Was jüngsten und ältesten Grossstadtrat verbindet

«Jede Generation sollte etwas Grosses realisieren»

Yannick Gauch (links) und Albert Schwarzenbach driften im Gespräch vom Puls der Bevölkerung zum Parking Musegg über.

(Bild: jal)

Seit kurzem ist im Luzerner Stadtparlament kein Rentner mehr vertreten. Das bedauern der älteste und der jüngste Grossstadtrat. Ein Gespräch mit Albert Schwarzenbach (64) und Yannick Gauch (23) über grosse Würfe und kleine Kriege, alte Kläuse und übermütige Jungspunde. Und die Frage, wieso alle politischen Debatten beim Parking Musegg landen.

Als CVP-Grossstadtrat Albert Schwarzenbach ein kleiner Junge war, lebte John F. Kennedy noch. Juso-Politiker Yannick Gauch hingegen hat in seinem Leben nur vier US-Präsidenten miterlebt. 41 Jahre trennen den ältesten und den jüngsten Grossstadtrat. 

Dennoch haben die beiden so manches gemeinsam: Etwa, dass sie noch im Arbeitsleben stehen. Wie alle anderen Stadtparlamentarier auch: Mit dem Rücktritt von SVP-Doyen Joseph Schärli ist der einzige Rentner im Grossen Stadtrat zurückgetreten. Damit ist ein Viertel der Stadtluzerner Bevölkerung nicht mehr im Parlament vertreten.

Ein Problem? Das und einiges mehr wollte zentralplus beim Generationengespräch von Gauch und Schwarzenbach wissen.

zentralplus: Wir treffen uns in der Jazzkantine; der Ort, an dem Sie sich laut Yannick Gauch kennengelernt haben. Gibt es viele Lokale in Luzern, wo Sie gemeinsam ein Bier trinken gehen können, trotz über 40 Jahren Altersunterschied?

Albert Schwarzenbach: Es gibt einige Orte, an denen eine ältere Person mit jüngeren verkehren kann, beispielsweise im Neubad oder im Südpol.

Yannick Gauch: Auch die Buvetten sind bei allen Generationen sehr beliebt.

zentralplus: Kürzlich ist der einzige Pensionär aus dem Grossen Stadtrat zurückgetreten. Ist es ein Problem, wenn ein Viertel der Bevölkerung nicht im Rat vertreten ist?

Schwarzenbach: Die besten Alters- und Pflegeheime planen jene, die nahe an dieser Situation sind. Darum finde ich es wichtig, dass jede Generation im Stadtparlament vertreten ist und damit alle Anliegen zum Zug kommen.

Gauch: Das Parlament soll ja die Bevölkerung repräsentieren. Insofern finde ich es schade, dass wir keinen Rentner mehr dabei haben. Aber auch in Sachen Geschlecht, Einkommen, Herkunft und Lebensvorstellungen sollte das Parlament durchmischt sein – und das stimmt aktuell nicht schlecht.

zentralplus: Können Sie, Herr Gauch, als 23-Jähriger genauso gut für die Bedürfnisse älterer Menschen einstehen wie ein Rentner?

Gauch: Es würde mein Feld sehr einschränken, wenn ich nur U25-Interessen beackern könnte (lacht). Es gehört zu den Aufgaben eines Parlamentariers, sich in andere Situationen hineinversetzen zu können. Zudem werde ich auch mal alt …

«Es gibt sehr lässige 70-Jährige und es gibt mühselige 30-Jährige.»

Albert Schwarzenbach, CVP-Grossstadtrat

Schwarzenbach: Obwohl wir nun keine Pensionäre mehr im Rat haben, geht in der Stadt Luzern bei der Alterspolitik sehr vieles. Die Jüngeren zeigen viel Verständnis für die Bedürfnisse der Älteren. Ohnehin ist das Alter kaum je am wichtigsten – es gibt sehr lässige 70-Jährige und es gibt mühselige 30-Jährige.

zentralplus: Die Rentner haben politisch viel Gewicht, weil sie – gerade mit der Babyboomer-Generation – immer zahlreicher werden. Und weil sie öfters an die Urne gehen als die Jungen. Frustrierend, Herr Gauch?

Gauch: Gerade bei Themen wie der AHV ist es tatsächlich schwierig, Leute aus meiner Generation dafür zu begeistern. Dabei funktioniert das System ja nur, so lange die Gewissheit da ist, dass wir im Alter auch davon profitieren. In der AHV braucht es Reformen, wir wollten mit der Altersvorsorge 2020 einen Schritt in die richtige Richtung machen, leider gab es an der Urne ein Nein.

Schwarzenbach: Ich sehe da schon eine gewisse Gefahr. Unsere Generation hat eine gesicherte AHV und eine zweite Säule, die sich sehen lässt. Aber ab einem gewissen Moment leben wir von der Generation von Yannick. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, ansonsten gibt es irgendwann einen Generationenkonflikt.

Yannick Gauch ist mit 23 Jahren der jüngste Grossstadtrat in Luzern.

