Hass-Posts rütteln Zuger Asylwesen durch

Marko Kovic: «Hass auf Frauen ist in der Verschwörungsszene weit verbreitet»

Marko Kovic ordnet für zentralplus die umstrittenen Äusserungen des ehemaligen Leiters der Durchgangsstation Steinhausen ein. (Bild: Sabine Windlin / zvg)

Der Leiter der Durchgangsstation Steinhausen ist gefeuert worden. Dies, nachdem er auf Facebook Hass gegen Homosexuelle geschürt und russische Propaganda verbreitet hat. Der Soziologe Marko Kovic ordnet den Fall ein.

Marko Kovic widmet sich beruflich der Erforschung von Verschwörungstheorien. Während der Corona-Pandemie haben ihn viele Medien als Experten herangezogen (zentralplus berichtete). Jetzt macht ein Fall aus Zug Schlagzeilen, der in Bezug auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien noch zu reden geben dürfte.

Pink Cross fordert eine Untersuchung

Der Leiter des Durchgangszentrums in Steinhausen hatte über ein halbes Jahr auf seinem öffentlichen Facebook-Profil Posts veröffentlicht, die von Homophobie und Sexismus triefen (zentralplus berichtete). Daneben verbreitete er pro-russische Propaganda.

Wegen seiner verbalen Entgleisungen ist er seit dieser Woche freigestellt. Pink Cross fordert, dass der Mann auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Die Schwulenorganisation verlangt von der Staatsanwaltschaft Zug eine Verletzung der Antidiskriminierungsstrafnorm zu prüfen (zentralplus berichtete).

Marko Kovic, Was für ein Weltbild steckt hinter den Posts?

Was ist von den Äusserungen des ehemaligen Zentrumsleiters zu halten? Für welches Weltbild steht er ein? Das wollte zentralplus vom Experten Marko Kovic wissen.

zentralplus: Der Mann fordert eine neue Weltordnung. Dieses Schlagwort steht für eine Verschwörungstheorie. Welche Vorstellungen stecken dahinter und woher kommen sie?

Marko Kovic: Das mit der neuen Weltordnung ist in diesem Kontext fast ein wenig amüsant. Die neue Weltordnung («New World Order») ist eigentlich eine antisemitische Verschwörungstheorie, gemäss der jüdische Eliten eine globale Diktatur einführen wollen. Der ehemalige Leiter der Durchgangsstation Steinhausen meint aber offensichtlich etwas anderes. Er scheint sich zu wünschen, dass jemand im Westen (gewaltsam) durchgreift und all die Dinge und Menschen, die er hasst, eliminiert.

«Aus der Forschung wissen wir, dass autoritäre Einstellungen stark mit dem Glauben an Verschwörungstheorien korrelieren.»

zentralplus: Offenbar ist Jungfräulichkeit ein grosses Thema für den ehemaligen Leiter des Durchgangszentrums Steinhausen. Wie passt das in dieses Weltbild der neuen Weltordnung?

Kovic: Bei dieser Person haben wir eine Verbindung von Verschwörungsideologie und reaktionärem Weltbild. Misogyne Ansichten gibt es bei einer solchen Weltanschauung oft. Die moralische Dekadenz, die solche Leute auszumachen glauben, verschulden zu einem grossen Teil Frauen, die sich nicht in ihre «traditionellen» Rollen fügen. Hass auf Frauen und auf Feminismus ist in der Verschwörungsszene weit verbreitet.

zentralplus: Der Mann verwendet unter anderem das hebräische Zeichen für Unreinheit. Welche Rolle spielen antisemitische Vorstellungen in diesem Weltbild?

Kovic: Moderne Verschwörungsideologien sind sehr stark von Antisemitismus geprägt. In diesem konkreten Fall ist es aber nicht klar, was die Person mit den hebräischen Bezeichnungen genau zum Ausdruck bringen wollte.

«Viele Verschwörungsideologen können ihre extremistischen Überzeugungen im Alltag gut zurückhalten.»

zentralplus: Einem Artikel in der «Luzerner Zeitung» ist zu entnehmen, dass der Mann massive Hetze gegen die LGBTQ-Community betreibt. Woher kommt dieses Bild der Unreinheit, von der sich moderne Gesellschaften doch eigentlich längst verabschiedet haben?

Kovic: Auch Hass auf LGBT-Angehörige ist in der Verschwörungsszene weit verbreitet. Das Narrativ, der Westen habe seine traditionellen christlichen Werte aufgegeben und verfalle nun deshalb, ist eine Art Fundamentalmythos in diesen Kreisen. Das sind denn auch die Hass- und Verschwörungserzählungen, die zum Beispiel der Kreml erfolgreich seit über zehn Jahren propagiert. Und dieser Hass ist nicht auf verschwörungstheoretische Kreise beschränkt. Auch im politischen Diskurs ist solche Hetze salonfähig. Wenn man beispielsweise die Weltwoche aufschlägt, ist sie voll von Hass gegen alles, was in Richtung Inklusion geht - Transphobie, Feminismus-Hass, fanatischer Hass gegen «Gendersternchen» und so fort.

zentralplus: Der Mann hat sich mit Vorliebe mittels Emojis ausgedrückt. Das wirkt fast wie eine Geheimschrift, über die versteckte Messages verbreitet werden, die nur Eingeweihte auf Anhieb verstehen. Ist das unter den Anhängern dieser Verschwörungstheorie verbreitet?

