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Düsteres Reich tief im Berg

Darum wachen schwere Kanonengeschütze über Vitznau

Die Stollen sind düster, die Waffen jederzeit griffbereit. Alarmbereitschaft im Weltkriegsbunker Vitznau. (Bild: cbu)

Sie ist die einzige Artilleriefestung im Kanton Luzern und ein imposantes Überbleibsel des Reduitplans: die Festung Vitznau. Bis heute erinnert sie an die geheimen Pläne der Armee – und den lautstarken Unmut der damaligen Hoteliers.

«Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, nehmen wir im Rückzug ein», höhnte ein deutsches Soldatenlied während des Zweiten Weltkriegs. Ganz so leicht wollte es die Schweiz den deutschen Truppen aber nicht machen. Im Sommer 1940, als Hitlers Streitkräfte Frankreich zur Kapitulation zwangen, befahl Henri Guisan, der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, den Bau des nationalen Reduits.

In Rekordzeit wurden weitläufige Bunkeranlagen in die Schweizer Berge und Hänge gebaut, um im Notfall einen Angriff durch Deutschland oder Italien abwehren zu können. Die Geschütze der zahlreichen Stützpunkte, die beispielsweise im Gotthardmassiv oder bei St. Maurice gebaut wurden, sollten Flughäfen verteidigen, Pässe und Strassen überwachen und notfalls in Stücke zu sprengen und damit für den Feind unpassierbar zu machen.

Eine dieser Bunkeranlagen baute die Armee auch im Kanton Luzern. Am Berghang, hoch über dem beschaulichen Ausflugsort Vitznau, direkt am Vierwaldstättersee. Und da steht sie noch heute. Eine schwere Stahltür bildet den Eingang der Festung Mühlefluh und führt tief in den Berg hinein.

Ein düsteres Reich tief im Berg

Jenseits dieser Tür blickt man erst in einen langen Gang. An dessen Ende, durch die kleine Öffnung einer Schiessscharte, zeigt der Lauf eines Sturmgewehrs auf alle, die sich durch diesen Korridor bewegen. Eindringende Feinde wären spätestens hier in einem Kugelhagel zu Boden gegangen.

Hinter dem Schützenstand erstreckt sich die Anlage der Festung ob Vitznau in einem Netz aus langen Stollen und abzweigenden Räumen auf mehreren Etagen. Diese beherbergen unter anderem ein Kraftwerk, Geschützstände, einen Operationsraum, zwei riesige Munitionslager und die Mannschaftsräume. Die Atmosphäre ist düster und bedrückend. Die Nagelfluh-Wände in den Stollen «schwitzen» Wasser, das Klima in der Anlage ist kühl, die Luft riecht abgestanden. Nach feuchtem Keller. Nach Schmierfett. An den Stollenwänden stehen Holzgestelle, darin aufgereiht sind Helme und Karabiner. Jederzeit griffbereit. Selbst heute noch, so scheint es.

Wer sich heute durch die Anlage bewegt, braucht jedoch nichts mehr zu befürchten. Die Waffen sind untauglich gemacht worden, die Munition entschärft. Zurück bleiben Eindrücke und gelebte Geschichte. Zivilisten dürfte die Vorstellung schwerfallen, dass in dieser trostlosen Anlage, fernab von Tageslicht, Soldaten Tag und Nacht gelebt und gearbeitet haben. Über Monate hinweg. Mit der ständigen Angst, dass jederzeit der Ernstfall eintreten und es von einer Sekunde auf die andere um Leben und Tod gehen könnte.

Die heute zu einer Erlebnisfestung umgenutzte Anlage in Vitznau bietet Besucherinnen eine eindrückliche Möglichkeit, in jenes düstere Kapitel des 20. Jahrhunderts einzutauchen. Und berichtet auch davon, warum die Armee ausgerechnet oberhalb einer Kurregion eine Festungsanlage mit zwei mächtigen Befestigungskanonen vom Kaliber 10,5 Zentimeter errichtet hatte.

