Kanton Luzern zeichnet 77-Jährigen aus

Rudolf Joss: Der Arzt, der das Sterben menschlicher machte

Rudolf Joss gründete den Verein Palliativ Luzern. (Bild: ida)

Rudolf Joss aus Kriens hat sich jahrelang als Arzt für die Begleitung Krebskranker und Sterbender eingesetzt. Für sein Wirken ehrt ihn der Kanton Luzern nun mit einem Preis.

«Der Tod ist nicht das Gegenteil des Lebens, sondern ein Teil davon.» Das sagte Haruki Murakami, ein japanischer Schriftsteller.

Obwohl der Tod zum Leben gehört, fällt es den wenigsten Menschen leicht, darüber zu sprechen. Auch Ärzte haben oftmals Schwierigkeiten, mit ihren Patientinnen über das Sterben und den Tod zu sprechen.

Es wäre jedoch wichtig, gerade mit Schwerkranken und Sterbenden offen und ehrlich darüber zu sprechen. Und dabei die Wünsche der Betroffenen abzuholen. Einer, der sich jahrelang dafür eingesetzt hat, ist Rudolf Joss aus Kriens.

Er brachte die Palliativmedizin voran

Joss ist seit 2011 pensioniert. Zuvor war er Internist und Onkologe am Kantonsspital Luzern und behandelte viele Krebskranke. Er gründete den Verein Palliativ Luzern und präsidierte diesen während 13 Jahren. In dieser Zeit hat er zwei Meilensteine erreicht – und die Palliativmedizin im Kanton entscheidend vorangebracht.

2013 konnte der Verein nach langen Vorarbeiten und nach Sicherung der Finanzen seine Informations- und Beratungsstelle für Fragen rund um die Palliativmedizin eröffnen. 2020 konnte der Verein den Aufbau eines mobilen Palliative-Care-Dienstes im Kanton Luzern in Angriff nehmen. Dieser berät und unterstützt die lokalen Spitex-Organisationen, Alters- und Pflegeheime, Hausärztinnen und weitere involvierte Personen wie Freiwillige und Seelsorger.

Nach 13-jähriger Tätigkeit als Präsident des Vereins Palliativ Luzern übergab Rudolf Joss 2020 das Vereinspräsidium an Elsi Meier (zentralplus berichtete).

Mit Anerkennungspreis geehrt

Nun zeichnet der Kanton Rudolf Joss mit dem Anerkennungs- und Förderpreis aus. Sein Wirken als Onkologe, Palliativmediziner und Netzwerker «hat für zahlreiche Menschen die Qualität der Begleitung in ihrer letzten Lebensphase verbessert», so der Kanton in einer Medienmitteilung.

Der Preisträger freut sich sehr über den Preis. Aber er hält fest, dass die Ehrung allen Beteiligten gebühre, die das Thema auf die politische Bühne brachten und zeigten, dass im Bereich Palliativmedizin Handlungsbedarf bestehe. Das sagt der 77-Jährige bei einem Besuch in seinem Haus in Kriens gegenüber zentralplus.

Auch Ärzte haben Mühe, Patienten sterben zu sehen

Als junger Medizinstudent realisierte Rudolf Joss, dass es auch für viele Ärzte nicht einfach ist, mit Sterbenden umzugehen. Er erzählt von einem Chirurgen, der fachlich exzellent gewesen sei. «Doch wenn ein Patient auf seiner Abteilung trotz intensiven Bemühungen im Sterben lag, machte der chirurgische Chefarzt bei der Visite einen Bogen um dessen Zimmer – er konnte ja dem Patienten nicht mehr helfen.»

«Ich spüre bis heute von vielen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen eine grosse Dankbarkeit.»

Rudolf Joss

Anders der medizinische Chefarzt, der dem jungen Studenten vorlebte, was die Betroffenen brauchen: Bei der Visite einer betagten Frau, die im Sterben lag, sprach der Chefarzt lange und offen mit der Patientin über ihre Beschwerden, ihre Wünsche für die verbleibende Zeit und ihre Hoffnungen.

Nach der Visite bei der Patientin verblüffte der Chefarzt dann den jungen Studenten mit der Aussage: «Ich hoffe, dass ich später auch mal so sterben kann wie diese Frau.» Der Chefarzt sollte doch der Frau helfen, gesund zu werden, und nicht übers Sterben sprechen, fand Joss damals innerlich aufgewühlt. Aber im Nachhinein war das ein Schlüsselerlebnis: «Der Arzt soll seinen Patienten helfen, Krankheiten zu überwinden und gesund zu werden. Aber er soll auch die Grenzen der modernen Medizin erkennen und akzeptieren und die Betroffenen auf ihrem letzten Stück Lebensweg begleiten und unterstützen.»

