Brauchtum statt Geld

Jodler, Schwinger, Trychler: Zug wird zum Folklore-Kanton

Die Trychlergruppe Menzingen im Einsatz. Je 10 bis 15 Kilo wiegt eine Trychle. (Bild: zvg)

Nach den Schwingern und den Jodlerinnen pilgern nun die Trychler in den Kanton Zug: Derzeit findet in Menzingen das Eidgenössische Scheller- und Trychlertreffen statt. Wer steckt hinter der Strategie «Folklore und Geld»?

Rund 3000 Trychler und Scheller werden am Wochenende Menzingen zum Beben bringen. Derzeit steigt das Eidgenössische Scheller- und Trychlerfest (EST) – erwartet werden bis zu 10'000 Zuschauerinnen (zentralplus berichtete). Zuletzt fand die alle drei Jahre stattfindende Veranstaltung im Jahr 1996 im Kanton Zug statt.

Der Kanton Zug hat sich in den letzten Jahren einen Folkloreanstrich verpasst. So wurden 2019 rund 300 Kubikmeter Sägemehl ins Zuger Herti gekarrt, um am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) den Schwingerkönig zu küren. Dieses Jahr hatten Trachtenschneiderinnen Hochbetrieb, als im Juni das Eidgenössische Jodlerfest über die Bühne ging (zentralplus berichtete).

Die Vorfreude ist gross bei Karl Nussbaumer, dem OK-Präsidenten des EST. Den Nutzen sieht er vor allem darin, dass sich Menzingen von seiner schönsten Seiten präsentieren könne «und alle sehen, wie da noch Heimat und Tradition gelebt wird». Auch der Kanton profitiere davon. «Für den Kanton Zug wird es ein weiteres Mal eine gute Werbung sein: Der Kanton Zug ist eben nicht nur ein finanzstarker Kanton, sondern ein Kanton, in dem man auch Traditionen und Brauchtümer pflegt und lebt.»

Ein Zug abseits von «Stereotypen»

Den Kanton Zug verbindet man wohl eher mit Schlagwörtern wie Steuerparadies und Crypto-Valley. Und weniger mit Schwingen, Jodeln und Trycheln.

Das sieht der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP) anders, der ins gleiche Horn bläst wie Nussbaumer. Tännler war auch der Mann, der beim ESAF 2019 die Fäden als OK-Chef in seinen Händen hielt. Dass Zug von aussen vielfach isoliert als Wirtschaftsstandort betrachtet wird, wo gearbeitet und Geld verdient wird, bestreitet auch er nicht. Nur sei das aber falsch.

«Dadurch kann sich Zug von üblichen Stereotypen wie tiefe Steuern und Internationalität lösen und sich in einem anderen und sympathischen Kleid präsentieren.»

Heinz Tännler, Zuger Finanzdirektor

«In Zug wird zwar gewirtschaftet und Zug hat eine urbane Bevölkerung mit hohem Ausländeranteil, die sich aber der Traditionen und dem Brauchtum alles andere als verschliesst und sich der Bedeutung sehr wohl bewusst ist», hält er fest. Nicht zuletzt der jährliche Stierenmarkt mitten in der Stadt Zug sei für ihn «der lebende Beweis» dafür. Dass Zug Austragungsort mehrer Folksfeste wie dem ESAF und dem Jodlerfest war, begrüsst er. «Dadurch kann sich Zug von üblichen Stereotypen wie tiefe Steuern und Internationalität lösen und sich in einem anderen und sympathischen Kleid präsentieren.»

Nachhaltiger Effekt lässt sich nicht bemessen

Auch wenn innert weniger Jahren gleich drei grössere Folkloreevents im Kanton stattgefunden haben – so ist es doch eine zufällige Häufung. Jedenfalls das ESAF und das Jodlerfest sind turnusgemäss auf die Zentralschweiz und somit Zug gefallen.

Auch wenn Nussbaumer und Tännler nur positive Worte übrighaben: Wie der Kanton konkret von den Folkloreevents nachhaltig profitieren konnte, lässt sich nicht beziffern. Über die beiden Anlässe wurde keine volkswirtschaftliche Studie durchgeführt, welche die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen evaluiert, wie Volkswirtschaftsdirektorin Silvia Thalmann-Gut sagt. Alleine die Budgets der beiden Anlässe zeigen jedoch, wie viel in die regionale Wirtschaft investiert wurde. So belief sich das Festbudget beim ESAF in Zug auf rund 37 Millionen Franken.

«Zugleich ist der nachhaltige Nutzen bei einmaligen Anlässen relativ klein.»

Roland Lymann, Tourismus-Dozent HSLU – Wirtschaft

«Nebst der Ausstrahlung über die ganze Schweiz und das Kennenlernen des Kantons Zug, welches die bekannten Zerrbilder relativiert, sind solche Events einer guten Reputation zuträglich», sieht Thalmann den nachhaltigen Nutzen. Gleichzeitig werde die lokale Wirtschaft gefördert, die Hotellerie, Gastronomie und das Gewerbe.

