Luzern: Singles hatten weniger Sex

Nach Corona-Lockerungen: Droht nun der Tripper-Sommer?

Viele haben zu Pandemiezeiten weniger soziale und sexuelle Kontakte gepflegt. (Bild: Dainis Graveris/Unsplash)

Mit dem Daten war es im Corona-Jahr 2020 bekanntlich schwierig. So erstaunt es nicht, dass schweizweit sexuell übertragbare Infektionen zurückgingen. Doch: Nun sind die Corona-Massnahmen gelockert, die Clubs geöffnet, die Abstände zu anderen schwinden. Droht nun der Tripper-Sommer?

Wegen Corona herrschte vielerorts Flaute. Ob in den Fitnesscentern, in den Nachtclubs – oder im Bett. Denn die Angst vor dem Virus und Social Distancing sorgten wohl auch dafür, dass Singles weniger Sex mit wechselnden Partnern hatten.

Dies jedenfalls scheinen neue Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zu zeigen. Das BAG hat die 16 Infektionskrankheiten untersucht, die in der Schweiz am häufigsten vorkommen. Alle gingen zurück – etwa die Pneumokokken-Erkrankungen um 58 Prozent oder das Denguefieber um 90 Prozent. Einzige Ausnahme: die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), die zunahm.

Im Corona-Jahr gab es auch weniger sexuell übertragbare Infektionen wie HIV, frühe Syphilis, Gonorrhoe (Tripper) und Chlamydien, wie folgende Grafik zeigt:

Schweizweit liessen sich weniger auf Geschlechtskrankheiten testen …

Das BAG geht davon aus, dass die Reduktion persönlicher Kontakte zu einer Abnahme von sexuellen Kontakten ausserhalb fester Partnerschaften geführt habe, ebenso die Schliessung der Bordelle, die in vielen Kantonen beschlossen wurde. Daten darüber, ob das tatsächlich der Fall war, liegen dem BAG keine vor.

Die Menschen waren aber nicht nur weniger aktiv in der Horizontalen – sondern sie liessen sich wohl auch weniger auf Geschlechtskrankheiten testen. Das BAG schreibt in seinem Bulletin: «Bekannt ist, dass während der ersten Covid-19-Welle im Jahr 2020 beispielsweise nicht nur weniger Gonorrhoe-Diagnosen gemeldet wurden, sondern dass in Schweizer Teststellen auch weniger getestet wurde.»

… nicht aber in Luzern

Anders sieht es bei der Luzerner Fachstelle S&X Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz aus. Vor einem Jahr hat die Fachstelle ihren Checkpoint offiziell eröffnet, getestet werden die «Big 5». Also: HIV, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhoe und Hepatitis C (zentralplus berichtete). Im Pandemiejahr 2020 liessen sich hier nicht weniger testen als im Jahr zuvor.

«Viele hatten – aus Angst vor einer möglichen Corona-Ansteckung – keinen Sex mit Fremden oder One-Night-Stands.»

Marlies Michel, Geschäftsleiterin S&X Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz

2020 suchten 565 Menschen die Fachstelle auf, 2019 waren es 540. Der Checkpoint war nur während des ersten Lockdowns im März 2020 für zweieinhalb Wochen geschlossen, wie die Geschäftsstellenleiterin Marlies Michel auf Anfrage sagt. «Wir waren immer ausgebucht», sagt Michel. «Viele, die sich schon länger auf sexuell übertragbare Infektionen testen lassen wollten, nutzten dafür das eher ruhige Corona-Jahr.» In den Beratungen habe sie mehrfach gehört, wie froh viele waren, in Zeiten von Homeoffice «endlich Zeit» für einen Check der eigenen sexuellen Gesundheit zu finden.

Einige steckten in ihrem Sexleben zurück

In den Beratungsgesprächen, welche die Fachstelle S&X jeweils zusammen mit dem Testing anbietet, wird über viel mehr als «nur» die sexuelle Gesundheit gesprochen. Auch psychosoziale Fragen kommen aufs Tapet – und so eben auch Folgen der Corona-Pandemie: Einsamkeit. Motivationsschwierigkeiten. Das «nicht mehr rauskommen». Das Fehlen von Nähe zu anderen Menschen.

