Wird der Bundesliganeuzugang neuer Captain?

FCL-Routinier Gentner: «Ich brauche keine Binde um den Arm, um Führungsspieler zu sein»

Herzblut hat der FC Luzern genug in seinen Reihen – mit dem Routinier Christian Gentner ist jetzt auch noch Köpfchen dazu gekommen. (Bild: Martin Meienberger/freshfocus)

FCL-Neuzugang Christian Gentner hat in seiner Bundesligakarriere grosse und traurige Momente erlebt. Zum Abschluss seiner Karriere hätte er noch viel Geld verdienen können, aber er entschied sich für den Cupsieger FC Luzern. Ein Gespräch über die Gründe für diesen Transfer, über Leadership, Bodenständigkeit und Schicksalsschläge.

Herz, Wille und Charakter sind da: Was bei dem auf Offensivfussball gebürsteten FC Luzern bislang noch fehlte, ist die Balance im Spiel (zentralplus berichtete).

Um dieses Manko zu beheben, hat die sportliche Leitung konsequent gehandelt. Sie hat mit dem im August 36 Jahre alt werdenden Christian Gentner einen Spieler geholt, der über die Erfahrung von 430 Bundesligaspielen verfügt. Der zentrale Mittelfeldspieler war letzte Saison hinter Bayern-Goalie Manuel Neuer (438) der erfahrenste aktive Spieler in der höchsten Liga unseres Nachbarlandes.

Christian Gentner steht für Köpfchen und Führungsqualitäten (zentralplus berichtete). Er hat beim FCL einen Vertrag bis 2022 plus Option unterschrieben.

zentralplus: Sie wurden zweimal deutscher Meister, was selten ist, wenn man nie für die Bayern gespielt hat. Sie sind mit Stuttgart zweimal abgestiegen, Sie waren Nationalspieler. Man darf also sagen, dass Sie die ganze Bandbreite an Emotionen in Ihrer Fussballerkarriere erlebt haben. Warum geben Sie sich jetzt noch den FC Luzern?

Christian Gentner: Weil ich den FCL noch nicht erlebt habe (schmunzelt.) Es ist richtig, dass ich viele tolle Momente in Deutschland erleben durfte. Meine Frau und ich wollten immer gerne eine Auslandserfahrung machen, allerdings habe ich schon lange damit aufgehört, im Fussball langfristig zu planen. Vor rund zwei Monaten hat sich die Möglichkeit Luzern ergeben und meine Frau und ich entscheiden nie etwas aus dem Bauch heraus, sondern überlegen uns das gut.

zentralplus: Wie sahen Ihre Überlegungen konkret aus?

Gentner: Die familiäre Situation könnte gut passen, der Klub und das Entwicklungspotenzial der Mannschaft scheinen sehr interessant zu sein. Und die Gespräche mit Trainer Fabio Celestini und Sportchef Remo Meyer haben letztlich dazu geführt, dass uns diese Lösung für die nächsten Monate sehr positiv gestimmt hat.

«Geld war in meiner ganzen Karriere nie der treibende Faktor.»

zentralplus: Aus Ihrem Umfeld ist zu vernehmen, dass Sie lukrativere Angebote aus Wüstenstaaten vorliegen hatten. Warum gaben Sie im Spätherbst Ihrer Karriere nicht dem Geld den Vorzug?

Gentner: Geld war in meiner ganzen Karriere nie der treibende Faktor. Ich habe meine Verträge bei Stuttgart nie wegen des Geldes verlängert, auch vor dem Wechsel zu Union Berlin gab es finanziell höher dotierte Angebote. Das Finanzielle war bei mir nie der ausschlaggebende Punkt.

zentralplus: Sondern?

