Luzerner Männer als Gewaltopfer

Wenn Frauen Männer schlagen

Bei der Luzerner Gewaltberatungsstelle agredis melden sich auch Männer, die von ihren Frauen geschlagen werden. (Bild: fotolia.com)

Häusliche Gewalt gegen Männer ist längst keine Seltenheit mehr. Ob Pfannen, Geschirr oder Schuhe − bevor gewalttätige Frauen ihren Partner schlagen, fliegen meist Gegenstände und Worte wie Giftpfeile durch die Luft, sagt ein Gewaltberater. Im Gespräch mit zentral+ erklärt er, was Frauen so rasend macht, dass sie zuschlagen.

«Ich traue mich kaum, Ihnen zu erzählen, warum ich hier bin», hört Gewaltberater Willi Lüthi, hin und wieder am Anfang eines Gesprächs. «Keine Angst», sagt er den verzweifelten Männer dann. «Ich habe schon viel gehört.» Damit meint er nicht nur die Geschichten von gewalttätigen Männern. Auch jene von Männern, die zum Opfer wurden − in den eigenen vier Wänden. Männer, die von ihren Frauen geschlagen oder unter Druck gesetzt werden.

«Diese Phänomen beobachten wir seit Jahren», so Lüthi. Wie viele Männer davon betroffen sind, bleibt unklar. Zahlen möchte man keine bekannt geben. Doch, welche Männer sind betroffen? Es gäbe kein bestimmtes Profil. Lüthi stelle jedoch fest, dass vermehrt Männer aus multikulturellen Ehen um Hilfe suchen würden. Häufig würden dabei südamerikanische Frauen als Täterinnen auffallen.

«Der Mann als Opfer ist im doppelten Sinne geschlagen», weiss Lüthi. «Einerseits von der Frau als Täterin und andererseits von der Gesellschaft, die kaum Verständnis für seine Situation aufbringt.» «Warum schlägst du nicht einfach zurück», heisse es aus dem Umfeld der Betroffenen oft − wenn der Mann es überhaupt wage, darüber zu sprechen, was er hinter verschlossenen Türen erlebt.

«Wir versuchen den Männern beizubringen, der Partnerin im richtigen Moment Grenzen zu setzen.»
Willi Lüthi, Gewaltberater bei agredis.ch

Polizei nahm Mann mit

Männer als Opfer

In den meisten Fällen von häuslicher Gewalt sind Männer die Täter. Dennoch melden sich seit Jahren immer wieder Männer aus der gesamten Zentralschweiz bei der Gewaltberatungsstelle agredis.ch in Luzern, die zu Hause geschlagen oder massiv unter Druck gesetzt werden und deswegen Hilfe suchen. Auch bei der Opferberatungsstelle des Kantons Luzern melden sich viele Männer. Im vergangenen Jahr war bei einem Total von 1'843 Hilfesuchenden fast jede dritte Person ein Mann. Bei agredis überlegt man sich, männliche Gewaltopfer in Zukunft bewusster anzusprechen. Denn: Bisher liegt der Fokus auf gewalttätigen Männern.

«Ein Teil der betroffenen Männer ist nicht nur Opfer sondern auch Täter», erklärt Lüthi. Dies, in dem sich die Paare verbal attackieren, bis die Fetzen fliegen − zuvor meist auch Gegenstände wie Pfannen, Geschirr oder Schuhe. «Wir versuchen den Männern beizubringen, der Partnerin im richtigen Moment Grenzen zu setzen und dies ohne Gegengewalt.» Dazu gehöre es auch, rechtzeitig deeskalierend auf die Frau einzuwirken. Doch eine Garantie, dass ein Streit im Frieden endet, gibt es selbst dann nicht immer.

