Unterwegs bei «Jeder Rappen zählt» in Luzern

Nix mit Rappen: Im Topf sind Millionen

Die kleinen Fans schauen in die Glasbox zum Musiker Adrian Stern, der bei der SRF–Aktion mitmacht.

(Bild: web)

Gaudi und Rambazamba vor dem KKL Luzern: SRF sammelt Geld, die kurz «JRZ» genannte Aktion ist auf allen Kanälen präsent. Der Ruf wird gehört: Bereits nachmittags ist es auf dem Europaplatz rappelvoll. Und viele Leute haben ihre Spendierhosen angezogen.

Am Bahnhofplatz lümmeln Teenies herum. Auch für sie könnte man sammeln: Dann könnten sie Söckli kaufen, und müssten ihre Nikes nicht mit nackten Fussknöcheln durch die Kälte spazieren.

Doch heute geht das Geld woanders hin: Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat wieder zur grossen Spendeaktion «Jeder Rappen zählt» (JRZ) geblasen. Eine Woche lang sendet SRF3 live vom Europaplatz vor dem KKL Luzern und sammelt. Der Erlös geht an Kinder, die auf der Flucht sind. Beziehungsweise zu Hilfsorganisationen, die Projekte in diesem Bereich unterstützen. Gespendet wird vor dem KKL auf Schritt und Tritt, das Motto ist unübersehbar: Guetzli für Kinder auf der Flucht, Tee für Kinder auf der Flucht, Teddybär für Kinder auf der Flucht. Aktueller Spendenstand: 2’886’979 Franken!

Das Gelände vor dem KKL ist schon nachmittags proppenvoll.

Das Gelände vor dem KKL ist schon nachmittags proppenvoll.

(Bild: web)

Würde da nicht ein Tannenbaum herumstehen, könnte man die Aktion glatt mit dem Blue-Balls-Festival verwechseln. Es riecht nach Bratwürsten und Bretzeln, um den Platz herum stehen Holzhüttchen und Bars, dazwischen eine Bühne und ein Glaskasten, und über allem referiert die aufgedrehte Stimme eines Moderators von SRF3. Eine glatte Sache.

Kinderwagen und Journalisten stehen herum

Ich stürze mich ins Gewühl. Als Erstes brünzlet mir ein Pony vor die Beine. Das süsse Pferdchen gehört zu einer kleinen Karawane, die sich mit Kindern auf dem Rücken einen Weg rund um den Brunnen bahnt. Nicht ganz einfach, denn nebst gefühlten 100 Kinderwagen stehen auch viele Journalisten mit Kameras und Mikrofonen im Weg: SRF gibt in diesen Tagen alles und sendet live aus Luzern, also ist auch das entsprechende Equipement inklusive Personal aufgefahren. 

Gerade wird beim Tannenbaum gefilmt. Als Bescherung stehen dort übrigens riesige Päckli von den Luxusgüter-Herstellern Gübelin und Bucherer herum. Aber darum geht es nicht, sondern um die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMAS), die hier gleich das Tanzbein schwingen.

Die Spendeaktion «Jeder Rappen zählt» wird rundum von SRF-Journalisten begleitet.

Die Spendeaktion «Jeder Rappen zählt» wird rundum von SRF-Journalisten begleitet.

(Bild: web)

Die etwa 20 jugendlichen Asylsuchenden sind aus dem solothurnischen Zentrum Selzach angereist, tragen Samichlaus-Mützen und warten schlotternd auf ihren Auftritt. Endlich sind die Kameras platziert. «Ja, es war schwierig zu lernen», muss einer der Jungs ins Mikrofon sagen, und dann geht es los. Na ja. Die paar Schritte hin und her und auf und ab hauen einen nicht aus den Socken. Aber natürlich ist die Sympathie gross, die Leute klatschen mit, und es kommt Stimmung auf in der klirrenden Kälte.