Gentner: Die sportliche Perspektive in Kombination mit dem, was ich bei den Gesprächen mit den Klubverantwortlichen heraushöre. Mir war es immer wichtig zu spüren, dass die Klubverantwortlichen eine Idee mit mir auf dem Platz haben. Dass sie meinen Einfluss sehen, den ich auf die Teamkollegen nehmen kann und mit fortschreitendem Alter auch auf die Stimmung in der Garderobe. Dass ich mich mit Medien austauschen kann. Ein solches Gesamtpaket war für mich immer wesentlich wichtiger als das Finanzielle. Aber ich möchte auch niemandem etwas vormachen: Finanziell lief es für mich in Deutschland trotzdem nie schlecht.

zentralplus: Kann man sagen, dass Sie so etwas sind wie der schwäbische Gegenentwurf zu Kevin Kuranyi?

Gentner: (lacht.) Nein. Erstens, weil es negativ klingen würde für Kevin Kuranyi.

zentralplus: Aber Kevin Kuranyi hat sich dazu entschlossen, sich in Moskau mit Geld überschütten zu lassen.

Gentner: Ja schon, und doch: Wer Kevin kennt, weiss, dass er den Fussball an sich liebt. Er war damals für uns jüngeren Spieler beim VfB Stuttgart immer erster Ansprechpartner, Kevin nahm jeden Junior, den er irgendwo sah, in den Arm und quatschte mit ihm, als stünde man auf einer Ebene. Obwohl er zu der Zeit schon der Held war, zu dem alle in Stuttgart aufblickten. Dem Stürmer eiferten alle Nachwuchsspieler nach, und er zeigte ja später auch auf Schalke seine grosse Klasse und spielte für die Nationalmannschaft. Sein damaliges Angebot von Dynamo Moskau bewegte sich zudem in ganz anderen Gehaltssphären. Trotzdem hat er seine Wurzeln nie verloren. Ich weiss, dass sein Freundeskreis, den er in Jugendjahren hatte, noch immer der gleiche ist.

«In der familiären Situation mit zwei Kindern, in der ich mich bewege, entscheidet man nicht mehr selber als Spieler.»

zentralplus: Sie haben vorhin im Entscheidungsprozess immer von «wir» geredet. Welchen Einfluss hatte Ihre Frau auf die Zusage für Luzern?

Gentner: In der familiären Situation mit zwei Kindern, in der ich mich bewege, entscheidet man nicht mehr selber als Spieler. Das machen meine Frau und ich gemeinsam. Das war schon bei meinem letzten Wechsel vor zwei Jahren nach Berlin so. Das lief auf räumliche Trennung hinaus, weil meine Frau zu tun hatte und nicht weg konnte aus Stuttgart. Zudem wollten wir auch die Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld rausziehen. Jetzt haben wir uns gesagt, dass wir als Familie zusammenbleiben wollen.

zentralplus: Ihr ältester Sohn steht mit sechs Jahren nun aber vor der Einschulung.

Gentner: Ja, das ist richtig. Das sind Dinge, die wir noch final klären müssen. Sie hängen ja auch mit unserer Wohnungssuche zusammen. Wir wissen noch nicht, in welchem Kanton wir uns niederlassen werden. Vielleicht ist es dann noch Kindergarten oder eine Vorstufe zur Schule. Darüber machen wir uns noch Gedanken.

zentralplus: Bevor es die Option gab, nach Luzern zu wechseln, hatten Sie da eine Verbindung zu unserer Region oder zumindest zur Schweiz?

Gentner: Nein. Wir haben die Schweiz zwar immer als reizvolles Land gesehen, als sauberes, schönes Land mit tollen Städten. Aber ich hatte vorher nie eine Verbindung – weder sportlich noch privat.

«Ich habe in Berlin gemerkt, wie viel Freude es mir bereitet, wenn sich junge Spieler, die ich mal zur Seite nehme und mit ihnen rede, weiterentwickeln.»

zentralplus: Was wollen Sie dem FC Luzern nächste Saison bringen? Woran soll Ihre Arbeit gemessen werden?

