Albtraum Kanti

Warum mich meine Matura-Zeit «voll traumatisiert» hat

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Auch zehn Jahre nach abgeschlossener Matura beschäftigen mich die Schulnoten von damals. Die neueste «Isa, garantiert kompliziert»-Kolumne.

3 Uhr morgens: Ich, Schweissperlen auf meiner Stirn, wache auf. Es rechnet in meinem Kopf. Trifft das Worst-Case-Szenario in Mathe ein, habe ich eine 2,5. Physik eine 3,0. Deutsch, Französisch, Latein: je eine 5,0. Dann alle ungenügenden Schulnoten doppelt kompensieren …

Mit meiner linken Hand strecke ich fünf Finger in die Höhe. Jessesgott. Nur schon in Mathe sind es fünf Minuspunkte. Nun sitze ich aufrecht in meinem Bett. Mit Physik sind es sieben. Da helfen auch die angezündeten Rechaudkerzen in der Kirche nichts mehr.

Halt! Matura-Prüfungen? Das war 2013! Jetzt bin ich richtig wach. Die Matura hab ich ja längst bestanden – vor zehn Jahren. Gottseidank.

Albtraum: Kanti

Es ist einer dieser wiederkehrenden Albträume – das grosse Bibbern vor dem Matura-Abschluss. Alle paar Monate derselbe Horror. Manchmal kommt noch das Absenzen-Zählen und unentschuldigte Fehlen dazu. Also all die Lektionen, die ich offiziell «krank» im privaten Pferdestall verbrachte, statt still und nichts wissend im Mathematikunterricht zu sitzen.

In anderen Albträumen fallen mir Zähne aus, schneidet mir mein Arzt die Ohren ab, sitzen füdliblutte, ergraute und faltige Männer auf meinem Fenstersims oder irgendein Typ läuft an einer Tankstelle Amok. Aber wirklich schweisstreibend sind die verdammten Schul-Träume.

«Voll traumatisiert» bin ich, würde wohl ein heute präpubertierender Teenager sagen. Und so langsam glaube auch ich das.

Sinus und Cosinus

Dieser Notendruck machte mich wahnsinnig, scheinbar heute noch. Klar können Kanti-Physiklehrer die Prüfungen nicht mit Smiley-Klebern versehrt zurückgeben, so wie das in der ersten Primarklasse vielleicht noch der Fall war. Ebenso ist es nicht verkehrt, dass bereits Teenager lernen müssen, mit Leistungsdruck und Erwartungen anderer umzugehen. Schliesslich leben wir in einer Leistungsgesellschaft.

Dennoch habe ich nie verstanden, in welcher Welt man leben muss, in der Sinus- und Cosinuskurven mehr als nur willkürliche Linien auf dem Blockpapier sind. Ich habe nie verstanden, warum auch nach meiner freiwilligen Schulzeit nach der dritten Kanti Mathe das Fach war mit der meisten Unterrichtszeit. Wie ETH-Genies innert fünf Minuten sieben Wandtafeln mit irgendeiner Formelherleitung voll kritzelten und sich daran ergötzten, bei Tests an der Wandtafel Schüler blosszustellen.

Für viele Schülerinnen beginnt das Bibbern ja bereits vor dem Gymi. Diese Woche müssen Tausende von ihnen zur Gymiprüfung antraben. Tausende fallen durch. Eltern ziehen deswegen mit ihren Kindern gar in diejenigen Kantone, in denen es keine Aufnahmeprüfungen gibt, berichtete CH Media diese Woche.

Das grosse Bibbern vor dem Bibbern

Warum nicht Stärken und Interessen stärker fördern? Warum hatten wir gefühlt 20 Stunden Mathe pro Woche – sprachen aber nie nur ein einziges Wort über psychische Gesundheit, die Gefahr von Drogen oder was auf der Welt so abgeht?

Heute bin ich froh, dass Schulnoten für mich der Vergangenheit angehören. Wenn sie mich denn auch in der einen oder anderen Nacht wieder einholen.

Verwendete Quellen
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