Vereinbarkeit von Politik und Familie

Luzerner Stadtrat hält wenig von Teilzeit-Züslis und -Bitzis

Eine Luzerner Grossstadträtin ist überzeugt: Das Amt als Luzerner Stadtrat ist derzeit mit Familienarbeit nicht vereinbar. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Mit zwei Vorstössen machen sich Luzerner Grossstadträtinnen für eine bessere Vereinbarkeit von Politik und Familie stark. Der Luzerner Stadtrat ist mässig begeistert.

«Es verlangt definitiv etwas von einem ab»: Das sagte Silvana Leasi, die für die Mitte seit März 2022 im Grossen Stadtrat sitzt. Familie, Beruf und Politik unter einen Hut zu bringen, das ist für einige Politiker in Luzern herausfordernd (zentralplus berichtete).

Gleich in zwei Vorstössen setzten sich Luzerner Grossstadträtinnen für eine bessere Vereinbarkeit ein. Regula Müller, Claudio Soldati und Denise Feer argumentierten in einem eingereichten Postulat namens der SP-Fraktion, dass bei Mitgliedern der Stadtregierung die Belastung durch die zeitliche Inanspruchnahme, die thematische Vielfalt und die Verantwortung besonders hoch sei.

Jobsharing und Stellvertreterlösung gefordert

So forderten sie den Stadtrat auf, Arbeitsmodelle zu entwickeln, welche die Tätigkeit als Stadtrat mit Familienarbeit vereinbar machen. Wie beispielsweise Jobsharing. Sie sind zudem der Meinung, dass die durchschnittliche Wochen- bzw. Jahresarbeitszeit das Pensum von 80 Prozent nicht übersteigen dürfte.

In einem weiteren Postulat kam das Thema Stellvertretungsregelung für Stadtparlamentarier aufs Tapet. Grossstadträte von Grüne/Junge Grüne, SP, Mitte, GLP und FDP forderten den Stadtrat auf, solche Modelle auszuarbeiten. Da eine Stellvertreterlösung mit dem kantonalen Recht unvereinbar ist, sollte die Stadt beim Kanton vorstellig werden und eine Änderung der kantonalen Gesetzgebung verlangen. Bereits auf kantonaler Ebene gab es einen ähnlichen Vorstoss: Die Luzerner Regierung zeigte sich offen für das Anliegen (zentralplus berichtete).

Amt als Stadtrat teilen? Undenkbar

Nun hat der Luzerner Stadtrat zu beiden Anliegen Stellung genommen – und äussert sich skeptisch. Gerade, was die Idee von Topsharing betrifft. Topsharing bedeutet das Teilen einer Führungsfunktion – in dem Fall das Teilen des Ausführens der Stadtratstätigkeit.

«Die politische Verantwortung ist unteilbar.»

Luzerner Stadtrat in seiner Stellungnahme

Der Stadtrat betont, dass in der städtischen Verwaltung Job- und Topsharing auf allen Hierarchiestufen gefördert werde. Die Mitglieder des Stadtrates seien jedoch keine Verwaltungsangestellten, keine Arbeitnehmerinnen, sondern politische Amtsträgerinnen. «Die politische Verantwortung ist unteilbar», argumentiert der Luzerner Stadtrat. Zudem ist er der Ansicht, dass sich Stadträte – oder die, die es werden wollen – wissen, worauf sie sich einlassen. «Die Ausübung des Amtes ist mit einer hohen Belastung und mit hohen Erwartungen an die Verfügbarkeit verbunden, Abend- und Wochenendeinsätze gehören zum Geschäft.»

Deswegen verwirft er die Idee eines Topsharings. Zumal dieses Modell höherrangigem Recht widerspräche. Denn um das Amt als Stadträtin teilen zu können, müssten sowohl Gemeindeordnung als auch das kantonale Stimmrechtsgesetz angepasst werden. Letzteres sieht vor, dass jeder Wahlvorschlag höchstens so viele Kandidatennamen enthalten darf, als Sitze zu besetzen sind.

Der Stadtrat will jedoch mit «organisatorischen Massnahmen» die Arbeitsbedingungen der Stadträtinnen verbessern. Namentlich durch eine «sachgerechte Delegation von Aufgaben und Verantwortlichkeiten an Stabsmitarbeitende». Wie das konkret aussehen soll, will er den Vorsteherinnen selbst überlassen.

Grossstadträtin schüttelt ratlos und enttäuscht den Kopf

SP-Grossstadträtin Regula Müller schüttelt «ratlos» den Kopf über diese Ausführungen. Sie war im Vorfeld überzeugt, dass das Postulat auf offene Ohren im Stadtrat stossen würde und dieser ebenfalls an einer «zeitgemässen Ausführung des Amts interessiert» sei. «Dass man offenbar zu keiner Veränderung bereit ist, stösst bei mir auf Unverständnis», schreibt sie auf Anfrage. In einer Zeit, in der die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowie Work-Life-Balance immer wichtiger werden, enttäuscht es sie, «dass man sich offensichtlich dieser Entwicklung verschliesst».

