Prozess in Zug

Abstruse Verhandlung: Jolanda Spiess-Hegglin vor Gericht

Auch an der heutigen Verhandlung am Zuger Strafgericht war das Medieninteresse an Jolanda Spiess-Hegglin gross – gleich wie bei einem Prozess im Januar 2022. (Bild: ber)

Jolanda Spiess-Hegglin musste sich vor dem Zuger Strafgericht verantworten. Sie soll den Namen eines Mannes genannt haben, über den sie nicht sprechen darf. Dieser stürmte aus dem Saal. Und der Staatsanwalt forderte einen Freispruch von seiner eigenen Anklage.

Manchmal genügt eine einzelne Bewegung, reichen wenige Zentimeter, um zu verstehen, wie sehr sich zwei Menschen hassen. Im Fall des Mannes und der Frau, die am Montagmorgen vor Einzelrichterin Svea Anlauf sitzen, ist es das Verrücken eines Stuhls.

Es knarzt, als sich Jolanda Spiess-Hegglin abdreht, wahrscheinlich, um den Mann im aschfarbenen Sakko und den weissen Turnschuhen zu ihrer Linken nicht anschauen zu müssen – und wohl nicht nur, um ihren Verteidiger besser zu sehen, der die ersten Fragen in einem Prozess stellt, der an einem hundskommunen Montagmorgen 15 Personen in den grossen Saal des Zuger Strafgerichts gelockt hat.

Ein Streit, der längst Fehde ist

Und das für eine Verhandlung, in der es um «Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen» geht; eine Übertretung, die keinen Journalisten hinter dem Ofen hervorholen würde, ginge es mit rechten Dingen zu.

Doch das tut es nicht.

Im Saal sitzen gleich vier Medienvertreter, die sich ein Bild davon machen wollen, wie die Justiz mit dem Streit umgeht, der seit Jahren zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und dem Mann links von ihr tobt; der nicht mehr nur Streit, sondern längst Fehde ist.

Alleine bis im Frühling werden sich drei Gerichte mit der Auseinandersetzung beschäftigt haben – in den Kantonen Aargau, Zürich und eben am Strafgericht Zug, das Spiess-Hegglin vor gut einem Jahr bereits schon einmal verurteilt hat. Wegen des gleichen Tatbestands, im gleichen Streit mit dem Rentner, der in Wahrheit anders, hier aber Peter Keller heisst (zentralplus berichtete).

Die Netzaktivistin hatte gegen eine Vereinbarung verstossen, die sie und Peter Keller vor Jahren getroffen haben: Dass sie unter Strafandrohung nicht übereinander sprechen, sich namentlich nicht nennen dürfen, schon gar nicht gegenüber Journalisten oder im Internet.

Spiess-Hegglin soll Namen mehrmals unerlaubt genannt haben

Doch genau das soll Jolanda Spiess-Hegglin getan haben. Das sagt die Zuger Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage vom Sommer 2023. Spiess-Hegglin, so Staatsanwalt Markus Kurt, soll Peter Kellers richtigen Namen genannt haben. Drei Mal; in den Jahren 2020, 2021 und 2022; auf Facebook: unter anderem in einem Gruppenchat, in dem es zeitweise auch um das Buch zur Zuger Landammannfeier ging. Peter Keller hat Spiess-Hegglin angezeigt, die 43-Jährige bestreitet die Vorwürfe.

So viel zur Ausgangslage vor der Verhandlung, die Richterin Svea Anlauf in den ersten zwei Stunden drei Mal unterbrechen muss, weil mehrere Anträge im Raum stehen; weil Spiess-Hegglins Anwalt Beweise als unverwertbar erklären lassen und Privatkläger Peter Keller des Saals verwiesen haben will. So verbrachten die meisten der 15 Anwesenden einen beachtlichen Teil des Montagmorgens im Foyer des Gerichtsgebäudes, machten Smalltalk, disputierten, stritten – oder fragten sich: Was zum Teufel tun wir hier eigentlich?

Staatsanwalt will Freispruch, Anwesende staunen

Denn dass dieser Fall eine Bagatelle, eine Lappalie gar sei – darin schienen sich die Juristen einig. Grösster Verfechter dieser Meinung war der Staatsanwalt, der einen Freispruch von seiner eigenen Anklage forderte – und damit eine Verhandlung aufpeppte, die bis dahin geschmeidig daherkam wie kaltes Fondue.

Das Strafrecht, so Kurt im Kern, sei das letzte Mittel des Staates, um Verhalten zu ahnden, das für eine Gesellschaft nicht tragbar ist. Hier jedoch handle es sich um zwei Streitparteien, die sich «gegenseitig beüben», einander «zu Leide werken wollen». Im Wesentlichen also sagte Kurt: Die Fehde zwischen Spiess-Hegglin und Keller mag eine Sache zwischen den beiden, nicht aber eine Angelegenheit für die Strafverfolger sein.

Juristisch begründete er seine Haltung damit, dass sich die Parteien mit ihrer Vereinbarung auf Lebenszeit verpflichtet hätten, nicht übereinander sprechen dürften. Das aber stelle eine übermässige und damit unzulässige Bindung dar. Deshalb sei der Entscheid des Kantonsgerichts nichtig, der Grundlage für die Strafandrohung ist. Und wo keine Verfügung, da keine Möglichkeit, dagegen zu verstossen. Ergo: Spiess-Hegglin sei freizusprechen.

«Ich habe genug gehört.»

Privatkläger Peter Keller, bevor er den Saal verlassen hat

Zwölf Minuten brauchte der Staatsanwalt, um für fragende Blicke im Saal zu sorgen und die Grundlage für eine Situation zu bauen, in der ein Verteidiger gegen einen Strafverfolger argumentierte, der seine Mandantin nicht bestrafen wollte.

Keller stürmt aus dem Saal

Er verstehe, so der Verteidiger, dass die Staatsanwaltschaft keine Lust auf dieses und weitere Verfahren dieser Art habe, da das Aufwand und Arbeit mit sich bringe. Jedoch sei das Strafgericht nicht zuständig, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben. Und eine übermässige Bindung könne er nicht erkennen, so der Verteidiger. Er forderte unter anderem deshalb einen Freispruch, weil die Screenshots, die Peter Keller mit seiner Anzeige eingegeben habe, nicht als Beweis verwertbar seien, da diese gefälscht sein könnten.

«Ich kann nichts dafür, dass ich wegen einer solchen Bagatelle hier sitze. Ich fühle mich machtlos und es kann nicht sein, dass ich seit Jahren all das aushalten muss.»

Jolanda Spiess-Hegglin

Mehrmals kamen die angeblich gefälschten Screenshots zur Sprache, wenn die Verhandlung am Montag gerade einmal nicht unterbrochen war. Tat Peter Keller diesen Einwand zu Beginn noch als «absolute Unwahrheit» ab, platzte ihm während des Plädoyers des Verteidigers der Kragen. «Ich habe genug gehört», polterte der Rentner, blickte zu seinem Begleiter in den Zuschauerreihen, packte Rucksack mit Edelweiss-Motiv und Jacke zusammen und verliess den Saal.

Acht Minuten später endete die Verhandlung mit dem letzten Wort Spiess-Hegglins, die sagte, sie sei «erschüttert» über die Haltung der Staatsanwaltschaft. Sie bedauere es auch, dass der Aufwand an den Behörden hängen bliebe. «Aber ich kann nichts dafür, dass ich wegen einer solchen Bagatelle hier sitze. Ich fühle mich machtlos und es kann nicht sein, dass ich seit Jahren all das aushalten muss.»

Gericht spricht Spiess-Hegglin frei

Noch am gleichen Nachmittag verkündete die Einzelrichterin ihr Urteil. Dieses lautet auf Freispruch. Und zwar, weil die Screenshots von Peter Keller nicht als Beweis zugelassen werden.

Dieser hatte ausgesagt, die Screenshots der fragwürdigen Nachrichten nicht selber gemacht, sondern sie erhalten zu haben. Von wem, gab Keller nicht preis. Laut Anlauf kann der Staat nicht beweisen, dass Keller die Screenshots rechtmässig und nicht vielleicht auf unerlaubtem Weg erhalten hat. Daher ergeht der Freispruch nach dem Grundsatz im Zweifel für die Angeklagte.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sowohl der Staatsanwalt als auch Spiess-Hegglin liessen am Montag offen, ob sie Berufung anmelden werden.

Verwendete Quellen
  • Besuch der Verhandlung vom 22. Januar 2024
  • Anklageschrift 1A 2023 365
  • Medienarchiv von zentralplus
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


3 Kommentare
  • Profilfoto von Murti Muheim
    Murti Muheim, 23.01.2024, 11:19 Uhr

    Hat die selbst ernannte Netzaktivistin eigentlich jemals etwas erreicht, ausser sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern?

    👍1Gefällt mir👏9Applaus🤔0Nachdenklich👎9Daumen runter
    • Profilfoto von Ida
      Ida, 23.01.2024, 16:36 Uhr

      Ich gebe Ihnen Recht. Sie braucht die Justiz als Bühne, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.

      👍1Gefällt mir👏9Applaus🤔0Nachdenklich👎6Daumen runter
  • Profilfoto von Josef
    Josef, 23.01.2024, 06:26 Uhr

    Ich hoffe, er zieht das Urteil weiter. Spiess hat sich nicht an die Abmachung gehalten und stellt sich jetzt als Opfer hin.

    👍2Gefällt mir👏9Applaus🤔0Nachdenklich👎8Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon