An der Luzerner Tagwacht mit teutonischem Besuch

Achtung, fertig, Urknall!

Der Nauen mit der Fritschi-Familie an Bord rückt pünktlich zur Tagwacht am Schmutzigen Donnerstag im Seebecken an.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Die Berichterstattung zum Auftakt am Schmutzigen Donnerstag soll so sein wie die Lozärner Fasnacht: Bunt, witzig und optimistisch. Ohne ständige Nörgelei von jenen, die den Mega-Anlass doof finden – so wie ich. Da gibt’s nur eines: Ich schleppe zu meiner Motivation einen Besucher aus Deutschland mit.

Eingewandert aus dem reformierten Bern, habe ich es auch in 20 Jahren Luzern nicht geschafft: Die Fasnacht Lozärn packt mich nicht. Doch wer will schon das Genörgel einer genervten Journalistin hören? Niemand. Himmel sei Dank, habe ich gerade jetzt einen Untermieter. Einen Deutschen, genaugenommen einen Bayern. Er heisst Mark und war noch nie an einer Fasnacht. Weder hüben noch drüben.

Er soll mein Versuchskaninchen sein. «Grossartig! Das muss man einfach mal gesehen haben!», schwärme ich ihm vor. Mark macht mit. Die Sache ist für mich geritzt: Am Schmutzigen Donnerstag laufen wir um 4.30 Uhr los und schauen, wie es so guugget und gaagget. Doch ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Am Vorabend will Mark wissen, wie wir uns verkleiden. «Gar nicht», sage ich und ernte einen fassungslosen Blick. «Verkleiden ist das oberste Gebot! Ohne Maske wird man hier gelyncht.» Seufz.

Huerenaff-Kafi und Fötzeliräge

Mark ist Musik-Regisseur und für eine Produktion am Luzerner Theater zu Gast (zentralplus berichtete). Dort hat er sich bei den Kollegen aus der Technik schlau gemacht. Und sich seriös vorbereitet. Fazit: Er weiss jetzt besser über die Gepflogenheiten an der Fasnacht Bescheid als ich. Er hat auch die wichtigsten Begriffe wie «Fötzeliräge», «Huerenaff-Kafi» und «rüüdig» auf Mundart intus – was bei mir noch immer im Bernerdialekt rüberkommt.

Also gut, verkleiden. Ich wühle im Schrank und finde eine rote Halbmaske mit langer Nase. Für mich selbst grabe ich einen Strohhut und falsche Zähne aus – das sieht so hässlich aus, dass ich nicht mal ein Selfie zu schiessen wage. Aber immerhin: Wir sind verkleidet, Mark zufrieden.

On the road mit Mark aus Deutschland, der noch nie an einer Fasnacht war.

On the road mit Mark aus Deutschland, der noch nie an einer Fasnacht war.

(Bild: chweb)

Um 4.30 Uhr stehen wir an der Bushaltestelle. Gähn. Ein paar Vöglein trillern, das ist schön. Im Bus drängen sich noch leicht verschlafene Gestalten. Ausser uns beiden ist kaum jemand verkleidet. «Das wird dann schon noch anders», versichere ich meinem Begleiter. Aussteigen am Bahnhof. Erster Dichtestress als Vorgeschmack. Wir schlendern zur Seebrücke Richtung Schwanenplatz. Noch ist es dunkel. Mark beisst in einen süssen und ich in den sauren Apfel.

Wir und 16’000 andere Fasnächtler

«Sag mal, wo sind denn da die Betrunkenen? Das hab ich mir jetzt ganz anders vorgestellt!», ruft Mark. Weit und breit sind keine Alkoholleichen zu sehen und kaum jemand mit Bier in der Hand. «Das kommt dann schon noch», vertröste ich ihn. Dann ist nix mehr mit Sprechen. Die Menge ist angeschwollen, wir quetschen uns ans Brückengeländer und halten Ausschau nach dem Nauen, auf dem die Fritschifamilie anschaukelt. Natürlich sehen wir nichts, das Gedränge ist komplett. Ausser Mark und mir sind 16’000 andere Fasnächtler hier. Und zwar gefühlt um und auf uns. Das sind 2000 Leute mehr als im letzten Jahr. Angezogen vermutlich vom milden Frühlingswetter.

5 Uhr. Die Lichter gehen aus. Dann knallts. Eine rosa Rauchwolke über dem Seebecken, kurz glüht das Feuerwerk. Fritschi ist da. Inklusive Detonation. «Wie ist das mit dem Urknall hier in Luzern eigentlich gemeint?», fragt Mark. Am Anfang des Universums stand der Urknall, aus dem sich sämtliches Leben entwickelte. So jedenfalls sieht man das in der modernen Kosmologie. Eigentlich seltsam, dass ausgerechnet die katholische Hochburg Luzern darauf zurückgreift. Statt auf Geschichten wie Adam und Eva. Egal. Hier ist mit dem Urknall der Startschuss für die Fünfte Jahreszeit gefallen.