Hier kannst du dich testen lassen

Wer mehrere Sexpartnerinnen und oder -partner hat – fünf oder mehr pro Jahr – sollte sich laut Empfehlung des BAG einmal im Jahr auf sexuell übertragbare Infektionen testen lassen. Beim Checkpoint von S&X Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz gibt’s einen umfassenden Check, bei dem du auf HIV, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhoe, Hepatitis B und C getestet wirst. Der Test kostet zwischen 100 (ohne Hepatitis) und 150 Franken, zuvor musst du dich online oder telefonisch anmelden. Der Checkpoint ist jeden Montag- und Donnerstagnachmittag geöffnet.

«Viele hatten – aus Angst vor einer möglichen Corona-Ansteckung – keinen Sex mit Fremden oder One-Night-Stands», sagt Michel. «Corona hat bei vielen Menschen auch eine Art Denkpause ausgelöst und einige haben sich eher in ein privateres Umfeld – auch in Bezug auf Sex – zurückgezogen. Also in einen eher kleineren Kreis von wiederkehrenden Sexualpartnern – wie Sexbuddies.»

Weniger Risikosituationen wie Sex ohne Gummi

Im Gegensatz zum Testing war der telefonische Rat der Fachstelle S&X 2020 weniger gefragt. Das hat laut Marlies Michel verschiedene Gründe. «Während der Corona-Pandemie waren viele Menschen weniger Risikosituationen ausgesetzt.» Mit Risikofaktoren meint sie beispielsweise Alkohol- und Drogeneinfluss, was nach einer Nacht im Club womöglich zu Sex ohne Kondom führen kann.

«Viele rufen uns nach solchen Risikosituationen – wie Kondompanne oder ungeschützten Sexualkontakten – an und fragen uns um Rat», erläutert Michel. «Seit den Corona-Lockerungen und seitdem Bordelle und Nachtclubs wieder geöffnet sind, werden wir diesbezüglich wieder öfters kontaktiert.»

Marlies Michel ist seit 17 Jahren die Geschäftsstellenleiterin von S&X – sexuelle Gesundheit Zentralschweiz. (Bild: ida)

Droht nun der Tripper-Sommer?

Die Vermutung liegt nahe, dass nach den Corona-Lockerungen die Anzahl gemeldeter Fälle von sexuell übertragbaren Infektionen wieder ansteigen könnte. Eine britische Medizinerin äusserte sich diesbezüglich gegenüber dem «Daily Star», einer britischen Boulevardzeitung. Sie warnt, dass es in Grossbritannien zu einer Welle von Geschlechtskrankheiten kommen könnte – und fürchtet sich insbesondere vor dem gefährlichen «Super-Gonorrhoe» – Fälle von Tripper, die gegen bestimmte Antibiotika resistent sind.

«Es ist möglich, dass Menschen im Laufe der Normalisierung wieder vermehrt soziale – und auch sexuelle – Kontakte pflegen.»

BAG

Droht also der Tripper-Sommer? Das BAG gibt bezüglich dem «Super-Gonorrhoe» Entwarnung: In der Schweiz sind bislang keine resistenten Gonokokkenstämme aufgetaucht, welche die Krankheit auslösen.

Vermutlich haben Singles wieder mehr Sex – ob's mehr Infekte gibt, wird sich weisen

Die Frage, ob es nach den Corona-Lockerungen wieder vermehrt zu sexuell übertragbaren Infektionen kommen könnte, lässt sich jedoch so einfach nicht beantworten.

BAG-Sprecher Daniel Dauwalder schreibt: «Es ist möglich, dass Menschen im Laufe der Normalisierung wieder vermehrt soziale – und auch sexuelle – Kontakte pflegen.» Er schliesst einen Anstieg nicht aus. Was aber nicht zwingend bedeutet, dass sich diese stärker verbreiten – denn vielleicht lassen sich schlicht wieder mehr Menschen testen.

Die Fachstelle S&X vermutet, dass sich sexuell übertragbare Infektionen wieder auf das Niveau wie vor Corona einpendeln. Oder haben ausgehungerte Singles, die in ihrem Sexleben zurücksteckten, vielleicht allenfalls den Drang, Verpasstes überzukompensieren? «Schwierig zu sagen», sagt Marlies Michel. «Das könnte in einem urbanen Umfeld, in dem viele Partys und ein reges Clubleben stattfinden, allenfalls passieren, aber nicht zwingend.»

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