3,5 Millionen Franken für eine Bunkerfestung

Konkret wurde der Bau der Festungsanlage Vitznau am 25. Oktober 1940. Dann nämlich entschieden hohe Vertreter der Armee bei einem Gipfelgespräch im Armeehauptquartier, dass die Standorte Rigi-Scheidegg und Rigi-Känzeli für den Bau eines «Kasemattwerkes» – also einer schusssicheren Bunkeranlage – nicht geeignet waren. Im November fällt der Entscheid schliesslich auf den Standort Vitznau, der bislang vor allem für den Tourismus und als Kurort bekannt war. Das Artillerie-Felsfort sollte unter anderem sicherstellen, den Brünigpass und das Engelbergertal im Blick zu halten und wenn nötig, die Achse Luzern-Stans zu sperren.

An der Planung und dem Bau der Festung waren zahlreiche Unternehmen aus der Region beteiligt. Für rund 30’000 Franken lieferte beispielsweise die Zimmerei Suter aus Vitznau Schränke, Gestelle und Pritschen. Für die Ventilation zeichnete sich eine Basler Firma verantwortlich. Kostenpunkt: 43’500 Franken. Dagegen war die Tarnfarbe der Kampfstände vom Urner Malermeister Renner mit 700 Franken geradezu ein Schnäppchen. Insgesamt belief sich das geplante Gesamtbudget auf eine Höhe von rund 3,5 Millionen Franken. Schussbereit sollte die Anlage im Sommer 1942 sein. Die Fertigstellung war fürs Frühjahr 1943 angesetzt, sofern alles nach Plan verlief – was es natürlich nicht tat.

Bauarbeiten forderte Opfer

Schon die Kreditvergabe im Vorfeld sorgte für Verzögerungen beim Baubeginn. Schnell wurde klar, dass sich die Inbetriebnahme um einige Monate verzögern würde. Auf der Baustelle selbst waren ab Baubeginn rund 100 Arbeiter im zweifachen Schichtbetrieb für zehn Stunden pro Schicht tätig. Unter den Arbeitern befanden sich auch schwächere sowie ältere Männer und Arbeitslose – sehr zum Verdruss des Gesamtbauleiters Stampfli. Er monierte, dass eine Baustelle «weder ein Altersasyl noch ein Ferienheim» sei, und kommandierte in seinen Augen untaugliche Arbeiter für den Bau der Zufahrtsstrasse ab.

Die aufwendigen Bauarbeiten forderten auch Opfer. Mehrere Personen wurden beim Bohren von Sprenglöchern schwer verletzt, andere erlitten wegen der schlechten Belüftung der Stollen Kohlenmonoxidvergiftungen. 1942 kam es gar zu zwei Todesfällen. Ein Arbeiter starb, als ihn beim Bau des Munitionsstollens eine herabfallende Sandsteinplatte erschlug, ein anderer wurde von einem ungesicherten Rollwagen überfahren.

Vitznauer Hoteliers beschweren sich bei General Guisan

Für eine Touristenregion wie Vitznau waren die anhaltenden und teils bis Mitternacht andauernden Sprengarbeiten ein geschäftsschädigendes Problem. Nicht nur, dass der Tourismus in Kriegszeiten generell einbrach, das Geknalle vermieste den wenigen Gästen die erhoffte Entspannung. Gerade bei der ansässigen Hotellerie stiessen die lauten Bauarbeiten auf wenig Gegenliebe.

Der Unmut der Hoteliers ging gar so weit, dass sich der Direktor vom Hotel Vitznauerhof, Robert Keller, direkt an General Guisan wandte. Der Brief zeigte Wirkung. Ab Ende Mai 1942 wurden die Sprengungen eingeschränkt, und im beschaulichen Vitznau kehrte wieder etwas Ruhe ein. Nur: Mit den Geheimhaltungsplänen der Armee war es spätestens jetzt vorbei.

