Künstliche Intelligenz als Coach für Kinder

KI im Unterricht: Ein Luzerner Lehrer machts vor

Wer hat den Aufsatz geschrieben? Das Kind, seine Eltern, oder doch ChatGPT? (Bild: Dall-E/ KI-generiertes Bild)

Anstatt sich gegen künstliche Intelligenz zu wehren, hat ein Luzerner Lehrer beschlossen, die neue Technologie in den eigenen Schulunterricht aufzunehmen. Eine KI-Expertin begrüsst dies, fordert Kinder jedoch auch zu etwas auf.

Die Stadt Zug hat vor wenigen Wochen bekanntgegeben, künstliche Intelligenz (KI) künftig offiziell im Unterricht der Stadtschulen einzusetzen (zentralplus berichtete). Der zuständige Stadtrat Etienne Schumpf (FDP) betonte, dass Zug diesbezüglich eine Pionierrolle einnehmen soll. Doch bereits heute gibt es andernorts vereinzelt Lehrer, die KI im Unterricht mit Primarschülerinnen anwenden. So etwa Werner Odermatt, der im Stadtluzerner Schulhaus Würzenbach eine 5. Klasse unterrichtet. zentralplus hat mit dem Lehrer gesprochen.

zentralplus: Werner Odermatt, warum haben Sie beschlossen, KI in den Unterricht mit Kindern einfliessen zu lassen?

Werner Odermatt: Da ich unter anderem Medienbildung unterrichte, bin ich sensibilisiert auf solche Themen. Ich frage mich dabei jeweils, in welche Richtung das gehen wird, und welche Veränderungen solche Plattformen mit sich bringen werden. Vor einiger Zeit, bevor KI in aller Munde war, hat mich meine Kollegin aufs Thema angesprochen. Sie hat mir erzählt, dass Instrumente wie ChatGPT für die Schulkinder eine zu grosse Hilfe seien. Man solle KI im Unterricht besser verbieten. In dem Moment realisierte ich, dass ich praktisch nichts darüber weiss. Ich beschloss deshalb, das Thema gemeinsam mit den Kindern zu bearbeiten. Auch deshalb, weil ich nicht zu spät sein wollte.

zentralplus: Inwiefern?

Odermatt: Nicht nur die Schülerinnen am Gymnasium oder an der Sekundarschule wissen, wie man KI nutzt. Dieses Wissen verschiebt sich auf jüngere Schüler. Wenn Primarschüler ChatGPT entdecken, probieren sie es aus. Auch wenn sie erst zehn Jahre alt sind.

zentralplus: Sie haben also ChatGPT und Co. in den offiziellen Unterricht einzubauen begonnen?

Odermatt: Ja. Zunächst habe ich erste Versuche mit der Klasse gemacht. Später haben wir begonnen, KI für den normalen Unterricht zu verwenden. Wir haben in unserer Schule das Glück, in einem gesteckten Rahmen viel Freiheit bei der Umsetzung eigener Ideen zu haben. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sich das Grundwissen dazu selbst aneignet. Das ist gerade bei Themen wie KI sehr wichtig. Man muss wissen, was man da überhaupt tut. Anfänglich war es schwierig, sich diese Informationen zu beschaffen, da es nur wenig dazu gab. Das hat sich mittlerweile geändert.

«Ich glaube, dass KI kreative Lösungen liefern und eine Unterstützung bieten kann.»

Werner Odermatt, Primarschullehrer

zentralplus: Ein beliebtes Beispiel, wie KI bereits heute von Schülern eingesetzt werden kann, ist das Schreiben von kreativen Texten. Die Schülerinnen geben ein paar Stichworte auf ChatGPT ein und erhalten fertige Aufsätze. Können Sie solchen Tendenzen mit Ihrem bewussten Einsatz von KI im Unterricht den Wind aus den Segeln nehmen?

Odermatt: Ja, es geht in diese Richtung. Man muss sich überlegen, was das heisst, wenn nun Aufsätze so einfach fabriziert werden können und mit den Kindern besprechen, welche Gefahren das birgt. Viele Menschen fürchten, dass KI zum Selbstläufer wird, der uns überflügelt. Ich glaube jedoch, dass KI kreative Lösungen liefern und eine Unterstützung bieten kann. Unter der Voraussetzung, das man ihr gewachsen ist.

Werner Odermatt hat das Thema KI gemeinsam mit den Schulkindern erarbeitet. (Bild: zvg)

zentralplus: Das heisst?

Odermatt: Ich vergleiche das gern mit dem Taschenrechner. Es ist nicht so, dass Kinder heute nicht mehr rechnen können, weil sie einen Taschenrechner verwenden. Dieser unterstützt sie vielmehr bei dem, was sie heutzutage lernen. Jedenfalls kann man ihn nützen, wenn man weiss, wie man ihn einsetzen muss. Ähnlich ist es mit Tools wie ChatGPT – es handelt sich um ein spannendes Sprachmodell – von dem Kinder sehr profitieren können.

zentralplus: Wie das?

Odermatt: Es kann quasi zu einem Coach werden. Es stärkt ihr Bewusstsein dafür, was Sprache ist und was sie kann.

zentralplus: Können Sie ein Beispiel nennen?

Odermatt: Wir brauchen KI oft im offenen Unterricht, der sogenannten Lernzeit. Dort gibt es wöchentlich neue Aufgaben, welche die Kinder lösen müssen. Darunter auch solche, bei denen man KI verwenden muss. Gerade behandeln wir das Thema «Spannung und Unterhaltung». Dort geht es viel um Texte, es geht um Fantasie. Der Chat kann zwar Ideen liefern, die Schülerinnen müssen diese Texte jedoch kritisch lesen und sich überlegen, ob sie damit einverstanden sind oder ob und wie sie die Texte selber noch verarbeiten müssen. Das ist ein interessantes Hin und Her. Mich fasziniert das immer wieder, ich halte jedoch stets die Kontrolle darüber.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Odermatt: Wenn die Schüler eine KI-Aufgabe lösen, müssen sie mit mir im Gespräch sein. Ich gebe immer Feedback oder Tipps, damit sie ihre Lösungen kritisch hinterfragen können. Ich lasse sie also nicht allein mit solchen Medien. Das ist wichtig. Ausserdem nutzen sie keinen persönlichen Zugang, sondern einen Schulaccount.

«Es braucht im Unterricht Raum für eine kritische Auseinandersetzung.»

Werner Odermatt

zentralplus: Wie wird KI bei Ihnen im Unterricht sonst eingesetzt?

Odermatt: Generell ist ChatGPT sehr stark darin, Geschichten zu schreiben. Dort muss nicht alles genau stimmen. Doch die Kinder tendieren dazu, auf ChatGPT Wissen abzufragen. Anfangs gabs da sehr viele Fehler. Ich sah das als grosse Chance, denn das ermöglichte es uns, die Plattform kritisch zu analysieren. Es braucht im Unterricht Raum für diese kritische Auseinandersetzung.

zentralplus: Sie sprechen grundsätzlich sehr positiv von KI und ihrem Einsatz. Viele Menschen sehen darin hingegen eine grosse Gefahr. Können Sie diese Ängste nachvollziehen?

Odermatt: Wie erwähnt ist es sinnvoll, mit den Kindern sowohl das Positive anzuschauen als auch zu eruieren, wo diese Tools Anteile von Gefahren bergen. Gesellschaftlich ist es oft so, dass wir technischen Fortschritt schnell zu ächten beginnen. Man fürchtet etwa, dass KI Überhand nimmt. Oder aber, dass sie uns etwas Schlechtes vermittelt. Doch vergessen wir dabei, dass es immer der Mensch ist, der allenfalls etwas Negatives daraus macht. Darum ist es wichtig, genauer hinzuschauen, wer ein Medium negativ einsetzt und warum. Diesen Faden kann man weiterspinnen. Warum gibt es Betrug und Missbrauch? Auch das ist Medienbildung. Egal ob man im Unterricht WhatsApp behandelt oder ChatGPT, es geht immer um dasselbe Grundthema.