Punkt fünf geht’s los mit dem Urknall als Startschuss für die Fasnacht.

Punkt fünf geht’s los mit dem Urknall als Startschuss für die Fasnacht.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Zwischen Playboy-Häsli und Superman

Das Signal für die Guuggenmusigen ist laut und deutlich und wirkt sofort: Ein fröhliches Gelärm geht los, Trompeten und Pauken hauen uns um die Ohren, die Guuggen legen los und die halbe Welt steht am Schwanenplatz und wartet auf etwas. Auf den «Fötzeliräge». Abertausende Papierschnitzel werden in die Luft geschleudert. Dieser Papierregen wird allerdings auf dem Kapellplatz über die Fasnächtler geschüttet, wir müssten also noch 100 Meter bis dorthin zurücklegen. Mark und ich geben alles. Aber es nützt nichts: Der Stau ist perfekt, es geht weder vorwärts noch rückwärts. Eingeklemmt zwischen Bären und Playboy-Häslis, zugedrückt von Superman und Zauberfee erhaschen wir nur einen Blick auf jene Fötzeli, die es ganz hoch hinauf in den Himmel schaffen.

Den Fötzeliregen auf dem Kapellplatz sieht man auf Fotos besser denn vor Ort im Gedränge.

Den Fötzeliregen auf dem Kapellplatz sieht man auf Fotos besser denn vor Ort im Gedränge.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Keine Alkohol-Leichen in Sicht

«Und jetzt? Wie geht es weiter?», will mein Gast wissen. Ich ziehe ihn hinter mir her durch die Gassen auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Zu sehen gibt es viel, zu erzählen wenig. Unter den Tausenden Leuten entdecken wir nur wenige individuelle Masken und «Grende». Mark ist enttäuscht. Viele Kostüme kommen aus dem Internet, angeliefert von Zalando und etwa so originell wie die fixfertigen Strassenkostüme. Das ist vermutlich wie mit den Alkoholleichen: Die witzig und sorgfältig Kostümierten tauchen bestimmt später auf. Oder sie gehen im Moment in der Masse an unkostümierten Schaulustigen unter. 

Kurt Cobain dreht sich im Grab um

Auf der Rathaustreppe brettert eine Guuggenmusig einen Song von Nirvana. Kurt Cobain würde sich vermutlich im Grab umdrehen, wenn er das hören würde. Aber das tut er zum Glück nicht. Wir durchqueren die Altstadt bis zum Mühlenplatz, jetzt ist die Menge lichter geworden. Es ist kurz vor 7 Uhr. Mark will sich noch aufs Ohr hauen, bis die Theaterproben beginnen.

Und was denkt mein deutscher Gast von der Lozärner Fasnacht? «Tja … die ultimative Ekstase find ich das nicht gerade», zieht Mark Bilanz. Erwartet habe er eigentlich eine wildere Sache. Und mehr an Urchigem und Traditionellem – sowohl was Kostüme wie die Guuggenmusigen angeht. Weitere Stichworte von meinem Gast sind: Gemütlich, familiär, friedlich, schön. «Eigentlich willst du sagen: Es ist spiessig», versuche ich ihm suggestiv auf die Sprünge zu helfen.

Doch das weist er zurück beziehungsweise formuliert es etwas verschwurbelt um: «Wäre in Deutschland ein Karneval so, würden nur Spiesser hingehen. Aber in der Schweiz kenne ich mich nicht aus, und darum würde ich mir niemals ein Urteil anmassen.» Tja. Mir als Bernerin geht es ganz ähnlich. Es ist schön. Aber vermutlich kapiere ich noch in weiteren 20 Jahren nicht, wo und wie man an der Lozärner Fasnacht den ulitmativen Kick findet.

Nach der Tagwacht geht die Fasnacht auch für diese zwei Figuren weiter. Und das bei mildem Frühlingswetter und Sonnenschein.

Nach der Tagwacht geht die Fasnacht auch für diese zwei Figuren weiter. Und das bei mildem Frühlingswetter und Sonnenschein.

(Bild: Pascal Zeder)

Als nächster Höhepunkt der Fasnacht steht heute Donnerstagnachmittag der Fasnachtsumzug mit dem Fritschivater an und dann folgt Schlag auf Schlag der nächste Streich. zentralplus hat einen Serviceteil mit den wichtigsten Facts zusammengestellt.

 

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