Wenn die Familie fehlt

So feiert das Asylzentrum in Steinhausen Weihnachten

Titus Rüedi ist der Durchgangsstationsleiter. (Bild: ens)

Im Jahr 2023 haben fast 25’000 Personen in der Schweiz einen Asylantrag gestellt. In der Durchgangsstation Steinhausen helfen einige unter ihnen tatkräftig bei den Vorbereitungen für Weihnachten mit. zentralplus hat sich das genauer angeschaut.

Es weihnachtet in der Durchgangsstation in Steinhausen: Der Christbaum, der vor der Tür steht, ist gut bestückt und bunt geschmückt. Rote Kugeln hängen an den Ästen. Ein kleiner Schneemann ziert das Fenster direkt dahinter.

In der Durchgangsstation Steinhausen leben derzeit 86 Klientinnen. Sie kommen aus Afghanistan, der Türkei, ganz Afrika oder Südamerika und finden hier ein Zuhause für die nächsten sieben bis zwölf Monate, nachdem sie während 140 Tagen in einem Bundesasylzentrum untergebracht wurden.

Erst kürzlich wurden sie vom Samichlaus besucht. Der reformierte Pfarrer von Steinhausen hat sich als Samichlaus verkleidet und den Weg vom Samichlaus-Jungen zum erwachsenen Samichlaus erzählt – mithilfe eines Bilderbuchs. Das erzählt der Durchgangsstationsleiter Titus Rüedi bei einem Besuch vor Ort. «Die Freude war bei allen spürbar. Lustigerweise haben sich vor allem die jungen Männer wie Kinder auf den Besuch gefreut», so Rüedi. «Die Kinder kannten den Samichlaus bereits von der Kita oder der Schule und waren ebenfalls aus dem Häuschen.» Während der Samichlaus die Weihnachtsgeschichte erzählte, war es mucksmäuschenstill.

In Steinhausen liegt Weihnachtsstimmung in der Luft. (Bild: ens)

Vielen fehlt die Familie

Bereits vor Betreten spürt man die Weihnachtsstimmung. Ein grosser hölzerner Stern schmückt einen Zaun. Dahinter arbeiten drei Männer und schneiden einen weiteren Zaun zurecht. Beim Betreten der Station laufen mehrere Männer durch die Gänge. Im Hintergrund spricht eine Frau spanisch, jemand anderes grüsst mit einem Lächeln und leiser Stimme.

Viele Menschen kehren in dieser Zeit zu ihren Anfängen zurück: ihren Familien. Und genau diese Familie fehlt den Klienten meistens. «Viele von ihnen haben entweder nur jemand hier oder sind ganz allein», so Rüedi. Deshalb haben die Menschen in der Vorweihnachtszeit ein stärkeres Redebedürfnis. Zwischen fünf bis sechs Gespräche führen die Sozialarbeiterinnen pro Tag. Auch sie spüren: Die Familien werden vermisst.

Klientinnen lernen Schweizer Bräuche kennen

Umso wichtiger ist es, dass sie in dieser Zeit eine Beschäftigung haben und auch die Schweizer Bräuche besser kennenlernen. Ein Arbeitsagoge unterstützt die Klientinnen dabei, die Schweizer Kultur kennenzulernen. Er ist für die arbeitstechnische Beschäftigung während den Monaten in der Durchgangsstation zuständig und geht mit allen Klientinnen jeden Morgen auf einen Spaziergang durch Steinhausen.

Ausserdem ist er für die Basis Lernwerkstatt zuständig. Dort werden alle Personen im Alter zwischen 18 bis 65 Jahren je nach Fähigkeiten eingeteilt. Während eines Monats arbeiten sie an diesen Fähigkeiten und kriegen am Ende eine Arbeitsbestätigung. Später können sie eine weitere gemeinnützige Beschäftigung absolvieren. Dann erhalten sie neben einer Arbeitsbestätigung auch eine Entlohnung. So versucht man, bereits in der Durchgangsstation eine erste Integration in den ersten Arbeitsmarkt anzustreben. Denn neben den Bräuchen ist ebenso das Verständnis für Arbeit wichtig.

Auch die Zeit vor Weihnachten wird für solche Arbeiten genutzt. So verkauft die Durchgangsstation Steinhausen beispielsweise jedes Jahr handgefertigte Artikel aus der eigenen Werkstatt am Weihnachtsmarkt in Steinhausen. «Damit möchten wir eine Brücke zur Schweizer Bevölkerung bauen», sagt Rüedi. Bei einer Tasse Chai (ein Schwarztee mit Zucker und Milch) sollen die Klienten ihr erlerntes Deutsch anwenden und idealerweise mit den Menschen auf dem Weihnachtsmarkt ins Gespräch kommen. Mit diesen Aktionen will die Durchgangsstation die Integration der Klienten in die Gesellschaft fördern.

Als wir um die Mittagszeit in der Küche stehen, ist das Treiben bereits in vollem Gang. Frauen mit Kopftuch stehen am Herd, zwei Männer in Adiletten heben ihre Pfannen von der einen Küchenplatte auf die andere. Es ist Donnerstag. Heute dürfen sie selbst kochen. Das ist aber nicht jeden Tag so. Am Dienstag kocht man gemeinsam in der Unterkunft oder isst am Mittagstisch der Gemeinde Steinhausen zu Mittag. Gegessen wird an gemischten Tischen. Das soll ebenfalls die Durchmischung und Integration fördern. Zur Weihnachtszeit ist aber auch das etwas anders.

Social Media als Inspirationsquelle für Weihnachtsbräuche

Jedes Jahr im Dezember wird am Mittagstisch ein Weihnachtsessen vom Team zubereitet. «Die Idee kam von unseren Zivis. Sie lernen dadurch auch die typische Schweizer Küche während Weihnachten besser kennen», sagt Rüedi. «Das Befassen mit den hiesigen Gebräuchen hilft bei der Integration. Sie merken, welche Bedeutung Weihnachten für uns hat. Auch wenn gewisse unter ihnen nicht verstehen, weshalb man beispielsweise nicht das ganze Jahr hindurch Lichterketten aufhängt.»

Auf dem gleichen Stock wie die Küche befinden sich die Zimmer der Männer. Vor den Türen haben sie ihre Sommerschuhe in Plastiksäcken deponiert. Die Winterschuhe stehen dicht gedrängt daneben. Bis zu sechs Personen teilen sich hier die Zimmer. Einen grossen Spind haben sie für ihre Habseligkeiten zur Verfügung. Der Platz ist beschränkt. Bald soll es mehr Raum geben, in den nächsten zwei Jahren wird die Durchgangsstation neu gebaut (zentralplus berichtet).

«Gewisse Frauen haben über Social Media vom Brauch gehört, einen Socken an Weihnachten aufzuhängen.»

Titus Rüedi, Leiter Durchgangsstation Steinhausen

Bei der Zimmereinteilung achten sie darauf, dass die Nationalitäten durchmischt werden. «Wir wollen keine Gruppenbildung», erklärt Rüedi. So fördere es das Klima untereinander. Einen Stock oberhalb befinden sich die Zimmer der Frauen und Familien. Hier kommen uns zwei junge Frau entgegen, auch sie grüssen freundlich, wechseln ein paar Worte mit dem Durchgangsleiter und gehen weiter. An einigen Türen hängen Weihnachtsdekorationen, an einer Tür ein Weihnachtssocken.

«Gewisse Frauen haben über Social Media vom Brauch gehört, einen Socken an Weihnachten aufzuhängen», sagt Rüedi dazu. Soziale Medien sind also auch hier Thema. Mithilfe von TikTok hätten sie beispielsweise auch Ideen gesammelt, wie sie den Weihnachtsbaum in der Eingangshalle schmücken können.

Auch wenn Titus Rüedi und seinem Team durchaus bewusst ist, dass sie den Klienten ihre teilweise traumatischen Fluchterfahrungen und schwierigen Schicksale nicht abnehmen können, so versuchen sie dennoch, den Menschen besonders während der Weihnachtszeit Trost zu spenden. So, wie es Familien normalerweise tun würden.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Titus Rüedi
  • Website von der Durchgangsstation Steinhausen
  • Informationsbroschüre für die Klientinnen der Durchgangsstation
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


4 Kommentare
  • Profilfoto von Franz
    Franz, 22.12.2023, 16:03 Uhr

    Es fällt mir gerade kein lateinamerikanisches Land ein, wo Krieg herrscht oder Menschen aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden. Folglich ist es Armutsmigration. Sorry für die Störung der weihnachtlichen Feierstimmung.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runter
    • Profilfoto von Input
      Input, 22.12.2023, 23:55 Uhr

      In Nicaragua, Venezuela und El Salvador (fortlaufender Ausnahmezustand) sind Menschen die sich gesellschaftlich und politisch entgegen der Regierungsmeinung engagieren, grossen Repressionen ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen sind aufgrund der Absenz eines funktionierenden Rechtsstaates an der Tagesordnung.

      👍2Gefällt mir👏2Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
      • Profilfoto von Franz
        Franz, 23.12.2023, 11:16 Uhr

        Stimmt, aber die Menschen flüchten in die Nachbarländer oder die USA. Wer die nötigen Mittel hat, schafft es nach Europa, und da ist das natürliche und in den meisten Fällen auch das tatsächliche Ankunftsland Spanien, wo die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Lateinamerikaner viel lockerer sind als bei uns. Es gibt eigentlich keinen Grund für eine (Weiter-)Reise in die Schweiz.

        👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
  • Profilfoto von Fuchs A.
    Fuchs A., 22.12.2023, 11:31 Uhr

    Es muss niemand bleiben, sie haben sich entschieden ihr Land zu verlassen, also jetzt nicht jammern, kriegen von uns ja mehr also genug zum leben.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎4Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon