Leerstand auf dem Zugerberg

Zuger Sennhütte: Ein Haus mit bewegter Geschichte steht vor einer ungewissen Zukunft

Idyll auf dem Zugerberg: Blick auf die Sennhütte und den Sonnenuntergang über dem Lindenberg.

(Bild: zvg)

Von der Käserei zur Brandruine, vom Eigenheim einer Arztfamilie zur Therapiestation für Drogensüchtige: Die Geschichte der Sennhütte auf dem Zugerberg ist abenteuerlich, ihre Zukunft ungewiss.

Das rot lackierte Tonschild hängt – wohl aus Sympathie zum ehemaligen Besitzer und Bewohner – noch immer neben der Eingangstür. «F. Hotz» ist darauf zu lesen.

Dabei hat sich Franz Hotz, 85 Jahre alt, schon längst von der markanten Liegenschaft auf dem Zugerberg verabschiedet: Der bekannte Zuger Zahnarzt und langjährige CVP-Politiker gerät ins Schwärmen, wenn man ihn auf seine Zeit in der Sennhütte anspricht. «Das war ein Abenteuer! Und angefangen hat alles, weil ich nicht Pfarrer werden wollte.»

Pfarrer? Genau. Franz Hotz sollte – wie zuvor sein Grossonkel Franz Xaver Utinger – in der Kantonsschule Zug Griechisch lernen, dann Theologie studieren und später der katholischen Kirche dienen. Aber dazu hatte er keine Lust.

Beim Ziehen eines Zahns eröffnet sich die Gelegenheit

Statt Griechisch- besuchte er Englischlektionen und studierte anschliessend Zahnmedizin. Als Hotz im Jahre 1964 einem Bauer einen Zahn ziehen musste, erzählte dieser dem naturbegeisterten Dr. med. dent. von einer einmaligen Gelegenheit: auf dem Urihof am Zugerberg stand ein 6000 Quadratmeter grosses Stück Wiesland zum Verkauf.

Hotz griff zu. Und weil auf der neu erworbenen Parzelle ein Servitut lastete, wurde Zahnarzt Hotz nicht nur Landbesitzer, sondern automatisch Mitglied der «Sennhüttengesellschaft Hintergrüt». Diese war für die Käseproduktion und den Schweinestallbetrieb in der Sennhütte verantwortlich, einem 1880 erstellten Bau.

Sennen wollten Käfer mit Rauch bekämpfen

Am Auffahrtsmorgen des 1. Juni 1973 kurz vor 6 Uhr ereignete sich die grosse Katastrophe. Die Sennhütte fing Feuer und brannte lichterloh. Trotz sofortigem Aufgebot und Grosseinsatz der Feuerwehr – 100 Mann waren gemäss Zuger Tagblatt vor Ort – konnte der Brand kaum gebändigt werden.

Kurz nach 7 Uhr stürzte der westliche Flügel samt Dach ein. Wenig später brachte die Feuerwehr den Ostflügel zum Einsturz. Wie nur konnte es dazu kommen? Eine brennende Kerze? Ein Kurzschluss? Oder wollte man etwa «warm abbrechen»? Brandstiftung, mutmasste das Tagblatt, «dürfte nicht ausgeschlossen sein».

Die Sennhütten-Gesellschaft sah sich zu einer Erklärung genötigt: Der Holzbock, eine Art Borkenkäfer, habe das Holz geschädigt. Dem wollte man «im Rahmen einer Bekämpfungsaktion mit einem Feuer zur Raucherzeugung» den Garaus machen.

Das Vorhaben sei leider dumm gelaufen und die Glut vom Metallbehälter auf den Holzboden gefallen. Von Absicht könne keine Rede sein. Allerdings: Weil der Giebel noch stand, handelte es sich entgegen der Einschätzung der Gesellschaft nicht um einen Voll-, sondern nur um einen Teilbrand.

Statt 250'000 Franken erhielt sie von der Gebäudeversicherung darum nur 150'000 Franken; mit der Auflage, die Sennhütte wiederaufzubauen. Die Krux an der Sache: Für die Instandstellung waren weitere 100'000 Franken nötig und diese Summe konnte die Gesellschaft unmöglich aufbringen. Doch war da nicht der sympathische Zahnarzt, der allenfalls Interesse hatte?

Wohnen mit Gänsen, Schafen, Hunden und Katzen

Und ob! Hotz packte auch diese Gelegenheit beim Schopf. Denn: Die Wiederinbetriebnahme der Käserei war kein Thema mehr. Stattdessen bot sich die Möglichkeit, die Sennhütte zu kaufen und fortan als Eigenheim zu nutzen.

Wohnen im Grünen, weg von der Zivilisation, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen – das hatte sich Naturfreak Hotz schon immer erträumt. Doch wie gesagt: Damit die Brandruine überhaupt als Zuhause für eine sechsköpfige Familie taugte, musste sie zuerst aufwändig saniert werden; eine Aufgabe, der sich der Zuger Architekt Urs Keiser annahm.

Im Sommer 1977 war es schliesslich so weit. Das Ehepaarf Franz und Susy Hotz zog mit seinen vier Kindern Christoph, Ursula, Beni und Ruedi ein. Als Mitbewohner hinzu kamen Gänse, Schafe, Hasen, Hunde und Katzen. Weil die Liegenschaft ausserhalb der Bauzone lag, durfte nur die Hälfte der Immobilie bewohnt werden, der andere Teil musste gemäss gesetzlichen Vorgaben «land- und forstwirtschaftlichen Zwecken» dienen.

Der Preis: Ein langer Schulweg

Der Zahnarzt genoss sein abgelegenes Zuhause als Kontrapunkt zur Berufstätigkeit in Zug. Und für die Kinder war es schlicht das Paradies – umgeben von Tieren, Bäumen, einer grossen Feuerstelle und einem riesigen Gemüsegarten tobte man sich aus.

Da wurde musiziert, gekocht, grilliert, gegärtnert und – das Familienalbum zeugt davon – mit guten Freunden immer mal wieder eine ordentliche Party geschmissen.

Allerdings hatte die idyllische Wohnlage auch ihre Kehrseite. Direkte Nachbarn gab es keine, dafür einen sehr langen Schulweg, den die Kinder zu bewältigen hatten. Der Schulbus verkehrte nur vom Tal zum Berg. Vor allem Ehefrau Susy fühlte sich hier oben vom gesellschaftlichen Leben etwas abgeschnitten und vermisste die Nähe zum Kantonshauptstädtchen je länger je mehr.

Aus dem Skeptiker wird ein Kämpfer

Im Jahre 1980 meldete sich unverhofft Heinz Greter bei den Hotzens. Der damalige Kantonsschullehrer war Mitglied der kantonalen Drogen- und Suchtmittelkommission und hatte eine Idee: Sollte die Familie eines Tages einen Wegzug in Betracht ziehen, könnte man doch die Sennhütte als Therapiehaus für aussteigungswillige Drogenabhängige nutzen.

Hotz war skeptisch: Ein Haus für Fixer? Drögeler? Selbstverständlich hatte auch er mitbekommen, wie sich die Drogenproblematik in den 1980er Jahren verschärft hatte und er sah, dass Handlungsbedarf bestand. Aber wirklich anfreunden konnte er sich mit dem Vorschlag nicht.

Bis er sich das Elend auf dem Zürcher Platzspitz ansah und nach dem Augenschein entschlossen war: «Diese Menschen sind krank. Sie brauchen professionelle Hilfe und unser reicher Kanton kann etwas dazu beitragen.»

Als Troubleshooter gelang es Franz Hotz, zwischen dem «linken» Drogenforum, der «rechten» Kantonsregierung und der Gemeinnützigen Gesellschaft – Trägerin der Entzugsstation – zu vermitteln. Auch gegen den erbitterten Widerstand der bäuerlichen Nachbarschaft kämpfte der wortgewandte und clevere Hotz erfolgreich an.

Breite Unterstützung aus der Politik

Sein Wort hatte Gewicht. 1985 wurde man sich schliesslich einig. Die Hotzens zogen aus, die therapiewilligen Suchtkranken ein. Elf Jahre später erwarb der Kanton das Haus und vermittelte Franz Hotz im Gegenzug den Erwerb der Liegenschaft Stolzengraben in Oberwil.

Wie viel Goodwill und Vertrauen die schweizweit renommierte Suchtinstitution in politischen Kreisen genoss, zeigte sich eindrücklich im Jahre 2006. Da stand im Zuger Kantonsrat ein Kredit für den Anbau eines Büropavillons zur Debatte.

Dieser war für die Zukunft der Sennhütte von grosser Bedeutung, weil er erlaubte, die Administration vom Haupthaus in den Pavillon zu verlagern und somit mehr Therapieplätze im Wohnbereich anzubieten. In der vorbereitenden Kantonsratskommission wurde die Kreditvorlage in der Höhe von 215'000 Franken konstruktiv beraten und im Rat schliesslich deutlich mit 68 zu 1 Stimmen gutgeheissen.

Franz Hotz blieb der Institution Sennhütte stets verbunden. Er behandelte die Suchtmittelbetroffenen (um die viele seiner Arztkollegen lieber einen Bogen machten) über seine Pensionierung hinaus. Zum Glück ist er nicht Pfarrer geworden.

Künftige Nutzung der Sennhütte unklar

Am 1. Mai 2020 hat sich die Drogenentzugsstation nach 35 Jahren aus der Sennhütte verabschiedet und Räumlichkeiten in der GGZ-eigenen Liegenschaft im Unterhorbach bezogen. Seither stehen das stattliche Wohnhaus, die Werkstatt und der hölzerne Büropavillon leer. Wie, fragen sich seither Passanten, geht es mit der Sennhütte weiter?

Der Kanton, der die Liegenschaft im Jahre 1996 erworben hat, scheint (noch) keine konkreten Pläne damit zu haben. Der Baudirektion ist gemäss Auskunft «kein öffentlicher Bedarf für die künftige Verwendung der Liegenschaft bekannt».

Untätig ist man nicht geblieben. Bevor über die künftige Verwendung der Sennhütte entschieden wird, gilt es laut Kanton bau- und raumplanungsrechtliche Fragen zu klären. Weil die Liegenschaft in der Landwirtschaftszone liegt, sind diesbezüglich einige Hürden zu nehmen. Die Baudirektion prüft verschiedene Szenarien.

Welcher Nutzung das historische Haus auch immer zugeführt wird: Ein Versinken der Sennhütte in einen Dornröschenschlaf würde von der Bevölkerung kaum goutiert. Die unsägliche Geschichte des Theilerhauses darf sich nicht wiederholen. Diese Liegenschaft des Kantons stand 30 Jahre lang leer, bis sie jetzt doch noch saniert und umgebaut wird und der Bevölkerung voraussichtlich Ende 2024 zur Verfügung steht.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Vreni Juen
    Vreni Juen, 19.10.2021, 10:29 Uhr

    Warum nicht für Schulklassen eine Woche Schulverlegung in die Sennhütte – mit Unterricht in Naturkunde, Sport usw?

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