Über Umwege zur Baubewilligung

Kooperation kauft «aus der Not» eine schimmlige Villa

Die Villa Diana am Geissensteinring in Luzern gehört neu der Kooperation Industriestrasse. (Bild: ewi)

An der Luzerner Industriestrasse fahren die Bagger auf: Das Grossprojekt der Kooperation Industriestrasse entsteht. Die Baubewilligung musste sich die Kooperation aber hart erkämpfen – respektive erkaufen.

An der Luzerner Industriestrasse werden in den nächsten Monaten und Jahren mehrere Neubauten in die Höhe wachsen. Auf dem Areal zwischen Industriestrasse und Geissensteinring entstehen 151 Wohnungen sowie 3000 Quadratmeter Arbeits- und Kulturfläche. Damit nimmt ein Projekt Form an, das als Grundstein und Vorzeigeprojekt für die heutige Stadtentwicklung in Luzern gilt.

Denn das Land gehörte der Stadt. Ursprünglich wollte sie dieses an einen privaten Investor verkaufen. Die Stadtbevölkerung wehrte sich jedoch dagegen und stimmte der Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse» deutlich zu. Damit wurde der Stadtrat verpflichtet, das Grundstück im Baurecht an Baugenossenschaften abzugeben, um damit den gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern (zentralplus berichtete). Dieses Vorgehen ist mittlerweile zum Standard bei der Arealentwicklung in Luzern geworden.

Doch seit der Abstimmung im September 2012 sind nun über elf Jahre vergangen, und vom Projekt ist noch immer nichts zu sehen – noch. Denn die Kooperation Industriestrasse, die sich aus den fünf Baugenossenschaften zusammensetzt, die das Areal gemeinsam entwickeln, teilte vor wenigen Tagen mit, dass die Baubewilligung für das Projekt endlich eingetroffen sei. Den Bauarbeiten steht somit nichts mehr im Weg.

Nachbar wehrt sich gegen Dimension des Projekts

Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie die Recherchen von zentralplus zeigen. Denn die Baubewilligung war vor nicht allzu langer Zeit noch hart umkämpft. Gegen den Gestaltungsplan, der dem konkreten Bauprojekt zugrunde liegt, gingen im Frühjahr 2022 zwei Einsprachen ein. Eine davon konnte schnell geklärt werden, doch ein Nachbar vom Geissensteinring 28 zeigte sich hartnäckig.

Künftig werden die Gebäude auf der linken Seite des Geissensteinrings deutlich höher sein als die Villa Diana. (Bild: ewi)

Es handelt sich dabei um eine Privatperson aus Zürich, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der Mann hat das Haus 2020 gekauft, um es zu restaurieren und selbst darin zu wohnen. Die weiteren Wohnungen wollte er vermieten. Gekauft hat er die «Villa Diana», wie das Haus am Geissensteinring 28 heisst, aufgrund ihrer denkmalpflegerischen Bedeutung. Die Villa gilt gemäss kantonalem Bauinventar als «schützenswert».

Er wehrte sich gegen das Projekt, weil dieses sein Haus auf der anderen Strassenseite erdrückt hätte. «Man wird hier künftig gegen eine Wand schauen», sagt er zu zentralplus. Doch die gewünschten Änderungen am Gestaltungsplan waren offenbar nicht mehr möglich. «So verliert die Villa Diana viel von ihrem jetzigen Charme», meint er. Darum kam es am Geissensteinring zu einem ungewöhnlichen Schritt.

Plötzlich gehört die Villa Diana der Kooperation

Denn eine Grundbuchabfrage des Hauses bringt Erstaunliches ans Licht: Eigentümerin der Villa Diana ist nicht etwa der Herr aus Zürich – sondern die Kooperation Industriestrasse.

So präsentiert sich die Sicht vom Geissensteinring auf das Areal Industriestrasse künftig. (Bild: zvg)

Das bestätigt die Kooperation auf Anfrage von zentralplus. Seit Herbst 2022 gehört das Haus der Kooperation. Im ursprünglichen Projekt war aber nie die Rede davon, dass die Kooperation die Villa Diana auf der gegenüberliegenden Strassenseite kaufen und ins Projekt integrieren möchte. Dass die Kooperation ausgerechnet Besitzerin jenes Grundstücks wird, dessen vorheriger Besitzer sich gegen das Projekt wehrte, ist ebenfalls auffällig.

«Für uns war das eine passende Gelegenheit, einige Hürden aus dem Weg zu räumen, die uns bei der Weiterentwicklung unseres Pionierprojektes behindert hätten.»

Nadja Bürgi, Geschäftsleiterin Kooperation Industriestrasse

«Die vorherige Besitzerin hat anfänglich Beschwerde gegen die Baubewilligung eingereicht», erklärt Nadja Bürgi, Geschäftsleiterin der Kooperation Industriestrasse. «Danach folgte bald die Idee unserseits, den Kontakt zum ehemaligen Besitzer zu suchen, um gewünschte Kaufverhandlungen aufzunehmen. Wir sahen darin nämlich die perfekte Gelegenheit, vielen Mieterinnen, die aus der Industriestrasse 17 wegen der Baustelle aus ihren Ateliers ausziehen mussten, neue Ateliers und damit neue Mietverhältnisse anzubieten.»

Tatsächlich zeigt ein Augenschein vor Ort, dass in der Villa Diana wieder Leben eingekehrt ist. Die Räume sind vorwiegend von Kulturschaffenden belegt. Nadja Bürgi freut sich: «Für uns war das ein sehr glücklicher Moment und eine passende Gelegenheit, einige Hürden aus dem Weg zu räumen, die uns bei der Weiterentwicklung unseres Pionierprojektes behindert hätten.»

Negative Töne im Geschäftsbericht

Deutlich weniger positiv wird der Kauf der Villa jedoch im Geschäftsbericht 2022 der Kooperation beschrieben. «Nach verschiedenen Gesprächen wurde es deutlich, dass der zweite Einsprecher auf seiner Position beharrt und seine Einsprache weiterziehen wird», wird im Geschäftsbericht die Ausgangslage beschrieben. Demnach hat der damalige Eigentümer die Kooperation vor die Wahl gestellt, ihm eine Entschädigung zu zahlen – oder das Haus zu kaufen.

Knapp 2 Millionen Franken hat die Kooperation für die Villa Diana bezahlt. (Bild: ewi)

Doch die Zeit drängte, und einen jahrelangen Rechtsstreit konnten und wollten sich die fünf Genossenschaften nicht leisten. Also liessen sie sich auf die Bedingungen des Einsprechers ein. «Aus einer Not heraus», wie es an einer anderen Stelle im Geschäftsbericht heisst.

1,9 Millionen Franken zahlte die Kooperation für das Haus und erhielt im Gegenzug ein gemäss Geschäftsbericht schimmelbefallenes und renovierungsbedürftiges Gebäude. Die Kooperation erhielt aber auch: freie Bahn für die Baubewilligung.

«Ich hatte viel Freude an der Villa Diana, und es tut weh, dass ich mein geplantes Projekt nicht realisieren und dort wohnen kann.»

Ehemaliger Besitzer der Villa

Wer den Geschäftsbericht liest, erhält den Eindruck, es habe sich um ein einseitiges Geschäft gehandelt. Auf der einen Seite steht der vorherige Eigentümer, der durch sein Einspracherecht der Kooperation seine Bedingungen aufzwingen konnte. Auf der anderen Seite die Kooperation, die unter Zeitdruck steht.

Kauf der Villa als einvernehmliche Lösung

Nadja Bürgi verneint dieses Narrativ: «Wir wurden nicht unter Druck gesetzt, und es wurden verschiedene Alternativen diskutiert. Nach dem Abwägen der unterschiedlichen Interessen stand der Kauf für uns im Vordergrund», stellt sie klar. Auch der Kaufpreis sei gerechtfertigt, diesen habe die Kooperation mit dem Eigentümer so ausgehandelt. «Vermutlich hätte der Verkäufer, wenn er auf den freien Markt gegangen wäre, einen höheren Verkaufspreis erzielen können», so Bürgi.

Auch der ehemalige Eigentümer wehrt sich gegen das Narrativ des bösen Investors aus Zürich, der die Kooperation erpresst. «Das bin ich definitiv nicht. Ich hatte viel Freude an der Villa Diana, und es tut weh, dass ich mein geplantes Projekt nicht realisieren und dort wohnen kann.» Doch der Verkauf an die Kooperation sei letztlich die einzig sinnvolle Option gewesen – sowohl für ihn als auch für die Kooperation.

Und was hat diese nun mit der Villa Diana vor? Zurzeit befinden sich mehrere Ateliers im Gebäude. Nach Abschluss der Bauarbeiten an der Industriestrasse – voraussichtlich im Jahr 2026 – wird die Villa umfassend saniert. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar.

Eine Villa besitzen, ohne zu wissen, was man damit machen will – das kommt wohl auch nicht alle Tage vor.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Nadja Bürgi
  • Telefonat mit dem vorherigen Eigentümer
  • Website der Kooperation Industriestrasse
  • Geoportal des Kantons Luzern
  • Geschäftsbericht 2022 der Kooperation Industriestrasse

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 27.11.2023, 09:08 Uhr

    Da gibt es die Möglichkeit, ein weiteres Haus der Spekulation zu entziehen, und erst noch ein denkmalgeschütztes Bijou. Das ist ein Freudentag für jede Baugenossenschaft und es wäre eine Steilvorlage für eine positive Botschaft. Aber die Kooperation Industriestrasse fühlte sich durch diesen Kauf wohl in ihrem seit 10 Jahren dauernden Tiefschlaf gestört. Ungeschickter kann man nicht kommunizieren.

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  • Profilfoto von Stefan Holzer
    Stefan Holzer, 25.11.2023, 14:37 Uhr

    Hoffentlich bleibt das schöne Gebäude erhalten.

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  • Profilfoto von camaro
    camaro, 25.11.2023, 13:50 Uhr

    Ich habe ganze Bundesordner über einen einzigen Fall. Gerichtsurteile etc etc. Dem Nachbarn gings nur ums Geld – Sagte dies sogar öffentlich. Nur Schade dass solche Machenschaften gesetzlich erlaubt sind.

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  • Profilfoto von Habakuck
    Habakuck, 25.11.2023, 11:11 Uhr

    «Eine Villa besitzen, ohne zu wissen, was man damit machen will – das kommt wohl auch nicht alle Tage vor»
    Doch in Luzern ist alles möglich !

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  • Profilfoto von Erika
    Erika, 25.11.2023, 07:35 Uhr

    So kann man sich auch bereicheren. Hässlich, was da gebaut wird

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