Jugendliche aus dem Asylzentrum Selzach (SO) haben einen Tanz eingeübt:

Und freundlich grüsst Dr. Oetker

Für fünf Franken kann man bei einer Verkäuferin mit Bauchladen Guetzli kaufen. Mit freundlichen Grüssen von Dr. Oetker. Die Firma gehört zu den Produktesponsoren des Anlasses. Demnächst wird die Backwaren-Firma in Luzern ein Restaurant aufmachen, ein sympathischer Einstieg in das neue Umfeld macht da offensichtlich Sinn (zentralplus berichtete). Auch Aldi ist präsent: Am Stand des Grossverteilers können Stofftierli gekauft werden, die man dann selber ausstopfen kann.

Plüschtierli ausstopfen ist hoch im Kurs. Auch bei Anita und Sandra mit ihren Kindern.

Plüschtierli ausstopfen ist hoch im Kurs. Auch bei Anita und Sandra mit ihren Kindern.

(Bild: web)

«Die Kinder können selber etwas machen, das ist super», sagen Anita und Sandra. Sie sitzen beide mit ihren Kindern am Holztisch, es wird konzentriert gewerkelt. Bereits sind ein Pingu und ein Bärli richtig dick gefüllt und wieder zugenäht. Die Kleinen drücken die Tierli ans Gesicht und haben leuchtende Augen. «Die Kinder können etwas mit nach Hause nehmen. Das ist eine schöne Erinnerung», sagen die Mütter.

Rundumschau im Flüchtlingscamp

Anders ist das für Ahmer: Er hat kein Zuhause und auch nichts zum Mitnehmen in die ungewisse Zukunft. Die Geschichte des Flüchtlingsjungen kann man am Stand der Glückskette anschauen. Und das wortwörlich: Brille aufsetzen und schon sitzt man selber in der kargen Unterkunft eines jordanischen Flüchtlingsheims und kann zuschauen und dabei sein, wie Ahmer in der Hütte herumgeht. Alles 3D und das auch noch rundum in einem Winkel von 360° sichtbar. Der junge Ahmer und seine Umgebung, die Tristesse und die Folgen des Kriegs sind zum Greifen nahe. Der Effekt ist verblüffend und mir persönlich zu viel: Ich will nicht dort sein und klicke mich zurück auf den turbulenten Europaplatz.

Mit der 3-D-360°-Brille kann man sich in ein jordanisches Flüchtlingscamp beamen.

Mit der 3-D-360°-Brille kann man sich in ein jordanisches Flüchtlingscamp beamen.

(Bild: web)

«Viele Kinder probieren die Brille aus, weil sie auf die Technik neugierig sind», sagt die Frau von der Glückskette. «Auch vom Inhalt bleibt den meisten etwas hängen.» Wer will kann ein Brillengestell aus Karton mitnehmen. Dort kann man sein Handy hineinlegen und diesen oder andere Filme selber in 360° und 3D schauen. Die App zum Runterladen und die Videos online gibt es bei der Glückskette.

Im Epizentrum des Geschehens

Mitten im Getriebe gibt es auch noch das Eisfeld. Papis kurven schnittig darauf herum, kleine Schlittschuhläufer klammern sich an Pinguine, und sogar ein Rollstuhlfahrer dreht Pirouetten auf der glatten Fläche. Auf Glatteis begibt sich soeben auch der Sänger Adrian Stern. Er ist zu Gast im Epizentrum des Geschehens: in der Glasbox!

Schlussspurt mit Highlights

Bis und mit Freitag gibt es noch ein dichtes Programm mit Promi-Gästen und Konzerten. So sind etwa Heidi Happy, Lovebugs oder Bastian Baker zu hören.

Am Freitag wird «Jeder Rappen zählt» zur Primetime mit einer Live–Fernsehsendung auf SRF abgeschlossen. Nick Hartmann begrüsst vor Ort auf dem Europaplatz zahlreiche Gäste. 

