Spinnerei-Labor der Hochschule Luzern

In der Viscosistadt wird am Textil von morgen gestrickt

Hier wird das fertige Garn gestrickt. (Bild: mre)

Im «Spinnlab» der Hochschule Luzern in Emmenbrücke testen Forscherinnen neue Fasern. Sie wollen die Lücke zwischen Wissenschaft und Industrie schliessen.

Wo früher Nylon-Strumpfhosen im Akkordtempo produziert wurden, forschen mittlerweile Wissenschaftlerinnen an der Textilproduktion mit Brennnesselfasern. Tina Moor, Leiterin des Labors in der Viscosistadt, sagt: «Kleider wird man daraus kaum machen können.» Dafür seien die Fasern zu rau. Für andere Textilien könne die Naturfaser aber durchaus nützlich sein. Moor und ihre Kollegen der Hochschule Luzern sind noch am Herausfinden, wie sie aus dem Material industrietaugliches Garn herstellen können. Der Prozess bedarf unzähliger Testläufe.

Tina Moor, die Leiterin des Labors, erklärt die Maschinen. (Bild: mre)

Die Forscherinnen der HSLU tüfteln im «Spinnlab» an diversen Natur- und Recyclingfasern. Schweizweit einzigartig ist dabei die Grösse des Labors. Die kleinen Maschinen ermöglichen es, neue Garne mit nur 20 bis 30 Gramm Fasern zu testen. Für den Test einer neuen Faser an den grossen Maschinen in der Industrie braucht es mindestens 150 bis 200 Kilogramm Material – also fast die 10’000-fache Menge. Daran scheitert häufig der Weg von der Forschung zur Industrie, erklärt Tina Moor, Dozentin an der Hochschule und Leiterin des Spinnlab.

Es besteht ein «riesiges Problem» bei der aktuellen Textilherstellung

Das Labor in der Viscosistadt will diese Lücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schliessen. Und das sei dringend nötig. «Wir haben ein riesiges Problem mit der aktuellen Textilherstellung», erklärt Moor. Synthetische Textilien verursachen bei unsachgemässer Entsorgung grosse Umweltprobleme. Der Anbau einer höheren Menge an Naturfasern wie beispielsweise Baumwolle sei auch nicht möglich, da dafür schlicht die weltweiten Ressourcen fehlen. Es bestehe daher ein grosser Bedarf an alternativen (Natur-)Fasern, erklärt Moor.

Die Dozentin zeigt zentralplus im Spinnlab den Weg von der Faser zum Textil. In einem ersten Schritt legt Moor die aufbereiteten Fasern auf ein Förderband. Die Maschine kämmt die Fasern, bringt sie also alle in die gleiche Richtung. Es entsteht ein feines Vlies. Danach fasst die Maschine das Vlies zu einem Strang zusammen und dreht ihn leicht ein. Hier lässt sich zum ersten Mal die schnurartige Form erkennen.

Dieses Band spannt die Forscherin dann in die nächste Maschine ein. Diese «verknetet» das Material und zieht es lang. Im Anschluss dreht die Maschine ein sogenanntes Vorgarn und rollt es auf eine Spule. Das Produkt sieht im Moment wie handelsübliches Strickgarn aus. Damit das Garn für die Textilproduktion tauglich ist, müssen es die Wissenschaftlerinnen noch weiter verarbeiten.

Das nächste Gerät, die Spinnmaschine, streckt das Vorgarn noch einmal um ein Vielfaches und dreht es stark um die eigene Achse. Dadurch wird es dünner. Das Material ist nun genügend reissfest für die Weiterverarbeitung. Moor fädelt das Garn zum Schluss in die Labor-Strickmaschine. Diese macht aus dem Faden einen Stoff.

Die Forscherinnen brauchen viel Geduld, bis ein Versuch klappt

Bei den Maschinen können die Forscherinnen jeweils diverse Einstellungen vornehmen. Der erste Schritt – das Kämmen der Fasern – kann beispielsweise in unterschiedlichem Tempo durchgeführt werden. Hier zieht Moor einen anschaulichen Vergleich: «Stark verknüpfte Haare müssen auch ein wenig langsamer gekämmt werden, sonst reisst man sie sich aus.» Jedes Material brauche daher andere Bedingungen, damit es richtig gesponnen werden kann. Bei den herkömmlichen Fasern wie Baumwolle seien die notwendigen Einstellungen bekannt. Bei neuen Materialien brauche es viele Versuche und Geduld, um die richtigen Bedingungen herauszufinden.

Das Labor wird seit etwa einem Jahr betrieben. Am Anfang benötigten die Forscherinnen viel Zeit, um die Maschinen kennenzulernen und korrekt anwenden zu können. Dem Team verbleiben jetzt noch zwei Jahre Zeit, um ein Betriebskonzept zu erstellen. Für Tina Moor ist klar: «Wir wollen aus dem Labor einen Ort für Lehre, Forschung, Designer und die Industrie machen, wo an Lösungen für die Herausforderungen der Textilindustrie gearbeitet wird.»

In Emmenbrücke wird seit 1906 gesponnen

Auf dem Gelände der Viscosistadt ist das Spinnen von Garn keine neue Tätigkeit. Das Areal ist bekannt als ehemaliger Standort für die Textilproduktion im grossen Stil (zentralplus berichtete). Im Jahr 1906 gründete der Franzose Ernest Carnot die Société de la Viscose Suisse an der Kleinen Emme – daher auch der Name Viscosi. Das Unternehmen begann mit der Produktion von Kunstseide und wuchs rasant. In den kommenden Jahren kam unter anderem auch die Herstellung von Garnen für die Reifenindustrie und die Produktion von Nylon dazu.

Die Firma wurde zu einer der wichtigsten Arbeitgeberinnen in der Region. Im Jahr 1960 stammten 1,2 Prozent aller Schweizer Exporte aus der Textilfabrik auf dem Viscosi-Gelände. Das Unternehmen erreichte 1973 seinen Höhepunkt mit 5500 Angestellten und einer Jahresproduktion von 54’500 Tonnen. Danach häuften sich wirtschaftliche Krisen. Der Personalbestand musste nach und nach abgebaut werden.

Als die Firma 2009 kurz vor Konkurs stand, gründete sich die Monosuisse AG. Das Unternehmen stellt bis heute Garn an der Kleinen Emme her. Seit 2014 wird das Areal rund um die Fabrik von der Viscosistadt AG gestaltet. Im Jahr 2016 zog das Departement «Design Film Kunst» der Hochschule Luzern nach Emmen um.

Das Spinnerei-Labor der Hochschule befindet sich in den Räumlichkeiten der Monosuisse AG. Die Maschinen finanzierte die Zürcher Stiftung Hulda und Gustav Zumsteg.

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort
  • Persönliches Gespräch mit Tina Moor
  • Website der Viscosistadt
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 21.01.2024, 17:44 Uhr

    ich verstehe nicht,das man das schnellwachsende und somit Nachhaltige Bambusfassern für samtweiche Stoffe fördert!?!?
    Brennessel ist vielseitig Verwendbar (Mineralstoffe usw) und gesünder als zb Rahmspinat!
    Zudem könnte der Hanfstengel für Kleider auch verbessert werden der einen schönen kühlenden effekt hat, aber schwehr auf der Haut liegt !
    Aber alle drei haben gern Wasser und die Brennessel gerne Urin als Dünger und werdrn gerne von Schmetterlinge besucht! Aber weil die Brennessel sich durch brennende Nessel schützt ,wird sie unbeliebt als Unkraut angesehen! Dabei ist es eine so Nützliche Pflanze!

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon