Verein vermutet Klagen

In Luzern ist Homeschooling nur noch mit Diplom möglich

Wer sein Kind in Luzern künftig daheim unterrichten will, braucht ein Lehrdiplom. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Homeschooling boomt in Luzern. Weil die Bildungsdirektion dadurch abnehmende Qualität in der Bildung vermutet, verlangt sie für Privatunterricht neu ein Lehrdiplom. Eine Homeschooling-Verfechterin befürchtet einige Rechtsfälle.

Je sonniger die Tage werden, desto mehr sehnen sich die Schülerinnen nach den anstehenden Sommerferien. Für einige Luzerner Schüler wird sich jedoch nach dem Sommerspass einiges ändern. Nämlich für diejenigen, die daheim unterrichtet werden. Per August 2023 ziehe die Luzerner Regierung die Schrauben für die Erteilung von Bewilligungen an, wie sie am Freitag mitteilt. Privat unterrichten dürfe nur noch, wer über eine stufen- und fachgemässe Ausbildung verfüge. Sprich: ein Lehrdiplom. Bis anhin genügte eine Matura und ein Nachweis für methodische und fachspezifische Kompetenzen.

Die Luzerner Bildungsdirektion begründet den Schritt mit «Qualitätssicherung»: «Die Dienststelle Volksschulbildung (DVS) hat festgestellt, dass beim Privatunterricht seit der Einführung des Lehrplans 21 im Schuljahr 2017/18 die Unterrichtsqualität nachgelassen hat», steht auf der Webseite der Vernehmlassung. Zudem sei die Aufsicht «infolge verschiedener Entwicklungen» zunehmend schwerer geworden.

«Die öffentliche Schule kann nicht mehr allen Kindern der heutigen Zeit das passende Setting bieten.»

Vreny Spichtig, Präsidentin Verein Bildung zu Hause Kanton Luzern

So sei die Chancengerechtigkeit der schulpflichtigen Luzerner Kinder nicht länger gegeben, fürchtet die Bildungsdirektion. Die Mehrheit der offiziellen Vernehmlassungsteilnehmer habe sich positiv zu den Plänen geäussert. Wer seine Kinder derzeit noch privat unterrichtet, erhält eine Gnadenfrist: Bis zum Ende der Primarschule dürfen sie diese auch ohne Lehrdiplom noch unterrichten.

Homeschooling-Verein ist sehr enttäuscht

Die Änderung kommt beim Verein Bildung zu Hause Kanton Luzern alles andere als gut an. Präsidentin Vreny Spichtig findet die Änderung «sehr enttäuschend», wie sie auf Anfrage schreibt. Gerade weil ihr Verein dem Kanton mit einer Arbeitsgruppe verschiedene Möglichkeiten und Angebote aufgezeigt habe. Für sie ist die neue Regel nicht zukunftsorientiert: «Alle reden von Individualisierung und kindgerechter Pädagogik. Die öffentliche Schule kann nicht mehr allen Kindern der heutigen Zeit das passende Setting bieten.»

Das von der Bildungsdirektion angeführte Argument, so die Qualität der Bildung sicherzustellen, lässt Spichtig nicht gelten. «Diese Behauptung kann die DVS bis heute nicht belegen. Die Familien haben Akteneinsicht gefordert und bei keiner Familie, die Mitglied im Verein Bildung zu Hause Kanton Luzern ist, wurden diese Mängel dokumentiert.»

Nur zur Eindämmung des Privatunterrichts?

Sie vermutet vielmehr einen anderen Grund hinter der Änderung: die zunehmende Anzahl Eltern, die ihre Kinder aus dem öffentlichen Schulsystem nimmt. Und dies nicht nur wegen der Pandemie. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Kinder im Homeschooling stetig an, im Schuljahr 2021/22 wurden 130 Kinder privat unterrichtet (zentralplus berichtete). Bereits im vergangenen Schuljahr hat die Bildungsdirektion die Anforderungen an den Privatunterricht erhöht: Sie hat die Zahl der Kinder, die jemand privat unterrichten darf, auf vier beschränkt (zentralplus berichtete).

Für Spichtig ist klar: «Der Staat will die Monopolstellung einfach nicht aufgeben und einsehen, dass es drei Lernorte gibt.» Die öffentliche Schule, die für die meisten Schüler passe. Privatschulen, für Eltern, die diese zusätzliche Verantwortung nicht übernehmen wollen würden. Und eben Privatunterricht, für Eltern, die sich die Bildung ihrer Kinder zutrauen würden.