Die Menschen vergessen schnell wieder

Kritischer beleuchtet das Ganze Roland Lymann. Er ist Tourismus-Dozent am Departement Wirtschaft der Hochschule Luzern. Er betont, dass selbst nach der Durchführung von Grossveranstaltungen die Vergesslichkeit eher gross sei: «Zugleich ist der nachhaltige Nutzen bei einmaligen Anlässen relativ klein. Man muss in wiederkehrenden Abständen Events in einem bestimmten Thema anbieten, damit sich das gewünschte Image auch auf die Destination überträgt.»

Idealerweise passe die Aussage des Events zum Branding des Kantons. «Der Kanton Zug präsentiert sich – auch in seiner Strategie – insbesondere als innovativer und dynamischer Kanton, wobei Brauchtum tendenziell nicht im Fokus steht.»

Lymann betont auch die positiven Aspekte. Dass Events die Destinationen beleben, die Betten der Hotels vor Ort füllen und das Gewerbe insgesamt ankurbeln. «Zudem sind Folkloreevents auf den Schweizer Markt und weniger auf internationale Gäste ausgerichtet.» Für Destinationen kann dies insofern erstrebenswert sein, da nicht zuletzt die Corona-Krise gezeigt hat, dass der Schweizer Markt im Tourismus stabiler ist als jene Umsätze, die von ausländischen Touristen kommen: «Destinationen mit hohem Anteil an Schweizer Gästen profitieren dadurch in der Regel von einer kontinuierlichen Entwicklung, verzichten aber auf kurzfristig hohe Zuwachsraten.»

Folklore im Aufwind

Traditionen würden jedoch neu aufblühen, wie der «Walliser Bote» festgehalten hat. Seit der Jahrtausendwende hätte die Volkskultur an Anziehungskraft gewonnen. Folklorefeste hätten sich in den letzten Jahren zu Besuchermagneten gemausert. Der Geschäftsleiter des Eidgenössischen Schwingerverbands, Rolf Gasser, hielt fest, dass der Zuschauerboom an den Schwingfesten nach Corona ungebrochen sei.

Intuitiv würde man jedoch erwarten, dass eher konservative und ländliche Kreise solche Events besuchen. Ein Blick ins Programmheft des Eidgenössischen Scheller- und Trychlertreffens zeigt, dass gleich drei SVP-Politiker Festreden halten. Neben OK-Präsident Nussbaumer, der 2002 in den Zuger Kantonsrat gewählt wurde und für dieses und nächstes Jahr als Kantonsratspräsident fungiert, auch Heinz Tännler und Bundesrat Albert Rösti.

Tännlers Meinung nach ist das eher zufällig. Das Publikum sei vielfältiger, als man vermuten würde. «Solche Veranstaltungen werden von einer breiten Masse, von Jung und Alt von urbanem und konservativem Publikum besucht.» Dass viele den Schwingern zuschauen und den Jodlerinnen zuhören möchten, führt er auch darauf zurück, dass es sich um «sichere, ruhige und gesellige» Veranstaltungen handle. Und: Traditionen trotzen der Globalisierung. So sagt Tännler: «Ein weiterer Grund liegt wohl auch darin, dass in einer immer mehr globalisierten und komplizierten Welt Brauchtum und Tradition ein Heimatgefühl vermitteln und andere Sinne anspricht.»

Zug – der neue Folklorekanton?

Bleibt die Frage, ob sich der Kanton zu einem Folklorekanton mausert. Zumal der nächste grosse Anlass ansteht: 2024 findet das 117. Innerschweizer Schwing- und Älplerfest in Menzingen statt.

«Mit den besagten Veranstaltungen hat sich der Kanton Zug der Schweiz tatsächlich als kleiner und feiner ‹Folklorekanton› präsentieren können», schlussfolgert Tännler. Wobei auch die Turnusgründe dem Kanton diesbezüglich in die Karten spielten.

Das ESAF 2022 fand bekannterweise in Pratteln statt, das nächste Jodlerfest in der Stadt Basel. Tännler dazu: «Es gibt in der Schweiz nicht nur ein ‹Folklorezentrum›.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Silvia Thalmann-Gut, Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Heinz Tännler, Finanzdirektor des Kantons Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Karl Nussbaumer, OK-Präsident des Eidgenössischen Scheller- und Trychlertreffens
  • Telefonat mit Roland Lymann
  • Website des EST 2023
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Grünwald Margrit
    Grünwald Margrit, 12.08.2023, 21:36 Uhr

    Wieviele Bauern gibt es im Kanton Zug? Wieviele Bio Bauern gibt es? Wie sieht es mit
    Bundessubventionen bei denen aus?

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  • Profilfoto von Franz
    Franz, 12.08.2023, 07:03 Uhr

    Schwingen ist von der folkloristischen Nische zu einem Mainstream- und Adabei-Event geworden. Dies im Gegensatz zu Jodeln und Trycheln, für die sich nur die Beteiligten interessieren. Wobei Letzteres mit hohen Lärmemissionen für Unbeteiligte verbunden ist.

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