Yannick Gauch ist mit 23 Jahren der jüngste Grossstadtrat in Luzern.

(Bild: jal)

zentralplus: Herr Schwarzenbach, was hat Sie politisch geprägt?

Schwarzenbach: Mein politisches Interesse weckte der Grossvater, bei dem ich immer das «Echo der Zeit» im Radio mithören durfte. Das war zu Zeiten des Algerien-Kriegs und dem Tod von John F. Kennedy. Damals hat man ganz anders Politik betrieben: Der Bundesrat zum Beispiel genoss sehr hohes Ansehen. Friedrich Traugott Wahlen und Hans-Peter Tschudi, das waren Vorbilder!

zentralplus: Herr Gauch, Sie gehören zur Generation, die nur die von der SVP dominierte Politik kennt – und damit einen viel aggressiveren Ton.

Gauch: Mich hat die Friedenspolitik geprägt, angefangen mit dem Kampf gegen Waffenexporte. Das Aufwachsen unter Blocher und der SVP-Dominanz hat in mir und in vielen meiner Generation einen starken Aktivismus ausgelöst. Es war vielleicht eine Auflehnung wie in den 68ern – halt viel kleiner und nicht gegen die spiessigen Eltern, sondern gegen einen politischen Stil. Die SVP hat viel zur heutigen Stärke der Juso und der jungen Generation in der SP beigetragen.

zentralplus: Herr Gauch, Sie sind als 21-Jähriger ins Parlament gekommen. Hat man Sie belächelt?

Gauch: Nein, überhaupt nicht. Ich fühlte mich von Anfang an ernst genommen. Schlussendlich sind wir alle gewählte Volksvertreter und -vertreterinnen und da soll das Alter keinen Unterschied spielen.

zentralplus: Hat man als Junger die Narrenfreiheit, Dinge zu sagen, die gestandene Politiker sich nicht erlauben können?

Gauch: (überlegt) Die Juso arbeitet gerne mit dem Mittel der Provokation, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf der anderen Seite tut das die SVP, die ja mehrheitlich aus älteren Herren besteht, genauso. Eine Portion Narrenfreiheit kann man sich in jedem Alter erlauben. Auch wenn die Juso natürlich anders provoziert als die SVP: Wir schiessen immer nach oben zu den grossen Leuten, die sich wehren können, nie gegen anonyme Minderheiten, wie dies die SVP am liebsten tut.

Schwarzenbach: Das politische Klima in der Stadt Luzern hat sich sehr verändert. Ich erinnere mich an Zeiten, an denen manche Parlamentarier nicht miteinander gesprochen haben. Als die Poch noch aktiv war, kam es vor, dass deren Vertreter den Ratsausflug boykottierten.

zentralplus: Der Auslandschweizer Tim Guldimann ist kürzlich aus dem Nationalrat zurückgetreten, weil er merkte, dass er in einem anderen Milieu lebt als seine Wähler. Spüren Sie den Puls der Luzerner Bevölkerung?

Gauch: Ja, aber dazu muss man in der Stadt leben und verkehren. Wer von Montag bis Freitag in Fribourg oder Bern studiert und nur am Wochenende in Luzern weilt, ist zu wenig nahe an der Bevölkerung.

Schwarzenbach: Man muss ehrlich sein: Jeder spürt den Puls der Kreise, in denen er verkehrt. Mit der Zeit verfestigen sich die eigenen Positionen. Da braucht es eine Offenheit. Ich wünschte mir zum Beispiel mehr Visionen für diese Stadt statt immer dieselben Themen.

«Die vorletzte Ratssitzung war die erste seit einer Ewigkeit, in der das Wort ‹Parking Musegg› kein einziges Mal gefallen ist.»

Yannick Gauch, SP-Grossstadtrat

zentralplus: Worüber wird zu viel gesprochen?

Schwarzenbach: Wir haben in den letzten Jahren sehr oft über das Klima gesprochen, über die Stadtentwicklung oder über das Velofahren. Wie viele Vorstösse gab es hingegen zum Thema Tourismus oder zur Wirtschaft? Das hat mit der politischen Situation zu tun: Weil die SP so viele Mandate hat, bringen ihre Vertreter immer dieselben Themen aus demselben Kreis ein. Dadurch fühlen sich andere Kreise in der Luzerner Politik wohl zu wenig vertreten.

Gauch: Verkehr, Wohnraum, Stadtentwicklung – das sind zentrale Themen, welche die Bevölkerung stark beschäftigen, wie Umfragen regelmässig belegen. Natürlich dreht man sich manchmal etwas im Kreis, beispielsweise bei der Carthematik. Dazu eine Anekdote: Die vorletzte Ratssitzung war die erste seit einer Ewigkeit – wenn nicht sogar, seit ich im Parlament bin –, in der das Wort «Parking Musegg» kein einziges Mal gefallen ist. Das sagt ja schon vieles.