Lüthi erzählt von einem besonders tragischen Fall aus seiner Praxis: Ein Mann hatte ein eigenes Zimmer als Rückzugsort, da seine Frau ihre Wut immer wieder nicht kontrollieren konnte. «Als sie erneut handgreiflich wurde, versuchte er, sich im Zimmer einzuschliessen − doch sie wollte dies nicht akzeptieren.» Die aufgebrachte Frau steckte ihren Arm zwischen Tür und Angel, um den Mann am Schliessen zu hindern, so dass der Arm schlussendlich blutunterlaufen war. Danach rief sie die Polizei. «Sie nahmen schliesslich den Mann mit und eröffneten ein Verfahren wegen häuslicher Gewalt gegen ihn», so Lüthi.

Frust, Beleidigungen und Schläge

Dass eine Frau völlig willkürlich physische Gewalt über einen Mann ausübe, käme sehr selten vor, erklärt Lüthi. Meist stehe ein seit langer Zeit bestehender Konflikt im Raum, der nie wirklich ausgetragen wurde. «Wenn das Schweigen durchbrochen wird, dann schiessen die Worte wie Giftpfeile aus den Frauen.» Aus Frust würden Beleidigungen ausgesprochen, die bis tief unter die Gürtellinie gehen. «Der Mann wird degradiert bis es ihm zu viel wird und eine Gegenreaktion erfolgt oder er sich aus der Situation begeben will. Dann eskaliert der Streit und wird zu einer körperlichen Auseinandersetzung», weiss Lüthi aus seiner 15-jährigen Erfahrung als Gewaltberater. Nicht selten schlagen Paare dabei gegenseitig auf sich ein.

«Gewalt ist immer eine Entscheidung.»
Willi Lüthi, Gewaltberater

In seinen Beratungen erlebt Lüthi auch häufig, dass sich männliche Gewalttäter als Opfer darstellen. Man habe eben keine andere Wahl gehabt, als zuzuschlagen, man hätte das alles doch gar nicht gewollt, heisst es dann. Doch, wie erkennt Lüthi bei seinen Klienten, ob er es nun tatsächlich mit einem Opfer zu tun hat und nicht doch mit einem Täter? «Diese Unterscheidung ist oft sehr schwierig», sagt der 64-Jährige. In seiner Tätigkeit gehe es in erster Linie darum, Personen in ihren individuellen Situationen zu helfen, sei dies durch Beratungen, Kriseninterventionen oder Verhaltenstherapie − unabhängig davon, ob es sich um einen Täter oder ein Opfer handelt.

Er stelle jedoch im Allgemeinen fest, dass Opfer sich eher zurückhaltend und verzweifelt verhalten, während Täter von der Natur her impulsiver auftreten würden und ihren Gefühlen weniger Ausdruck verleihen könnten. «Täter fressen den Frust in sich hinein, bis sie es nicht mehr aushalten und zuschlagen.»

Verhaltensänderung für Opfer

Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, würden die banalsten Alltagssituationen genügen. Wie etwa, wenn benutztes Geschirr stehen gelassen wird, die Stube mit den Schuhen betreten wird oder Kleider auf dem Boden landen. Auch Eifersucht sei häufig ein Thema. «Manchmal kann ich den Frust der Frauen sogar nachvollziehen», so Lüthi. «Aber Dreinschlagen kann nicht die Lösung sein.» Denn eines ist ihm besonders wichtig: «Ob Frau oder Mann − Gewalt ist immer eine Entscheidung.» Eine Verhaltensänderung sei der einzige Weg aus dem Kreislauf der Gewalt.

Was aber bringt den Opfern eine solche Verhaltensänderung? Sie sind schliesslich nicht diejenigen, die zuschlagen. «Opfer haben vielfältige Möglichkeiten auf die Partnerinnen einzuwirken», sagt Lüthi. Das Erlernen von Schutz- und Deeskalations-Strategien könne sehr viel bewirken; auch das bessere Kennenlernen seiner eigenen Bedürfnisse und die Ermunterung des Partners, sich professionelle Hilfe zu suchen. Manchmal sei jedoch eine Trennung unumgänglich. Doch das schöne an seinem Beruf sei, immer wieder zu sehen, dass einen Weg aus der Spirale der Gewalt gibt. «Gewalttätiges Verhalten kann verändert werden.» Der erste Schritt sei dabei die Entscheidung zu einer Veränderung − hin zu einem gewaltfreien Miteinander.

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