Sie stört sich insbesondere an der Aussage, dass politische Verantwortung nicht teilbar sei. «Dass Verantwortung nicht teilbar ist, ist ein klassischer Führungsgrundsatz, der wie viele aus dem Militär stammt», so Müller. Würden Handlungsfelder, Organisationen und Prozesse immer komplexer, müsse Verantwortung – wenn nicht geteilt – dann auf verschieden Schultern verteilt werden. «Es ist keine Schwäche, Verantwortung zu teilen. Es ist ein Zeichen von Realismus und Bescheidenheit», so Müller. «Politische Verantwortung würde so nicht abgeschoben, sondern gemeinsam übernommen.»

«Es ist bezeichnend, dass dieses Postulat von einem Gremium abgelehnt wird, welches entweder kinderlos ist oder deren Kinder bereits erwachsen sind.»

Regula Müller, SP-Grossstadträtin

Zumal kritisiert die 41-Jährige, dass es nicht erwiesen sei, dass eine Doppelkandidatur bundesverfassungswidrig sei. Hätte der Stadtrat das Postulat entgegengenommen, wäre es seine Aufgabe gewesen, zu klären, ob es nötig wäre, die Gemeindeordnung oder das kantonale Stimmrechtsgesetz anzupassen. Dass der Stadtrat dies im Vorhinein ausschliesse, zeige umso deutlicher, «dass der Stadtrat in alten Denkstrukturen verharren will», so Müller.

«Es ist bezeichnend, dass dieses Postulat von einem Gremium abgelehnt wird, welches entweder kinderlos ist oder deren Kinder bereits erwachsen sind.» Sie ist überzeugt, dass das Amt für manche qualifizierte Anwärterinnen nicht erstrebenswert sei. Denn: «So wie sich das Amt als Stadträtin oder Stadtrat derzeit gestaltet, ist es nicht möglich, sich die Care-Arbeit in der Familie mit dem Partner oder der Partnerin aufzuteilen.»

Sitzt seit September 2019 im Grossen Stadtrat: Regula Müller. (Bild: SP Stadt Luzern)

Stellvertreter für Grossstadträtinnen: Ja, aber …

Auch bei der Stellvertreterlösung für Parlamentarier drängt sich der Stadtrat nicht gerade auf. Er verweist auf den Vorstoss, der auf kantonaler Ebene eingereicht wurde. Die Luzerner Regierung hielt damals fest, dass sie erst abklären will, ob in den Gemeinden überhaupt ein Bedürfnis nach einem solchen Modell vorhanden ist. Gegebenenfalls will sie dann für alle Parlamentsgemeinden ein einheitliches Modell ausarbeiten. Der Stadtrat findet dieses Vorgehen sinnvoll und würde eine Mitwirkung begrüssen.

Allerdings steht er dem Modell selbst skeptisch gegenüber, wie er selbst zugibt. «Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine bloss sporadische Teilnahme an Kommissionssitzungen oder an Sitzungen des Grossen Stadtrates mit ungenügender Kenntnis der Dossiers und des parlamentarischen Betriebs einhergehen würde», schreibt er in seiner Stellungnahme. Er befürchtet, dass der Wert eines Parlamentsmandats durch eine Stellvertretungsregelung vermindert würde. Und dass so der Grosse Stadtrat «als Teil im System des kooperativen Zusammenwirkens der Gewalten geschwächt würde».

Verwendete Quellen
  • Postulat 213
  • Stellungnahme des Stadtrates zum Postulat 213
  • Postulat 232
  • Stellungnahme des Stadtrates zum Postulat 232
  • Schriftlicher Austausch mit Regula Müller, SP-Grossstadträtin
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Geraldine Zosso
    Geraldine Zosso, 12.07.2023, 06:49 Uhr

    Oh, da scheint jemand aber richtiggehend „getüpft“ zu sein. Durchkreuzt die Antwort des Stadtrates die persönlichen politischen Karrierepläne?

    In politische exekutiv-Ämter wähle ich Personen & Persönlichkeiten und nicht einfach Mitarbeiter

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  • Profilfoto von Der Wirt
    Der Wirt, 11.07.2023, 18:33 Uhr

    Die politische Verantwortung ist unteilbar: Vier müssen gehen.

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    Chris, 11.07.2023, 16:55 Uhr

    Gute Ideen kommen immer aus der linken Ecke

    Teilzeit für Stadträte
    Mehr Ferien generell
    Mehr Vaterschaftsurlaub
    Eintritt Badi gratis
    Gehaltserhöhungen

    Usw, usw

    Ich staune immer wieder

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      Sandro, 11.07.2023, 22:01 Uhr

      Hoffentlich meinen sie das ironisch.

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  • Profilfoto von Stefan Ernst
    Stefan Ernst, 11.07.2023, 12:54 Uhr

    Vielleicht sollte man sich vorher überlegen ob man kandidiert, wenn man der Aufgabe zeitlich nicht gewachsen ist. Nur so eine Idee.

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  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 11.07.2023, 12:32 Uhr

    Wie sagte doch, als Marie-Françoise noch Parlamentarierin war, ein FDP-Vertreter zu einer grünen Fraktionskollegin? „Das ist doch der allerkälteste Kaffee, der hier je aufgetischt wurde, seid ich im Rat sitze.“ Diesen Spruch könnte man als herzhaftes „ceterum censeo“ nach fast jeder Forderung von linksgrüner Seite anbringen. Kälter und kälter und kälter.

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