Letztere brauchen aus Sicht von Spichtig, die ihre drei mittlerweile erwachsenen Kinder selbst unterrichtet hat, kein Lehrdiplom. «Es ist ein sehr grosser Unterschied, ob ich die eigenen Kinder, die man als Eltern am besten kennt, unterrichte oder ob ich eine ganze Klasse mit 20 bis 25 Kindern unterrichten muss.» Den Lehrplan 21 könne sich jedermann selbst aneignen. Zudem sei die Homeschooling-Bewegung sehr gut untereinander vernetzt und unterstütze sich bei Bedarf. Sowieso sei die Hälfte der privat unterrichtenden Eltern selbst Lehrer. «Diese Lehrpersonen gingen dem Staat verloren, weil sie nicht mehr hinter dem öffentlichen Schulsystem stehen konnten.»

Homeschooling-Tourismus und Rechtsstreits

Was dieser Entscheid konkret für die Familien bedeute, sei schwer zu sagen. Widerstand sei jedoch vorprogrammiert. Die Homeschooling-Verfechterin kann sich vorstellen, dass sich nun ein Homeschooling-Tourismus entwickle und Familien in liberalere Kantone wie Bern oder Aargau ziehen. Dies habe bereits vor der jetzigen Verschärfung stattgefunden, so Spichtig.

«Der Kanton Luzern schwächt sich weiterhin selbst als innovativer Wirtschaftsstandort.» Gerade Expats empfehle ihr Verein, andere Kantone in den Fokus zu nehmen. Auch könne sie sich vorstellen, dass einige Familien den rechtlichen Weg einschlügen, da die DVS sie mit dem Entscheid in die Illegalität dränge. «Was absolut nicht zielführend für alle ist.»

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12 Kommentare
  • Profilfoto von Dunning-Kruger
    Dunning-Kruger, 29.05.2023, 16:06 Uhr

    Die angestossene Entwicklung ist aufgrund einer ganzen Reihe fataler und dogmatischer Entscheidungen der Bildungspolitik nicht mehr abwendbar: Privatschulen werden in Kürze wie Pilze aus dem Boden schiessen, den neu entstandenen Bedarf abdecken und zu einem Massenphänomen mutieren. Ein Heer von Diplomierten steht bereit und nimmt die besseren Arbeitsbedingungen mit Handkuss entgegen. Engagiert sich wieder und kann Inhalte vermitteln, anstatt sich ausbrennen lassen zu müssen. Der Abstieg der Volksschule ist längst eingeläutet und unaufhaltsam. Die Ursachen dafür sind längst bekannt und hinter vorgehaltener Hand auch benannt, müssen aber aus ideologischen Gründen fortwährend ignoriert werden. Dies wirkt zusätzlich als Brandbeschleuniger. Binnen einer Dekade, so meine Prognose, werden weit mehr als 10% aller Eltern schweizweit die Dienste einer Privatschule in Anspruch nehmen. Insbesondere auch darum, weil diese Entwicklung ein Marktpotential von mehreren Milliarden CHF pro Jahr birgt. Viele (besorgte) Eltern werden nicht zögern und diese Investition im Sinne einer echten Bildung (und nicht bloss Tiefenindoktrination im Sinne eines Systems) für ihre Kinder tätigen.

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    Sophia Stalder, 29.05.2023, 11:20 Uhr

    Unverständlich. Das kann angesichts der serbelnden Lage der Luzerner Volksschule nur dazu dienen, von den eigenen Wurstelzuständen abzulenken.
    Goliaths Freunde haben alle kräftig mitgeholfen. Goliath hat gewonnen.

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    Landberner, 29.05.2023, 11:04 Uhr

    Da geht es um spezielle Ansprüche vermögender Eltern. Aber auch ihre Kinder müssen die Prüfungen der öffentlichen Schule schliesslich bestehen …

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    • Profilfoto von Wespi
      Wespi, 29.05.2023, 15:59 Uhr

      @Landberner
      Falls du schon Mal in Kontakt mit Homeschoolkinder gekommen wärst, so würdest du wissen, dass es im Homeschooling keinen Illetrismus und keine Schulversager gibt. In der CH kommen 15% der Jugendlichen aus dem öffentlichen Schulsystem und wissen nicht was sie lesen. In den letzten 25 Jahren sind schon so viele Jugendliche aus der obligatorischen Schulzeit aus dem Privatunterricht ins Leben getreten. Alle haben ohne Probleme entweder eine Berufausbildung oder eine weiterführende Schule besucht. Sie stehen erfolgreich im Leben auch ohne die obligaten Prüfungen des öffentlichen Schulsystems. Wer glaubt, dass Prüfungen und Noten die einzige Befähigung für den Einstieg ins Beurfsleben ist, hat noch nicht gemerkt, dass es auf Lebens – Kompetenzen ankommt. Leider werden diese im öffentlichen Schulsystem ganz gering vermittelt. Sie lernen wie man auswendig lernt und dies an der Prüfung wieder rauskotzt = bulämisches Lernen. 4 Wochen später wissen sie so zu sagen nichts mehr davon.

