Gleich in zwei Vorstössen fordern Zuger Politiker einen digitalisierten Ratsbetrieb. Das Büro des Kantonsrats hat dafür jedoch kein Gehör. Es fürchtet das Missbrauchspotenzial. Für die Postulantinnen unverständlich.
Eigentlich präsentiert sich der Kanton Zug gerne innovativ, insbesondere bei Digitalthemen wie Kryptowährungen. Beim Politbetrieb setzt Zug hingegen lieber auf die alte Schule. Auf einen Vorstoss von SP-Kantonsrätin Virginia Köpfli und SVP-Kantonsrat Philip C. Brunner hat der Kantonsrat im Frühjahr 2022 drei Livestream-Versuche gestartet. Danach war Schluss.
Und soll es auch bleiben. Das Büro des Zuger Kantonsrats beantragt mit 4 zu 5 Stimmen, das Postulat nicht erheblich zu erklären.
Parlamentarier debattieren vor Kamera anders
Für das Büro überwiegen die Nachteile einer Liveübertragung klar. So befürchtet es, dass sich die Debattenkultur im Kantonsrat verändert. Aller Voraussicht nach würden Parlamentarier ihre Voten vermehrt dramatisieren, damit sie beim Publikum mehr Eindruck schinden könnten.
«Der Livestream wurde erst dreimal durchgeführt. Das ist noch gar nichts.»
Philip C. Brunner, SVP-Kantonsrat
Gleichzeitig sieht das Büro hinter den Livestreams grosses Missbrauchspotenzial: «Wegen der beliebigen Wiederholbarkeit der Wortmeldungen würden unbedacht gemachte Äusserungen genauso wie bewusst platzierte Provokationen eine bisher nur momentan entstehende Empörung immer wieder von Neuem auslösen und befeuern.»
Behörden sorgen sich um Missbrauch
Zudem könnten Audio- und Videoclips der Sessionen aus dem Kontext gerissen und im Nachhinein öffentlich angeprangert werden. Damit hätten Livestreams ein «ungleich höheres Schadenspotenzial» als die schriftlichen Protokolle.
Das Büro befürchtet, dass dabei die «Würde der Legislatur» leiden könnte. «Es gibt weltweit zu viele Beispiele von Live-Übertragungen von Parlamentsdebatten, die wenig Sinn und Nutzen stiften, dafür aber die Legislative und teilweise das ganze Land unnötigerweise in Verruf bringen.»
Nicht zuletzt wäre die Umsetzung auch mit Aufwand verbunden. Das Büro rechnet mit Kosten von 7’700 bis 47’000 Franken, je nach Art der Umsetzung. Zumal das Interesse der Bevölkerung daran sich in Grenzen hält. Das ernüchternde Fazit des Pilotversuchs: Nur gut 110 Personen verfolgten die jeweiligen Sessionen. Und dies auch nur für wenige Minuten.
Postulanten halten an der Idee fest
Die Postulanten halten jedoch an der Idee fest. «Das Büro des Kantonsrats hat den Entscheid relativ knapp abgelehnt. Ich bin also noch voller Hoffnung», meint Philip C. Brunner auf Anfrage. Für ihn ist das geringe Interesse nicht ausschlaggebend: «Der Livestream wurde erst dreimal durchgeführt. Das ist noch gar nichts.»
«Es klingt für mich so, als ob die Classe politique weiterhin unter sich bleiben soll.»
Virginia Köpfli, SP-Kantonsrätin
Die Livestreams seien ein Luxus, den sich der Kanton Zug durchaus leisten dürfe. Denn so hätte die Zuger Bevölkerung die Möglichkeit, interessante Geschäfte einfacher zu verfolgen. Auch die Sorge um allfällige Missbräuche des Videomaterials teilt der SVP-Kantonsrat nicht. «Man kann mit den Videos nicht einfach machen, was man will. Schliesslich gibt es Persönlichkeitsrechte.»
Dieselbe Meinung vertritt auch Mit-Postulantin Virginia Köpfli. «Wir haben ein gutes politisches Klima und dürfen ruhig etwas Vertrauen in die Zuger Bevölkerung haben.» Um eine Aussage aus dem Kontext zu reissen und zu verdrehen, brauche es viel bösen Willen.
Politik näher an die Zugerinnen bringen
Grundsätzlich findet die SP-Kantonsrätin die Haltung des Büros schade. «Es klingt für mich so, als ob die Classe politique weiterhin unter sich bleiben soll.» Ein Umstand, den die SP-Kantonsrätin bedauert. «Gerade im Wahlkampf merke ich immer wieder, dass die Politik als Fremdstück zum normalen Leben wahrgenommen wird.»
Es müsse deshalb im Interesse des Kantonsrats sein, mit den Livestreams einen einfachen Zugang zur Zuger Politik zu schaffen. Dass dieser nur auf wenig Anklang stösst, glaubt Köpfli nicht. «Das Pilotprojekt ist sehr still vonstattengegangen.» Die Staatskanzlei habe gar nicht versucht, den Livestream breit bekannt zu machen. «Dabei wäre es an uns Politikern, einen Effort zu leisten, die Politik näher ans Leben der Zugerinnen zu bringen.»
In Luzern kommt das Format an
Über die Kantonsgrenzen hinaus macht man gute Erfahrungen mit den Livestreams. «Die Direktübertragung ist eine zeitgemässe und niederschwellige Art, die Sessionen des Kantonsrats öffentlich zugänglich zu machen», meint etwa Andreas Töns, Kommunikationsleiter der Luzerner Staatskanzlei.
«Direktbetroffene, Organisationen und Medienschaffende, die sich für einzelne Vorlagen interessieren, müssen sich nicht extra in den Ratssaal bemühen.» Dabei stosse nicht nur die Liveübertragung auf Interesse, auch die archivierten Aufnahmen würden stark genutzt.
- Unbedingt! Das war zum Teil sehr aufschlussreich.
- Nein, was die Zuger Politiker treiben, ist mir sowieso egal.
- Es gab mal Livestreams?
Ob das Konzept auch im Zuger Kantonsrat Anklang findet, wird sich frühestens – aber eher unwahrscheinlich – am 29. September zeigen. Aber vorerst nicht am Bildschirm, sondern weiterhin «nur» in den Räumen an der Seestrasse 2.
- Bericht und Antrag zum Postulat 3350
- Telefonat mit Philip C. Brunner, SVP-Kantonsrat
- Telefonat mit Virginia Köpfli, SP-Kantonsrätin
- Schriftlicher Austausch mit Andreas Töns, Leiter Kommunikation Staatskanzlei Luzern