Gentner: Ich habe mich noch nie um statistische Werte gekümmert. Deshalb werde ich keine Anzahl Tore und Torvorlagen als Zielsetzung nennen. Wenn wir als Team erfolgreich sind und ich meinen Teil auf dem Platz beitragen kann, ist es für mich eine Erfolgsgeschichte. Aber auch dann, wenn ich auf ein paar Einsatzminuten verzichten muss, dafür aber ein paar meiner Mitspieler den nächsten Schritt in ihrer Karriere machen können. Ich habe in Berlin gemerkt, wie viel Freude es mir bereitet, wenn sich junge Spieler, die ich mal zur Seite nehme und mit ihnen rede, weiterentwickeln. Das wird von mir erwartet in Luzern, weil die Mannschaft auch eine gewisse Balance benötigt. Neben dem nötigen Tempo, dem Willen, dem Mut und der Aggressivität braucht es auf dem Platz aber auch Köpfchen und eine gewisse Ruhe. Alle diese Komponenten werde ich versuchen einzubringen, ohne dass ich mich über irgendjemanden oder irgendetwas stelle.

zentralplus: Beim VfB Stuttgart, wo Sie jahrelang Captain waren, haben gerade die jungen Spieler von Ihnen als Führungsperson geschwärmt. Was zeichnet einen Teamleader aus?

Gentner: Dass er versucht, alle Spieler in einer Mannschaft ins Boot zu holen. Eine Mannschaft besteht aus 18- bis 36-Jährigen, die an einem unterschiedlichen Punkt in ihrem Leben stehen und andere Ansätze für die Gestaltung ihres Lebens haben. In einem Team gibt es meist verschiedene Kulturen, Spieler, die der Sprache vielleicht nicht ganz mächtig sind. Das geht bis hin zu Essensgewohnheiten. Ich hatte argentinische Teamkollegen, die nie vor halb zehn Uhr abends gegessen haben. Ich als Familienvater bin mir hingegen halb sieben gewohnt. Als Teamleader musst du die Fähigkeit haben, alle zusammenzubringen. Denn eine Mannschaft, die in sich gut funktioniert, hat auf dem Platz automatisch mehr Erfolg. Weil alle einander unterstützen und die Extrameter füreinander laufen. Ich hatte das Glück, in jungen Jahren beim VfB Stuttgart von einem Markus Babbel oder Horst Heldt angeleitet worden zu sein. Ich konnte mir das professionelle Verhalten abschauen.

zentralplus: Dürfen wir die Schlagzeile setzen, dass Christian Gentner nächste Saison der neue Captain des FC Luzern sein wird?

Gentner: Definitiv nicht.

zentralplus: Und warum nicht? Sie bringen ja alles mit, was einer Mannschaft mit wenig Leadership fehlt.

Gentner: Als Führungsspieler brauche ich keine Binde am Arm, es gibt ein paar langjährige Spieler in Luzern, die nicht nur die Mannschaft, sondern auch den Klub besser kennen und wissen, wie die Stadt, die Liga und die Schweiz funktionieren. Ich sehe mich in der Rolle eines Helfers, der sagt, was er denkt, wenn er gefragt wird oder ihm etwas auffällt. Ich werde kein Lautsprecher sein, auch nicht in den Medien, selbst wenn ich meine Meinung äussern werde. Man wird mich in den Stadien schon wahrnehmen beim Coaching der Mitspieler auf dem Platz. Das gehört zu meiner zentralen Rolle in der Aufstellung dazu.

zentralplus: Um einem Missverständnis vorzubeugen: Würden Sie sich unwohl fühlen, die Luzerner als Captain anzuführen, wenn man Sie darum bitten sollte?

Gentner: Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, weil ich nicht davon ausgehe, Captain zu werden. Ich bin gerne jemand, der den Captain stark macht. Das war auch in Berlin so.

«Meinen Eltern war es wichtig, dass wir respektvoll sind im Umgang mit anderen Leuten. Und pünktlich. Mich hat die Erziehung geprägt.»

zentralplus: Ihnen eilt der Ruf voraus, ein bodenständiger Typ zu sein, der keine protzigen Benzinkutschen in der Welt herumfährt. Wie …

Gentner: … das wäre bei den Preisen, die in der Schweiz verlangt werden, ja auch gar nicht möglich (lacht.)

zentralplus: Worauf die Frage eigentlich abzielte: Wie sind Sie der geworden, der Sie heute sind?

Gentner: Ich komme aus einfachen Verhältnissen, ohne dass mir je etwas gefehlt hätte als Kind. Meine Brüder und ich hatten eine tolle Kindheit in einer ländlichen Umgebung mit viel Landwirtschaft. Im Sommer mussten wir erst Kirschen, Äpfel oder Zwetschgen ernten, bevor wir ins Freibad durften. Das hat uns gelehrt, dass man etwas tun muss, bevor man etwas erreichen kann. «Von nix kommt nix», wiederholte unsere Mutter bei jeder Gelegenheit. Meinen Eltern war es wichtig, dass wir respektvoll sind im Umgang mit anderen Leuten. Und pünktlich. Mich hat die Erziehung geprägt. Zudem war beim VfB Stuttgart damals Disziplin eingefordert worden, ohne dass es übertrieben war. Aber es gab Regeln, an die man sich halten musste. Und das hat mir auf dem Weg zum Profi gutgetan.

zentralplus: Ist die Annahme richtig, dass sich auch Ihr Freundeskreis gegenüber jungen Jahren kaum verändert hat?

Gentner: Ja, das stimmt. Ich habe viele Freunde aus der Schulzeit und als ich noch in Stuttgart spielte, haben wir uns in der Regel am Mittwochabend zum Kartenspielen getroffen. Ich habe denen auch immer gesagt, solltet ihr der Meinung sein, dass ich mich verändert habe, dann klatscht mir eine. Das hätte ich auch verdient, ist aber glücklicherweise nie passiert. Ich bin einfach froh, dass ich den Freundeskreis von früher noch habe.

«Der Zusammenprall mit Casteels war für alle, die mir nahestehen, viel dramatischer als für mich.»

zentralplus: Sie sind auch einer der wenigen Fussballer, der keine Tattoos am Körper trägt. Warum?

Gentner: Tatsächlich war das von unserem damaligen Nachwuchsleiter in der Jugendzeit bei Stuttgart nicht nur nicht gerne gesehen, es war mehr oder weniger nicht erlaubt. Zum anderen denke ich in der Hinsicht eher langfristig. Irgendwann sieht man sich an einem Tattoo satt. Das brauche ich nicht und habe es deshalb nicht. Ich hätte mir im besten Fall nur etwas vorstellen können, das mich mit meinen Kindern verbindet.

zentralplus: Sie haben schon schwere Momente in Ihrer Karriere erlebt: 2017 der Zusammenprall mit Wolfsburgs Goalie Koen Casteels, der Ihnen mehrere Brüche im Gesicht zufügte und bei dem Sie fast erstickt wären, weil Ihnen die Zunge in den Rachen gerutscht war. Und gegen Ende 2018 starb Ihr Vater im Anschluss an das VfB-Heimspiel gegen Hertha Berlin. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Gentner: Nichts in Bezug auf mein sportliches Denken. Also dahingehend, dass ich sage, dass sich ab diesem oder jenem Zeitpunkt irgendetwas relativiert hätte. Mein Ehrgeiz ist noch immer derselbe. Der Zusammenprall mit Casteels war für alle, die mir nahestehen, viel dramatischer als für mich. Als ich wusste, dass ich trotz den vielen Brüchen im Gesicht mit einem Eingriff wieder normal Fussball spielen kann, ging es für mich nur darum, wie die Reha aussieht und wann ich wieder ins Geschehen eingreifen kann. Geblieben sind mir ein paar taube Stellen im Gesicht, aber die schränken mich kaum ein. Auf den plötzlichen Herztod des Vaters kann man sich nicht vorbereiten, aber das gehört zu meiner Fussballerkarriere, weil es in aller Öffentlichkeit passiert ist. Das wäre nie im Sinne meines Vaters gewesen, weil es ihn nie in die Öffentlichkeit drängte. Er lebte lieber ruhig und zurückgezogen. Der Fussball war sein Leben, der Besuch des Heimspiels seine geliebte Routine. Da ist es dann passiert. Ich habe eine tolle Familie und enge Beziehung zu meinen Brüdern, das hat uns den Schicksalsschlag gut durchstehen lassen.

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