Schwarzenbach: Genau das meine ich mit dem Ewigselben: Die linken Parteien hatten das Gefühl, sie müssten das Parking Musegg frühzeitig abschiessen. Nun kauen wir seit zwei Jahren an dem Problem herum – und am Ende schaut vielleicht gar nichts heraus. Inmitten dieses Kleinkrieges vermisse ich das Visionäre. Dabei sollte jede Politikergeneration etwas Grosses realisieren.

Der Jüngste und der Älteste

Albert Schwarzenbach ist 64 Jahre alt und vertritt seit 2007 die CVP im Grossen Stadtrat von Luzern. Der gebürtige Berner war jahrzehntelang als Journalist und Medienunternehmer tätig und führt heute eine eigene Kommunikationsagentur. Er engagiert sich bei der Messe Luzern und ist Präsident des Vereins Weihnachten Luzern.

Yannick Gauch wird im Oktober 24 Jahre alt. Der Grafiker sitzt seit September 2016 für die SP-/Juso-Fraktion im Stadtparlament. Der ehemalige Präsident der Juso Kanton Luzern ist Mitinhaber eines Werbebüros in der Stadt Luzern und im Vorstand des Kleingewerbeverbandes Luzerner Unternehmen.

zentralplus: Da könnte sich ja die CVP mit einem grossen Wurf hervortun?

Schwarzenbach: Wir verlieren eben Zeit und Musse mit dem ständigen Hin und Her. Der Aufruf geht aber auch an den Stadtrat, das ist eine Führungsaufgabe. Die Generation von Franz Kurzmeyer baute das KKL, diejenige von Urs W. Studer die Allmend. Und was macht unsere Generation? Im Moment weiss ich nicht, auf welches grosse Projekt wir in zehn Jahren zurückschauen können.

Gauch: Natürlich müssen wir visionär sein, aber nicht einfach, damit wir uns am Ende auf die Schulter klopfen können. Visionen müssen gescheit und sinnvoll sein. Wir können zum Beispiel über einen Theaterneubau sprechen. Wir sind uns einig, dass das Theater im jetzigen Zustand nicht mehr lange funktioniert. Da wäre etwas Visionäres möglich.

zentralplus: Es ist nicht das erste Mal, dass Kritik an der fehlenden Vision in Luzern laut wird – im Visier ist die SP als grösste Partei.

Gauch: Es stimmt, zurzeit ist die Situation verfahren. Alles steht unter dem Stern Parkhaus Musegg. Darum begrüssen wir es, dass die Initiative der Bürgerlichen im Herbst Klarheit verschafft. Ich bin überzeugt, dass gerade die Jungen sehr deutlich Nein sagen zu dieser Initiative. Für meine Generation ist das – wie auch die Spange Nord – eine Idee aus den 80er-Jahren. Heute hat man andere Vorstellungen von Mobilität, das Auto ist nicht mehr die heilige Kuh.

Schwarzenbach: Es geht nicht um das Auto, sondern um den Tourismus mit den Cars, die wichtig sind für die Stadt Luzern. Möglicherweise ist ein Parking Musegg als isoliertes Projekt nicht mehrheitsfähig, aber unsere Initiative heisst ja «Für die Aufwertung der Innenstadt». Damit wir dieses Ziel erreichen, wäre das Parkhaus Musegg eine Lösungsvariante.

Gauch: Es gibt den Spruch «Köpfchen statt Beton»: Digitale Medien oder ein smartes Parkleitsystem sind Zukunftsideen … (unterbricht sich). Das ist jetzt typisch, das ganze Gespräch dreht sich wieder um das Parking-Thema (lacht).

Albert Schwarzenbach ist seit kurzem der älteste Grossstadtrat von Luzern – dabei ist er noch nicht mal 65-jährig.

Albert Schwarzenbach ist seit kurzem der älteste Grossstadtrat von Luzern – dabei ist er noch nicht mal 65-jährig.

(Bild: jal)

zentralplus: Dann zurück zur Generationenfrage. Yannick Gauch bringt digitale Ideen ins Gespräch – typisch jung?

Schwarzenbach: Nein, das ist überhaupt keine Generationenfrage. In meinem beruflichen Alltag spielt die Digitalisierung eine grosse Rolle.

Gauch: (lacht) Also ich führe immer noch eine Papier-Agenda, so viel zu den Klischees über Alte und Junge.

zentralplus: Zum Schluss noch eine Frage zu Luzern: Gibt es einen Ort, an dem Sie sich zu alt respektive zu jung fühlen?

Schwarzenbach: Ich muss nicht überall hin, wo sich die 20-Jährigen aufhalten. Es ist aber weniger der Ort, der entscheidend ist. Vielmehr sind es die Menschen, die man dort trifft. Sie sind wichtig und nicht der Jahrgang. 

Gauch: Bei mir gibt es keinen Ort, den ich wegen meines Alters meide. Aber ich würde mich wohl weniger fremd fühlen, wenn zum Beispiel im KKL vermehrt Leute mit ein bisschen mehr Pigment in den Haaren verkehren würden (lacht)

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