Kovic: Ich würde das nicht direkt als Geheimschrift deuten. Es handelt sich meines Erachtens um einen wirren und verwirrten Menschen, der mit diesen Emojis teilweise fast wie mit einer Signatur die immer gleichen Hassbotschaften auf kompaktem Raum zum Ausdruck brachte.

«Die Radikalisierung zeigt sich nicht wie früher an der Bekleidung, Tätowierungen und dergleichen. Sie findet kognitiv statt.»

zentralplus: Ehemalige Mitarbeitende haben dem Mann einen militärischen Führungsstil vorgeworfen. Passt das zu den Vorstellungen der neuen Weltordnung?

Kovic: Aus der Forschung wissen wir, dass autoritäre Einstellungen stark mit dem Glauben an Verschwörungstheorien korrelieren. Das passt ganz allgemein zur Weltanschauung von Verschwörungsideologinnen: Sie sind fundamental antidemokratisch und illiberal.

zentralplus: Der Mann leitete die Durchgangsstation seit 2016. Können Sie sich erklären, warum bislang keiner gemerkt hat, welche Vorstellungen er vertritt?

Kovic: Viele Verschwörungsideologen können ihre extremistischen Überzeugungen im Alltag gut zurückhalten. Sie fallen beispielsweise an ihrem Arbeitsort nicht auf und leben ihre Weltsicht vor allem online aus. In diesem konkreten Fall wissen wir zudem nicht, wie die Radikalisierungsbiografie des Mannes aussieht. Es ist möglich, dass er sich erst in der jüngeren Vergangenheit radikalisiert hat.

«Eine Person mit solchen hasserfüllten Überzeugungen ist für gar keine Führungsposition geeignet. Erst recht nicht in einem Bereich, in welchem sie mit vulnerablen Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu tun hat.»

zentralplus: Ist es typisch, dass so ein Abdriften langsam und vom Umfeld unbemerkt vonstatten geht?

Kovic: Verschwörungsideologische Radikalisierung kann unterschiedliche Formen annehmen. Manchmal geht es sehr schnell, manchmal über längere Zeit. Allgemein ist Radikalisierung heute aber etwas, das oft nicht auf Anhieb für Aussenstehende erkennbar ist. Wer sich heute im Internet rechtsextrem radikalisiert, fällt von aussen in der Regel nicht auf. Die Radikalisierung zeigt sich nicht wie früher an der Bekleidung, Tätowierungen und dergleichen. Sie findet kognitiv statt.

zentralplus: Können Sie persönlich nachvollziehen, dass die Vorgesetzten zum Schluss gekommen sind, dass ein Mensch mit solchen Vorstellungen in der Funktion des Leiters eines Asylzentrums falsch ist?

Kovic: Ja. Eine Person mit solchen hasserfüllten Überzeugungen ist für gar keine Führungsposition geeignet. Erst recht nicht in einem Bereich, in welchem sie mit vulnerablen Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu tun hat.

Hinweis zur Schreibweise: Marko Kovic verwendet für seine Kommunikation den Genderstern. zentralplus hingegen wechselt zwischen männlicher und weiblicher Form ab.

Verwendete Quellen
  • Telefonat und Mail-Kontakt mit Marko Kovic
  • Artikel «Zuger Zeitung»: Kantonsangestellter freigestellt
  • Artikel «Zuger Zeitung»: Jetzt geht die Chefin
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9 Kommentare
  • Profilfoto von Roli Venetz
    Roli Venetz, 03.07.2022, 07:03 Uhr

    Dass die nicht nur Frauenfeindlich, Rassistisch, und Homophob, sondern auch noch antisemitisch sind, habe ich bisher nicht gewusst. Abscheulich, gut ist schluss damit.

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  • Profilfoto von Heinz
    Heinz, 02.07.2022, 12:25 Uhr

    Diesem armen Mann ist nicht zu beneiden. Wer Frauen, Nichtbesitzer-des-roten-Passes, oder Homosexuelle hasst, hasst ja schon fast die ganze Gesellschaft. Der Alltag wird so ziemlich mühsam, Bekannte machen erst recht noch.

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    Rolf Grüter, 02.07.2022, 11:20 Uhr

    Ich bin zutiefst erschüttert. Wie konnten wir solche Zustände in unserem Land tolerieren?

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    Albert von Hasle, 02.07.2022, 05:55 Uhr

    Ein aufschreckender Bericht. Gut, das jemand dieses Thema untersucht.

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    partnerds in crime, 01.07.2022, 23:03 Uhr

    M. Kovic – ein aufgehender Genderstern am Firmament der Hermeneutik. Einfach toll und wohltuend, wie umsichtig überlegen und lückenlos richtig er uns die Welt erklärt. Schlicht königlich dieser universalgelehrte Intellekt! Aus unerklärlich Gründen kommt mir sofort Walter Lippmann – Die öffentliche Meinung – in den Sinn. Hier wieder Qualitätsjournalismus, der seinesgleichen sucht.
    Morgen wieder Bruchstrasse 64, ja?

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