Psychiater und Luzerner Historiker ordnen ein

Rotes Kreuz warnt: Feuerwerk kann Flüchtlinge traumatisieren

Kriegstraumatisierte Flüchtlinge können empfindlich auf Feuerwerk reagieren. (Bild: Symbolbild: Unsplash/Siavash Ghanbari)

Feuerwerke können für Flüchtlinge eine Belastung darstellen. Ein Fakt, der nicht in allen Fachkreisen thematisiert wird. Das Rote Kreuz sieht die 1.-August-Tradition kritisch.

Am 1. August knallt es bei uns oft stundenlang. Das kann für Menschen, die aus einem Kriegsgebiet geflohen sind, eine Belastung darstellen. Die Grüne Basler Politikerin Farideh Egbahli hat in diesem Frühjahr im Reinacher Einwohnerrat einen Vorstoss eingereicht, mit welchem sie das Abfeuern von Feuerwerken aus Rücksicht auf traumatisierte Flüchtlinge verbieten wollte. Der Vorstoss ist abgelehnt worden.

Und in Luzern? Der Luzerner Grossstadtrat Claudio Soldati hat sich 2020 politisch mit dem Thema Feuerwerk befasst (zentralplus berichtete). Er erklärt, mit der Frage der Flüchtlinge aus Kriegsgebieten sei ein ganz spezifisches Problem angesprochen. Er könne dieses auch nachvollziehen. «Aber Kriegsgeflüchtete leben schon immer in der Schweiz, insofern ist die Angelegenheit mit den aus der Ukraine Geflüchteten aus meiner Sicht nicht virulenter geworden», fügt Claudio Soldati an.  

Bisher auf Fachebene kein Thema

Stefan Hodel, Fraktionspräsident der Alternativen-CSP im Zuger Stadtparlament, hat im Jahr 2019 einen Vorstoss zum Thema Feuerwerk eingereicht. Zur Thema Feuerwerk und Flüchtlinge meint er: «Dass Feuerwerke eine Belastung für Flüchtlinge mit Kriegserfahrung sein können, habe ich bei meinen bisherigen Überlegungen nicht mit einbezogen, obwohl ich 30 Jahre im Asylbereich tätig war.»

Ähnlich sieht es bei den kantonalen Behörden aus. Christian Murbach von der Abteilung Soziale Dienste Asyl des Kantons Zug schreibt auf Anfrage: «Bisher war im Asyl- und Flüchtlingsbereich das Abfeuern von Feuerwerk auf Fachebene kein Thema. Daher können wir zu dieser Fragestellung keine Stellung beziehen.»

Psychologischer Notfallmodus als Reaktion

Wer sich jedoch damit beschäftigt, ist das Schweizerische Rote Kreuz. «Die meisten unserer Klienten haben im Heimatland Kriegszustände erlebt, welche häufig mit Detonationen von Granaten oder Abwürfen von Bomben in mittelbarer und unmittelbarer Umgebung ihrer Wohnorte einhergingen, sehr häufig wurden sie Zeugen von Schusswechseln», sagt Peter Kaiser vom Schweizerischen Roten Kreuz.

«Triggererlebnisse wie solche Feuerwerke können viel besser psychisch verarbeitet werden, wenn man weiss, um was es sich handelt.»

Andreas Maercker, Psychologieprofessor an der Universität Zürich

Ein Wiedererleben dieser - insbesondere akustischen - Traumata könne zu einer sogenannten Retraumatisierung führen. «Die Betroffenen reagieren dann mit einem psychologischen Notfallmodus, beispielsweise, indem sie bewegungsstarr werden oder aus der Situation zu fliehen versuchen.»

Für viele etwas völlig Unbekanntes

Vielen - nicht nur traumatisierten - Migrantinnen, insbesondere aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Afrika südlich der Sahara, sei das Ritual eines Feuerwerks fremd. Ohne eine vorhergehende Traumatisierung durch Erlebnisse in Kriegsgebieten stosse dieser Brauch gegebenenfalls auf Unverständnis oder werde als Kuriosität der Schweizer Bevölkerung betrachtet.

«Für das Wohl unserer traumatisierten Patienten würden wir natürlich eine Abkehr von dieser Tradition begrüssen», bilanziert Peter Kaiser.

Professor Andreas Maercker vom Psychologischen Institut der Universität Zürich erklärt, aus psychologischer Sicht gebe es diesbezüglich einen Mittelweg. Das sei das Vorbereitetsein. «Triggererlebnisse wie solche Feuerwerke können viel besser psychisch verarbeitet werden, wenn man weiss, um was es sich handelt.» Zusatzinfos wie die Dauer und der geschichtliche oder kulturelle Hintergrund seien auch hilfreich.

«Der zivile Spin-off der Explosionstechnologien»

Anzufügen bleibt: Feuerwerke stammen ursprünglich aus der Welt des Krieges und des Militärs. Darauf deuten durchaus auch einige Namen der Feuerwerksartikel an: Raketen, Knaller, Thunders, Böller, Kugelbomben, Kanonenschläge und so weiter.

Der Geschichtsprofessor Valentin Groebner vom Historischen Seminar der Universität Luzern bestätigt den militärischen und kriegerischen Hintergrund der Feuerwerkerei: «Feuerwerke sind der zivile Spin-off der Explosionstechnologien rund ums Schwarzpulver, dementsprechend zuerst im mittelalterlichen China belegt, dann auch im Osmanischen Reich und im restlichen Europa.»

Rund 300 Tonnen Feinstaub

Nach Auskunft des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) wurden im Durchschnitt der Jahre 2011 bis 2020 pro Jahr 1650 Tonnen Feuerwerkskörper verbraucht. Die Zahl bedarf der Einordnung: Im Jahre 2018 kam es schweizweit am 1. August zu einem Feuerwerksverbot. Ohne dieses läge der Durchschnitt der genannten Jahre wohl höher. Insgesamt aber lässt sich sagen, dass die Zahlen seit einigen Jahren einigermassen konstant sind – dies aber auf sehr hohem Niveau.

Das Bafu stützt sich dabei jeweils auf Zahlen des Bundesamts für Polizei. Demnach lag der Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2013 bei fast 2000 Tonnen pro Jahr. Das ist rund doppelt so viel wie 20 Jahre früher (zentralplus berichtete). Zwischen 1989 und 1998 betrug der Verbrauch nämlich rund 990 Tonnen pro Jahr. Mit anderen Worten: In der jüngeren Vergangenheit erfolgte ein sprunghafter Anstieg.

Gemäss Bafu bestehen Feuerwerkskörper nebst der Verpackung aus Holz, Karton, Kunststoff oder Ton zu circa 25 Prozent aus pryrotechnischen Feuerwerkssätzen. Durch das Verbrennen von Feuerwerken entstehen pro Jahr rund 300 Tonnen Feinstaub, welche die Luft belasten.

Verwendete Quellen
  • Feuerwerkskörper-Broschüre des Bundesamts für Umwelt (2014)
  • Schriftlicher Austausch mit Claudio Soldati, Grossstadtrat SP, Luzern und Stefan Hodel, Fraktionschef Alternative/CSP GGR Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Bundesamt für Umwelt (Bafu); Christian Murbach, Abteilung Soziale Dienste Asyl vom Kanton Zug; Andreas Maercker, Universität Zürich; Peter Kaiser, Schweizerisches Rotes Kreuz und Valentin Groebner, Universität Luzern
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