In dem durchsichtigen Kasten sitzt der jeweilige Moderator von SRF, es wird live gesendet und auch direkt auf die Grossleinwand nebenan projiziert. Damit das aufregend bleibt, gibt es jede Menge prominente Gäste. Zum Beispiel Heidi Happy, Bastian Baker, die Band Gotthard oder eben Adrian Stern. Am Schaufenster kleben die jungen Fans und winken ihrem Star entgegen. Es ist ein bisschen wie im Zoo vor der Fütterung des Löwen.

Adrian Stern singt Lieder nach Wunsch aus dem Publikum. «Halleluja!» zum Beispiel. Ein schönes, rühriges Lied von Leonard Cohen. Daran kann auch die grottenschlechte Akkustik nichts ändern: Der Gesang ist kaum hörbar. Beim zweiten Song tönt es schon etwas klarer. Aber so richtig gute Tonqualität gibt es erst bei der Durchsage der Staumeldung um 15.30 Uhr. Gut so: Es ist ja hier auf dem Europaplatz auch unglaublich wichtig zu wissen, wo die Zürcher überall mit ihren Autos herumstehen.

Adrian Stern singt als lebende Jukebox Musikwünsche von Besuchern auf dem Europaplatz (Video: SRF):

Für ein Selfie mit Adrian Stern fehlt mir die Geduld, das ist nur was für Hardcore-Fans. Ebenfalls viel Geduld brauchen jene, die zum Spenden gekommen sind. Das Geld kann bei einem Fenster in der Glasbox in einen Schlitz gesteckt werden, bedanken tut sich der Moderator mit persönlichen Worten, und auch ein Föteli wird gemacht. Die Schlange der Wartenden ist gefühlte zwei Kilometer lang.

Suppentag und Ämtli schenken ein

Mittendrin steht eine Gruppe Schüler aus Aarwangen. Sie sind mit ihrem Lehrer angereist und haben eine tolle Spende im Sack: «Am Suppentag haben wir mit der Klasse 1000 Franken gesammelt. Die geben wir jetzt persönlich ab», sagen die Jungs und Mädchen mit berechtigtem Stolz.

«Ich habe mit ‹Ämtlis› 46 Franken verdient. Die sind jetzt in dem Säckli!»

Timo Grüter, 7-jähriger Spender

Nicht minder engagiert ist die Familie Grüter aus Seedorf UR. «Ich habe mit ‹Ämtlis› 46 Franken verdient. Die sind jetzt in dem Säckli!», sagt der 7-jährige Timo und zeigt stolz seinen Schatz. «JRZ ist eine gute Sache. Auch die Stimmung hier ist schön und läutet für uns die Weihnachtstage ein», sagt Vater Johann Grüter.

Die Familie Grüter aus Seedorf bringt zwei Säckli mit gesammelten Rappen mit nach Luzern.

Die Familie Grüter aus Seedorf bringt zwei Säckli mit gesammelten Rappen mit nach Luzern.

(Bild: web)

Rappen und Lappen summieren sich zu Millionen

In den ersten Tagen sind über «Jeder Rappen zählt» bereits gegen drei Millionen Franken gespendet worden. Bei SRF rechnet man erfahrungsgemäss damit, dass das Spendenbarometer am letzten Tag nochmals kräftig steigt. Nebst dem Geld gehe es aber auch darum, die Leute für das Thema «Kinder alleine auf der Flucht» zu sensibilisieren. «Dank dem guten Programm und engagierten Experten als Gästen ist das auch gelungen», sagt Saskia Wegmann, Mediensprecherin SRF.

Heute und am Freitag warten noch einige Programm-Highlights aufs Publikum. Und auf spendefreudige Menschen.

Verterter der Schulklasse aus Aarwangen bringen die 1000 Franken Ausbeute des Suppentags persönlich vorbei.

Verterter der Schulklasse aus Aarwangen bringen die 1000 Franken Ausbeute des Suppentags persönlich vorbei.

(Bild: web)

 

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