«Wir können hoffen, dass auch die Eltern Themen wie KI mit den Kindern anschauen.»

Werner Odermatt

zentralplus: Und zwar?

Odermatt: Um unsere eigene Werthaltung. Diese müssen wir aufbauen. Neue Medien erfordern einen anspruchsvollen Umgang mit ihnen. Diesbezüglich frage ich mich jedoch, ob wir alle genug gut ausgebildet sind, um die Kinder diesbezüglich zu coachen. Wir können hoffen, dass auch die Eltern solche Themen mit den Kindern anschauen.

zentralplus: Müssten sich alle Lehrpersonen mit KI auseinandersetzen?

Odermatt: Ich finde ja. Auch wenn ich der Meinung bin, dass das für Lehrpersonen auf freiwilliger Basis, aus einem eigenen Antrieb heraus passieren sollte. Es ist wichtig, dass man selbst eine Haltung dazu entwickelt und diese teilt. Das ist wichtiger, als abzuwarten, bis es Kurse gibt, die man besuchen kann. Diese Art Medienbildung ist sehr wichtig. Es ist ein fordernder Auftrag an die Lehrpersonen, aber auch ein bereichernder, der einem neue Türen öffnet.

zentralplus: Die Zuger Stadtschulen haben beschlossen, KI zu einem fixen Bestandteil des Unterrichts zu machen. Sollte dies überall passieren?

Odermatt: Das Thema KI muss in den Schulen unbedingt behandelt werden. Wenn auch mit einem bestimmten Behandlungsspielraum. Es braucht Schulen, die ihr Lehrpersonal dazu ermutigen, damit loszulegen. Man unterschätzt, dass viele Lehrpersonen unsicher sind und den Input von oben oder von ihren Kollegen brauchen. Einerseits verstehe diese Unsicherheit. Als KI kam, prognostizierte man eine riesige Veränderung. Wenn einem so etwas entgegenschlägt, ist es schwierig, das aufzunehmen. Anderseits hat man das auch beim Computer gesagt. Es ist gut, haben wir diesen angenommen und in unseren Alltag implementiert, sonst wären wir technisch stehengeblieben.

KI-Expertin begrüsst Einsatz der neuen Technologie im Unterricht

Sarah Hauser, Vizedirektorin des Bereichs Ausbildung an der Hochschule Luzern – Informatik, findet den Entscheid der Zuger Stadtschulen, künftig KI im Unterricht zu integrieren «sinnvoll und zukunftsorientiert». Denn: «Auch Kinder kommen auf die vielfältigste Art mit KI in Berührung. KI gehört bereits zu unserem Alltag.» Kinder seien motiviert, mehr darüber zu erfahren und sollen lernen, was KI ist, wie sie solche Tools einsetzen, wo die Chancen und die Grenzen liegen. KI-Tools seien zudem attraktive Beispiele für den Unterricht in Medien und Informatik.

Hauser nennt die aktuell viel genutzten KIs wie ChatGPT oder Midjourney als brauchbare Hilfsmittel. Dies etwa, «um Texte besser zu machen, Bilderideen umzusetzen, sich mit Varianten auseinanderzusetzen, unterschiedliche Erzählformen und Kunststile zu lernen und vieles mehr». Hauser gibt zu bedenken: «Kinder sind neugierig und sollten durch KI beim Finden eigener Lösungen nicht gestört werden. Sie möchten gerne kreativ und selbst die Erfinderin ihrer Lösung sein.»

Es sei zwar nicht immer leicht, die eigene Ungeduld auszuhalten, wenn man nicht sofort eine Antwort auf Fragen finde. «Aber dies macht das Problemlösen ja gerade so spannend. Es ist eine Herausforderung, das Potenzial von KI zu nutzen, ohne die Stärken von bewährten Lernsituationen zu vernachlässigen», sagt die Professorin. Und weiter: «Tausche ich mich in der Klasse über meine Lösung aus, so erhalte ich viele Perspektiven, KI kann nur eine davon sein.»

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Werner Odermatt
  • Medienanfragen bei verschiedenen Hochschuldozenten
  • Berichterstattung von «SRF» zum Thema
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