Rudolf Joss freut sich sehr über den Preis. (Bild: ida)

1988 baute Joss am Luzerner Kantonsspital den Fachbereich Onkologie auf

Joss kam 1988 als leitender Arzt ans Luzerner Kantonsspital, wo er den Fachbereich Onkologie aufbaute. Bei der Krebsbehandlung sah er viele Menschen sterben. Früh erkannte er Lücken in der Betreuung Schwerkranker und deren Angehörigen. Für ihn war es wichtig, Patientinnen nicht «nur» fachlich zu begleiten. Sondern eben auch umfassend menschlich zu betreuen.

Diese umfassende Betreuung wird heute unter dem Begriff Palliativmedizin und Palliative Care zusammengefasst: Schwerkranke und deren Angehörige sollen in allen Bereichen begleitet und unterstützt werden, mit dem Ziel, das Leben bis zuletzt lebenswert zu gestalten.

Was bedeutet es, «gut» zu sterben?

Doch was heisst es, «gut» zu sterben? Rudolf Joss sagt: «Am wichtigsten ist die Mitbestimmung der Kranken: dass sie den Ort des Sterbens mitbestimmen oder über Behandlungen entscheiden können beziehungsweise das Unterlassen oder Abbrechen von solchen. Essenziell für einen ‹guten› Tod sind auch das Abschiednehmen von den Angehörigen, das Gefühl der Erfüllung sowie die Kontrolle über den eigenen Schmerz.»

«Es wäre gelogen zu sagen, ich selbst hätte keine Angst vor dem Sterben und dem Tod.»

Rudolf Joss

Joss hat viele seiner Patienten jahrelang, wenn nicht gar jahrzehntelang, begleitet. Viele hat er gehen lassen müssen, vielen hat er helfen können. Für seine Patientinnen war er ein wichtiger Begleiter, den man nicht vergessen kann. So hat er in den vergangenen Tagen, nachdem bekannt wurde, dass er mit einem Preis geehrt wird, viele Rückmeldungen erhalten. Er wurde beim Einkaufen angesprochen oder beim Spazieren mit Labradorhündin Tosca. Er erhielt E-Mails und Briefe von ehemaligen Patientinnen. «Ich spüre bis heute von vielen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen eine grosse Dankbarkeit», sagt Joss.

Immer wieder tauchen aber auch Erinnerungen an ehemalige Patienten auf, die den Kampf gegen ihre Krankheit verloren haben. Im Wohnzimmer hängen Bilder, die eine ehemalige Patientin von Joss gemalt hat. Joss war ihr das erste Mal begegnet, als sie 18 Jahre jung war – das letzte Mal bei ihrem Tod mit etwa 55 Jahren. Je nachdem, wie gut sie sich fühlte, je nach Stadium der Krebserkrankung, zeichnete sie mal farbenfroher, mit einem satten Königsblau, Gelb und Rot – oder mit erblassten Farben und viel Schwarz.

Die (nicht) geöffneten Fensterläden

Rudolf Joss bewundert viele seiner früheren Patientinnen für ihren Mut. Er selbst haderte als Arzt in manchen Situationen mit dem Tod. Gerade wenn junge Menschen an Krebs erkrankten und sich innert kürzester Zeit Ableger unkontrolliert vermehrten. «Vielleicht war es manchmal die Ohnmacht, mit der ich Mühe hatte», sagt Joss.

Auch wenn er selbst offen über den Tod spricht, sagt er: «Es wäre gelogen zu sagen, ich selbst hätte keine Angst vor dem Sterben und dem Tod.» Er fährt fort: «Die meisten Leute haben Angst vor dem Sterben. Angst davor, dass der Weg mühsam und mit viel Leid verbunden sein wird.»

Wenn es um die Begleitung Sterbender geht, könne jeder einen Beitrag leisten. Rudolf Joss erzählt, wie seine Mutter, die ihr Leben lang in einer Stadtberner Quartierstrasse lebte, schwer krank geworden ist. Jeden Morgen achtete die gegenüber wohnende Nachbarin, ob die Fensterläden ihrer Freundin geöffnet waren. Wenn nicht, forderte sie einen Hausbewohner auf nachzuschauen, ob es ihr gut gehe – oder ging selbst vorbei. «Aufeinander schauen und einander achtsam begleiten – das ist das, was auch den letzten Teil unseres Lebens erträglicher macht.»

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