Zuger Kulturkommission ignoriert Fristen und Regeln

Welche Künstlerin eigentlich das Atelierstipendium hätte gewinnen müssen

Hätte eigentlich das Stipendium verdient: Vreni Spieser (in Umrissen) vor einer ihrer Arbeiten in Zug.

Bei der nächsten Sitzung des Zuger Stadtparlaments gibt ein umstrittenes Politikum aus dem Kulturbereich zu reden. Bereits zwei Vorstösse sind wegen des Entscheids der Kulturkommission eingegangen, ein eigenes Mitglied zu fördern. Es könnte noch mehr Ärger geben.

«Nur schon der Eindruck der Vetterliwirtschaft hat in einer modernen Stadtverwaltung nichts zu suchen.» Dies sagte der frühere Zuger Stadtpräsident Dolfi Müller (SP) vor fünf Jahren. Damals hatte eine Parlamentarische Untersuchungskommission des Zuger Stadtparlaments nach dem Skandal um den zurückgetretenen Zuger Stadtrat Ivo Romer (FDP) das Verhalten des Gesamtstadtrates untersucht. Und dabei zwar kein Fehlverhalten gefunden, aber «falsche Loyalitäten» und «fehlendes Fingerspitzengefühl» kritisiert.

Das Fingerspitzengefühl in der Zuger Stadtverwaltung hat sich seither nicht überall verbessert, wie ein aktueller Fall aus der Kulturkommission der Stadt Zug zeigt. Die hat mit ihrem Entscheid, ein Atelierstipendium an ein eigenes Mitglied zu vergeben, für Aufsehen gesorgt (zentralplus berichtete).

Schockierende Erkenntnis

Der Entscheid hat Zwischenrufe wegen Vetterliwirtschaft provoziert und bisher zwei parlamentarische Vorstösse im Stadtparlament ausgelöst (zentralplus berichtete).

Doch der Vergabeentscheid ist nicht nur unter den Gesichtspunkten der Corporate Governance fragwürdig – er ist schlicht ungerecht und falsch. Dies zeigen die Protokolle der Stadtzuger Kulturkommissionssitzungen. Sie lassen sich bei der Stadt Zug dank einer freigiebigen Auslegung des Öffentlichkeitsgesetzes einsehen.

Zwei waren zu spät

Das zentralplus bisher unbekannte Protokoll der Sitzung vom ersten Juli zeigt, dass nur eine Person das Stadtzuger Atelierstipendium für Genua im kommenden Frühling rechtzeitig beantragt hatte: Vreni Spieser, eine bildende Künstlerin, die in Zug aufgewachsen ist und in Zürich lebt.

Ein zweiter Bewerber reichte sein Konzept gemäss Protokoll kurz nach Ablauf der Frist vom 25. Juni ein. Die dritte Bewerbung, jene von Kommissionsmitglied Anu-Maaria Calamnius-Puhakka wird aber erst an jenem Tag aktenkundig, als sich die Kommission traf, um über die Ateliervergabe zu debattieren.

Freunde unter sich

Auch Calamnius-Puhakka, die ja über die Eingaben ihrer Konkurrenten im Bild war, erschien damals zur Sitzung. Ihr zuliebe beschloss die Kulturkommission der Stadt Zug unter Vorsitz von Stadtpräsident Karl Kobelt (FDP) die Entscheidung um zwei Monate zu vertagen – um das dritte, zu spät eingegangene Projekt der Kollegin prüfen zu können. Calamnius-Puhakka war ebenfalls dafür und erhielt bekanntlich am Ende das Atelierstipendium in Genua zugesprochen.

«Das Ganze lässt sich nicht aus der Welt schaffen, ohne es genau zu untersuchen.»

Stefan W. Huber, Fraktionchef der Grünliberalen im GGR

Auf die Gründe für diese Verschiebung angesprochen, sagt Karl Kobelt, er gebe dazu «keine Stellungnahme» ab. Er wolle der Beantwortung der Interpellationen von GLP und SVP durch den Stadtrat nicht vorgreifen. Diese finde am 19. November im Grossen Gemeinderat statt und falle «sehr umfangreich» aus.

Gibts noch mehr Hiobsbotschaften?

Damit werden sich die Kritiker aber kaum besänftigen lassen. «Angesichts all der Ungereimtheiten lässt sich das Ganze nicht aus der Welt schaffen, ohne es genau zu untersuchen», meint Stefan W. Huber, der Fraktionschef der Grünliberalen, zum Thema Kulturkommission.

Um einen allgemeinen Eindruck von der Arbeit der Stadtzuger Kulturkommission zu erhalten, hat zentralplus auch die restlichen Protokolle des vergangenen Jahres durchgesehen.

Engagement und Sachkenntnis

Und dabei den Eindruck eines engagierten Gremiums gewonnen, das mit Sachverstand und Emotionen um Entscheidungen ringt. Dabei wird gelegentlich auch geknausert, was wohl viele rechtsbürgerliche Politiker freuen dürfte.

Eine gewisse Verunsicherung ist hinsichtlich einer neuen Kulturstrategie zu spüren, die es auszuarbeiten gilt. Schliesslich hat man die derzeitige nun ein Jahrzehnt lang umzusetzen versucht.

Kein Bewusstsein für Befangenheit

Doch die Kommission gibt sich auch Blössen – nicht nur, indem sie selbstgesetzte Fristen ignoriert. Sie hat auch Schwierigkeiten, Ausstandsregeln einzuhalten.

Beim Vergabeentscheid von 30’000 Franken Fördergeldern fürs Young Dance Festival etwa treten die beiden mit dem Tanzfestival verbundenen Kommissionsmitglieder laut Protokoll offiziell in den Ausstand. Ihre Argumente schaffen sie aber dennoch in die Diskussion einzubringen. Andere Beispiele liessen sich anführen.

Spieser: «Muss damit umgehen können»

Bleibt die Frage, was Vreni Spieser dazu meint, der nach dem Buchstaben des Reglementes eigentlich das Atelierstipendium hätte zugesprochen werden müssen. «Ich bin schon enttäuscht», sagt sie.

«Ich habe den Eindruck, dass in Zug mit relativ wenig Geld viel erreicht wird.»

Vreni Spieser, Kunstschaffende

Allerdings bewerbe sie sich oft um Atelierstipendien und erhalte auch oft Absagen. «Damit muss man umgehen können.» Auf Genua habe sie sich gefreut, «weil ich mich mit der Stadt besonders verbunden fühle». Sie habe auch für eine Schweizer Kunstschule schon in Genua doziert. Mittlerweile habe sie aber andere Pläne für den kommenden Frühling gefasst.

Die Krux mit dem Konzept

Auf die Frage, warum sich nur so wenige Leute fürs Atelierstipendien bewerben, meint sie: «Diese städtischen Atelierstipendien – nicht nur jene von Zug – sind finanziell nicht gerade üppig dotiert.» Sie sei zwar von den Lebensumständen her flexibel und Auslandsaufenthalte Teil ihrer Arbeitsweise. «Aber auch ich musste mir gründlich überlegen, ob ich mir das leisten kann.»

Ein zweiter Hindernisgrund könnte sein, dass man ein professionelles  Konzept einsenden müsse, was viel Arbeit und Energie verschlinge – und normalerweise auch fristgerecht eingereicht werden müsse.

Wer profitiert vom Hickhack?

Zur Stadtzuger Kulturpolitik meint Spieser: «Ich habe den Eindruck, dass hier mit relativ wenig Geld viel erreicht wird.» Sie komme nach Zug, «wenn ich hier etwas Spannendes realisieren kann». Zum Hickhack um die Kulturkommission will sich Spieser nicht äussern. Sie wolle sich nicht instrumentalisieren lassen, sagt sie.

In der Tat wird spannend sein, welches politische Kapital die Parteien aus der Affäre zu schlagen versuchen. Deshalb sei die allgemeine Situation der Kulturförderung in der Stadt Zug skizziert. Die Entwicklung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel kennt in den letzten Jahren nur eine Richtung: Sie sinken, genau wie der Steuersatz.

Kulturgelder bleiben knapp

Zwar konnten einmalige Beiträge für Kulturprojekte stabil gehalten werden, aber beim Sparprogramm der vergangenen Jahre fuhr die Stadtregierung einem Rasenmäher gleich über die wiederkehrenden Subventionen und kürzte vielen Einrichtungen die Zuwendungen – allein der Chollerhalle wurden jährlich 20’000 Franken abgezwackt.

Mittlerweile schwimmt die Stadt Zug wieder im Geld, weist 36 Millionen Franken Überschuss aus. Doch die Kulturbeiträge wurden nicht wieder erhöht. Ausserdem gebärdet sich die Stadtregierung bei Bauprojekten gegenüber Kulturschaffenden, als ob sie kurz vor dem Bankrott stände. 

Dumpingpreise für Kunst am Bau

Für die Ausstattung des neuen Stadthauses im alten Landis&Gyr-Gebäude hat sich die Stadtverwaltung elegant herausgeputzt. Das Depot mit den einst gesammelten Kunstschätzen wurde geleert, sodass die neuen Räumlichkeiten teilweise wirken wie eine Kunstgalerie.

Die Stadt hat überdies auch einige Künstler eingeladen, neue Kunst-am-Bau-Projekte zu verwirklichen – und sie mit aussergewöhnlich niedrigen Löhnen abgespiesen, wie Recherchen von zentralplus ergaben.

Demnach entspricht ihre Abgeltung knapp einem Sechstel dessen, was der Berufsverband Visarte als Entschädigung für solche Projekte empfiehlt. Wie sagt der Volksmund doch so treffend: Von den Reichen lernt man sparen.

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