Bunker in Betrieb

Bei der Abnahme durch das Büro für Befestigungsbauten im März 1943 haben die Bauarbeiter insgesamt rund 250’000 Arbeitsstunden in den Festungsbau gesteckt, wie Informationstafeln im heutigen Bunkermuseum zu entnehmen ist. Bei ersten Testschüssen der Befestigungskanonen zeigten sich aber gleich erste Mängel bei der Bewaffnung. Eine der Kanonen war nach wenigen Schüssen bereits beschädigt, und bei einem zweiten Versuchsschiessen verursachte eine Druckwelle erheblichen Schaden bei nahe gelegenen Häusern. Die Druckwelle zerstörte sowohl Fensterscheiben als auch Türen im Ort. Auch sonst waren ranghohe Offiziere noch nicht zufrieden mit der Anlage. Mit zusätzlichen 1,2 Millionen Franken des Bundes konnte der Ausbau schliesslich finalisiert werden.

Während der Kriegsjahre waren in der Festung Mühlefluh um die 330 Mann stationiert. Ein Teil davon besetzte dabei die kleineren Artilleriewerke Obere und Untere Nas – gebaut auf der Landzunge zwischen Luzern und Schwyz respektive beim Bürgenstock. Die Männer leisteten ihren Dienst im Schichtbetrieb. Viel Zerstreuung gab es für die dienstleistenden Soldaten nicht. Immerhin: Zum Ernstfall ist es nie gekommen.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Selbst als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, blieb die Festung noch Jahrzehnte in Betrieb. In den späten 1950er-Jahren wurde die Festung noch aufgerüstet, um gegen den Einsatz von Atom- und ABC-Waffen bestehen zu können. Beim Bau von Druckentlastungsstollen im September 1954 kam es übrigens wieder zu einer ähnlichen Situation mit Lärmbeschwerden seitens der Hotellerie, wie knapp zehn Jahre davor. Auch hier lenkte das eidgenössische Militärdepartement ein und gab dem Wunsch des Gemeindepräsidenten Zimmermann nach, wie einem Briefwechsel im Bundesarchiv zu entnehmen ist.

Schliesslich hat die Armeereform 1995 das Schicksal der Anlage besiegelt. Artilleriewerk Mühlefluh wurde, wie viele andere Bunkeranlagen auch, ausgemustert. Im August 1998 kaufte die Einwohnergemeinde und die Korporation Vitznau die Festung samt der 8700 Quadratmeter grossen Parzelle vom VBS zurück. Künftig sollte die einst geheime Anlage nicht bloss als Museum dienen, sondern auch touristisch genutzt werden – ein Novum für die Schweiz. Bis heute können Interessierte die Erlebnisfestung mit Führungen besuchen oder für verschiedene Anlässe mieten. Ein Museum mit Wechselausstellung informiert über die Entstehungsgeschichte und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.

Anmerkung: Eine Namensbezeichnung der Bunkeranlage wurde nachträglich korrigiert.

Verwendete Quellen
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Alain
    Alain, 22.09.2023, 17:44 Uhr

    Unglaublich, dass der Staat sich sowas zu bauen gedacht hat. Schutz der Ängstlichen ist doch keine Staatsaufgabe, wer Angst hat kann sich doch mit ihrer Hellebarde schützen?

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  • Profilfoto von BenKenobi
    BenKenobi, 22.09.2023, 15:02 Uhr

    Besten Dank. Sehr spannender Bericht.
    Eine klitzekleine Korrektur: «…blieb die «Fest Art Kp 82», wie die Vitznauer Festung mit offiziellem Namen heisst, noch Jahrzehnte in Betrieb»
    Dies ist so nicht ganz richtig, die Bezeichnung der Anlage lautet: Artilleriewerk Mühlefluh (auch Festung Vitznau), Armeebezeichnung A 2206.
    «Fest Art Kp 82» ist die Bezeichnung für die Einheit die dort Dienst leistete ausgesprochen «Festungs Artillerie Kompanie 82»
    Liebe Grüsse
    Ein ehemaliger Artillerie Offizier

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