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      • Profilfoto von BlaBlo
        BlaBlo, 29.05.2023, 21:31 Uhr

        ….. aber für Jobs brauche ich einfach ein Diplom, ein Studium und gut ist. Von arbeiten keinen Schimmer, aber einen Master und noch ein CAS….. Bei der Privatschule bezogen. Da ist eine gute Quote wichtig….

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        • Profilfoto von Nata
          Nata, 30.05.2023, 13:12 Uhr

          Es ist schade, dass über Alternativen oft mit solch einer abschätzenden Art gesprochen wird. Spannend wäre es sich mit Gegnern, die sich mit den Aternativen befasst hatten, über Vor- und Nachteile zu unterhalten.
          Da die Privatschulen so unterschiedlich sind, ist hier die Frage auf welche Art Schule sich der Kommentar bezieht.

          Übrigens höre ich von vielen Handwerksbetrieben, dass es oft schwierig ist Lehrlinge zu finden, die man „brauchen“ kann. Und auch bei den Studierenden gibt es immer wieder solche, die ihr Studium abbrechen, weil sie keine Lust haben da weiterzumachen.
          Der allergrösste Teil dieser Jugendlichen war in der Volksschule.
          Es wäre schön, wenn hier etwas differenziert an die Sache herangegangen würde.
          Wir alle dürfen uns immer wieder mal mit unseren Vorurteilen befassen und diese von Zeit zu Zeit überprüfen. Es könnte ja sein, dass einiges anders ist, als wir dachten…

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  • Profilfoto von Hanswurst
    Hanswurst, 29.05.2023, 10:48 Uhr

    Die gezielte Formung und das Framing der Gesellschaft erfolgen über Medien und Pädagogik, am leichtesten erkennbar an Diktaturen. Überdies ist und war Pädagogik als nicht exakte Wissenschaft immer anfällig für sektenhafte Strömungen und seltsame Wahrheitsansprüche. Dass die heutigen Bildungssysteme massiver Kritik unterliegen, resultiert aus den wenig überzeugenden Resultaten dieser verbürokratisieren und sich in andauerndem Reformstress befindlichen pädagogischen Institutionen. Somit ist nachvollziehbar, dass – leider vorab – gut situierte Eltern ihren Nachwuchs vor diesen wenig erfreulichen Entwicklungen und Einflüssen schützen wollen, Homescooling und oft nicht minder sektenhafte Privatschulen boomen.

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  • Profilfoto von Andi Sommer
    Andi Sommer, 29.05.2023, 08:44 Uhr

    Die Dienststelle Volksschulbildung schickt jugendliche Sonderschüler an Privatschulen, an welchen nebst dem Heil- und sonderpädagogischen sogar das Fach- und Stufenpersonal fehlt.

    Mehr als 60% IF/IS-Personal fehlt an der Volksschule seit Beginn der Integration vor 12 Jahren.

    Wer hatte hier mit den Homeschoolern ein Problem?

    Wie kann solch ein Entscheid vom Regierungsrat gerechtfertigt werden?

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  • Profilfoto von Alle schauen zu
    Alle schauen zu, 28.05.2023, 23:39 Uhr

    So wie die Leiterin der DVS über Kinder lästerte anfangs Woche, kann man sich gut vorstellen, dass man seine Kinder nicht an die Volksschule schicken möchte.

    Zudem fehlt es ja an über 60% !!! Förderlehrpersonen.

    Was Staatlicher Zwang ist, sollte immerhin Qualität ausweisen können.

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  • Profilfoto von Ti
    Ti, 28.05.2023, 20:50 Uhr

    In der öffentlichen Schule dürfen inzwischen Studenten und immer mehr Menschen ohne Lehrdiplom 25 Kinder und mehr unterrichten. Ausgebildete Lehrpersonen sollen aber unfähig sein 8 Homeschooling-Kinder gleichzeitig unterrichten zu können.
    Ist dies tatsächlich mit Logik erklärbar? Oder geht es nur um politische Schikane?
    Gerade für Familien, die sich eine Privatschule nicht leisten können, ihre Kinder aber nicht der öffentlichen Schule anvertrauen wollen, war die Zusammenarbeit mit einer Lehrperson ein guter Weg. Durch die Halbierung der bewilligten Kinder und anderer Schikanen wird dieser Weg immer mehr versperrt.
    Weshalb möchte die Regierung die Familien in ein System zwingen, das immer mehr unqualifizierte Menschen anstellt?
    So schade, dass nicht ein Nebeneinander verschiedener Schulformen und so vielleicht auch ein entspannteres Miteinander ermöglicht wird

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  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 28.05.2023, 19:26 Uhr

    Kann die Qualität der Bildung rapider abnehmen als in den öffentlichen Schulen?

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    • Profilfoto von Gruesse vom Einhorn Schlachthaus
      Gruesse vom Einhorn Schlachthaus, 28.05.2023, 21:03 Uhr

      Der freie Fall ins Bodenlose. Offenbar Lehrplan21. Oder Bologna. Oder beides!

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