die kunsthandwerkliche Betätigung der Klöster.

Nach der Reformation, die den mit Ablässen verknüpften Reliquienhandel bekämpft hatte, lebte die frühere Reliquienfrömmigkeit innerhalb der katholischen Kirche wieder auf. Ihren Höhepunkt erreichte die Kunst, Reliquien zu verzieren, mit der Ausschmückung ganzer Körper, die aus den 1587 wiederentdeckten Katakomben Roms geborgen wurden. Ein Beispiel findet sich für den Kanton Zug in Form des Heiligen Bonifaz aus der Kirche Neuheim ZG.

Der heilige Bonifaz.
Der heilige Bonifaz. (Bild: Museum Burg Zug / Stadler, Andri. 2014.)

Kritik nicht nur am Fatschen

Mit der Aufklärung wurde nicht nur das «Fatschen» kritisiert, auch die Anbetung von Heiligen nahm ab. Anfang des 18. Jahrhunderts jedoch begannen Frauenklöster erneut mit der Herstellung. Dieses Mal aber durchaus mit viel Geschäftssinn. Die Klöster sicherten sich damit einen Teil ihres Einkommens.

Für das einfache Volk waren Klosterarbeiten jeglicher Art meist unerschwinglich. Bei ihm fand oft von religiösen Laien hergestellte, preiswerte «Hausiererware» ihren Platz im «Herrgottswinkel». Und im 20. Jahrhundert nahm das Verständnis für Klosterarbeiten in den meisten Klöstern stark ab. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) schämte man sich teilweise sogar für die «naive religiöse» Haltung, die man den früheren Klostergenerationen zuschrieb. Eine neue Wertschätzung für diese Klosterarbeiten ging in den 1970er-Jahren dann wiederum aufgrund von weltlichen Liebhabern dieser Kunst und den Wissenschaftlern aus.

Was Luther wohl dazu sagen würde? In Strophe 13 des erwähnten Weihnachtslieds jedenfalls heisst es:

«Ach, mein herzliebes Jesulein,                     
Mach dir ein rein, sanft Bettelein,
Zu ruhen in meins Herzens Schrein,
Dass ich nimmer vergesse dein.»

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

Barockraum Museum Burg Zug.
Barockraum Museum Burg Zug. (Bild: Museum Burg Zug / Heike Witzgall. 2022)
Verwendete Quellen
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Vivi
    Vivi, 21.12.2023, 13:04 Uhr

    Und heute werden Kinder «gepuckt»… auch nicht viel anders wie seit Jahrtausenden in vielen Kulturen rund um den Globus. Das Einwickeln soll auch Geborgenheit vermitteln, zumindest heisst es so bei den «puckenden» Familien.

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