Benno Jud über Tragödie von Maseltrangen

Luzerner verlor Zwillingsschwester durch brutalen Mord

Benno Jud (53), der Zwillingsbruder der 1977 ermordeten Lisabeth, vor ihrem Denkmal am Tatort. (Bild: Caroline Mohnke)

Ein grausamer Kindermord hat 1977 das idyllische Dorf Maseltrangen in St. Gallen aufgewühlt. Der Zwillingsbruder der damals achtjährigen Lisabeth, Benno Jud, hat ein Buch geschrieben über seine tragische Lebensgeschichte. Wir haben Jud, der heute in Luzern lebt, getroffen.

Die Glocken der Kirchenuhr läuten, die Schafe weiden friedlich. Als wäre nie etwas geschehen in diesem 400-Seelen-Dorf, eingebettet zwischen Schänis und Kaltbrunn. Doch für Benno Jud nahm das Leben als Bub hier einen jähen Richtungswechsel.

Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Er zeigt auf die Stelle vor der Kirche, wo einst das Grab seiner Zwillingsschwester Lisabeth war, die vor 45 Jahren von einem Jüngling, wie er es in seinem Buch beschreibt, auf ihrem Schulweg brutal ermordet wurde.

Jud ist Autor und Chefkoch. Heute lebt er mit seiner Frau in Luzern und ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und einem Grosskind. Er arbeitete in mehreren Luzerner Gastwirtschaften, heute im Restaurant Rosengarten in Cham.

Als wir Jud in Maseltrangen treffen, erinnert er sich an die Beerdigung seiner Zwillingsschwester. Er erzählt: «Ich höre noch heute die Geräusche der Schaufel des Totengräbers.»

Schulweg durch den Wald

«Wir leben auf dem Bauernhof ‹Bergli›, 700 Meter über Meer, von dem es auf allen Seiten entweder hinauf oder hinunter geht», beschreibt Benno Jud den Ort, an dem er aufgewachsen ist in seinem Buch. Das «Bergli» ist mit vielen Bäumen umgeben, die zusammen einen dichten Wald bilden und die Grenze zum nächsten Nachbarn markieren.

Da eine rentable Landwirtschaft unmöglich gewesen sei, habe sich sein Vater für das Verpachten entschieden. Ein Bauer habe die Wiese für das Gras und Heu genutzt, ein weiterer für eine Herde Schafe und der auswärtige Pächter für Rinder und einen Esel. «Wir mussten einen abschüssigen und steinigen Waldweg hinunter in die Dorfschule nach Maseltrangen laufen», erzählt Benno Jud während dem steilen Aufstieg durch den Wald ins «Bergli».

Eine Strasse in die andere Richtung habe ins Dorf Kaltbrunn im Kanton St. Gallen geführt. An einer Stelle im Waldaufstieg bleibt er stehen. «Hier hat der Mörder meine Zwillingsschwester zum ersten Mal gesehen. Als sie auf dem Waldweg hinunter ins Dorf gelaufen ist.» Kurze Zeit später gelangen wir zum Tatort und der Gedenktafel seiner Zwillingsschwester. Mit Grossbuchstaben steht darauf: «Lisebethli Jud 12.5.69–18.6.77».

Eine Gedenktafel erinnert im Waldstück in Maseltrangen an den grausamen Mord an der damalsa achtjährigen Lisabeth Jud. (Bild: Caroline Mohnke)

Der Mörder kam mit dem Töffli

In seinem Buch beschreibt der 53-jährige Benno Jud die Begegnung zwischen Lisabeth und ihrem Mörder. Während er am Buch geschrieben hat, durfte er die Original-Gerichtsakten studieren und sich mit dem Polizist Keller unterhalten, der damals für diesen tragischen Fall zuständig war. Seine Erzählform beschreibt eine unverblümte Version, wie es der Täter im Polizeirapport und in den Gerichtsakten ausgesagt hat.

Der knapp 17 Jahre alte Mörder war der Sohn des auswärtigen Pächters, der sein Vieh beim Bergli untergebracht hatte. An diesem verhängnisvollen Samstagmorgen bekam der Täter den Auftrag von seinem Vater, zu den Tieren im Bergli zu schauen. Mit dem Töffli fuhr er über eine Stunde von Eschenbach nach Maseltrangen, wo er den letzten Weg im Wald zu Fuss in Angriff nahm und die kleine Lisabeth auf ihrem Schulweg auf brutalste Art und Weise umbrachte und verscharrte.

«Plötzlich schrillt ein Mark und Bein durchdringender Aufschrei durch das Untergeschoss. Dies anzuhören und sich vorzustellen, dass die Eltern gerade vor ihrem toten Kind stehen, treibt mir Tränen in die Augen.»

Eigentlich bekamen seine Eltern von den Behörden den Auftrag, ihren Sohn zu beaufsichtigen. Denn dieser hatte nur wenige Wochen vor der grausamen Tat ein ebenfalls achtjähriges Schulmädchen aus Eschenbach an seinem Wohnort vergewaltigt.

Benno Jud erinnert sich zurück. «An diesem 18. Juni hatte ich eine Sommergrippe und musste das Bett hüten», erzählt er. Lisabeth machte sich alleine auf den Weg. Der Vater bot Lisabeth an, sie ins Dorf zu fahren, doch sie lehnte ab. Das Grauen nahm seinen Lauf. Nachts um halb zwei überbrachten der Pfarrer und der Dorfpolizist die traurige Todesnachricht ins «Bergli».

Eine letzte Umarmung

In seinem Buch beschreibt Benno Jud das letzte Wiedersehen, die letzte Umarmung mit seiner Zwillingsschwester im Spital Uznach: «Wir ziehen die Sonntagskleider an: Für mich ein Hemd, gebügelte Hosen und die Halbschuhe. Die Schwestern tragen einen Faltenrock und eine Bluse.»

Benno Jud hat nebst der verlorenen Schwester noch zwei ältere Schwestern: Patricia und Monika. «Plötzlich schrillt ein Mark und Bein durchdringender Aufschrei durch das Untergeschoss. Dies anzuhören und sich vorzustellen, dass die Eltern gerade vor ihrem toten Kind stehen, treibt mir Tränen in die Augen.»

«Heute habe ich mein Schicksal verarbeitet und kann wieder nach Maseltrangen fahren mit einer inneren Ruhe.»

Nach dem Tod seiner geliebten Zwillingsschwester verlor die Mutter ein Kind in der zwölften Schwangerschaftswoche und hatte den innigsten Wunsch nach einem weiteren Kind. Schliesslich entschlossen sich die Eltern für ein Pflegekind; Sebastian, der von seinem gewalttätigen Vater missbraucht und gezüchtigt wurde. Zu allem Leid vergriff sich dessen Vater auch noch an Benno Jud.

Beim «Bergli» oben angekommen erzählt Benno Jud: «Noch vor einigen Jahren war es mir nicht möglich, über das Geschehene in meiner Kindheit zu reden.» Nach 44 Jahren sei er in ein grosses Loch gefallen und fand im Schreiben dieses Buches eine Möglichkeit, sein tragisches Schicksal zu verarbeiten. «Heute habe ich mein Schicksal verarbeitet und kann wieder nach Maseltrangen fahren mit einer inneren Ruhe.»

Das Schreiben half Benno Jud, sein eigenes Schicksal zu verarbeiten. (Bild: Caroline Mohnke)
Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Benno Jud
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