Raubritter, Grabhügel und ein Zuger Volksheld

Die Burgruine Hünenberg gibt ihre Geheimnisse preis

Die Überreste der ehemaligen Feudalburg lassen die einstige Grösse nur noch erahnen. (Bild: ADA, Alois Ottiger)

Eine Schulklasse und die Feuerwehr haben nach 900 Jahren mit vereinten Kräften die ehemalige Feudalburg in Hünenberg aus ihrem Grab geschaufelt. Ein neues Buch der Zuger Archäologin Gabi Meier Mohamed beleuchtet jetzt die bewegte Geschichte und die aussergewöhnliche Wiederauferstehung des alten Gemäuers.

Ausserhalb des Dorfkerns von Hünenberg, direkt an der Hauptstrasse nach Risch und Sins, steht ein unscheinbares Wäldchen. Vorbei an einer Hundewiese, einzelnen Wohnblöcken und einem alten Bauernhaus führt ein Schotterweg in den Wald hinein – und damit zu einem geschichtsträchtigen Ort.

Auf einer Anhöhe, flankiert von zwei Bächen, stehen die Überreste einer alten Burgruine. Vom einstigen Glanz zeugen lediglich noch ein paar Mauern, ein Torbogen und die Öffnung eines Brunnens. Zugegeben, spektakulär ist das nicht – dafür ist es die Geschichte hinter dem Gemäuer umso mehr.

Eine Geschichte, die in Zusammenarbeit zwischen der Korporation Hünenberg – der Besitzerin der Burg –, dem Schweizerischen Burgenverein, dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug (ADA) sowie der Universität Zürich nach und nach ans Licht kommt.

Exemplarisches Beispiel

Projektleiterin Gabi Meier Mohamed, wissenschaftliche Mitarbeiterin des ADA, hat die über 900 Jahre alte Historie in einem Sachbuch zusammengetragen. Entstanden ist ein über 500 Seiten schwerer Wälzer im A4-Format. Aber warum rücken die beteiligten Institutionen aus all den Schweizer Burgen ausgerechnet die vermeintlich unscheinbare Ruine in Hünenberg ins Zentrum?

«Hünenberg steht exemplarisch für die Forschungs- und Konservierungsgeschichte vieler Burgen.»

Daniel Gutscher, Präsident Schweizer Burgenverein

«Hünenberg steht exemplarisch für die Forschungs- und Konservierungsgeschichte vieler Burgen, denn die Ruine teilt ihr Schicksal mit vielen anderen Objekten in unserem Land, die das Mittelalter nicht unbeschadet überdauert haben», schreibt Daniel Gutscher, Präsident des Schweizerischen Burgenvereins im Geleitwort.

Wohnsitz eines Helden vom Morgarten

Springen wir 900 Jahre in die Vergangenheit – und damit direkt zur ersten grossen Ungewissheit. Denn wer die erste Burganlage um 1100 gebaut hat, weiss man bis heute nicht. Wie Gabi Meier Mohamed in ihrem Buch festhält, deutet die Bauweise darauf hin, dass die Bauherren einem gehobenen gesellschaftlichen Milieu entstammten.

Die namensgebende Adelsfamilie Hünenberg taucht jedoch erst im 13. Jahrhundert in den Quellen auf und hat die Burg für mehrere Generationen bewohnt. Sogar der Volksheld Heinrich von Hünenberg – der gemäss Legende massgeblich für den Sieg der Eidgenossen bei der Schlacht von Morgarten verantwortlich war – soll in dem Gemäuer gelebt haben. Im Gegensatz zu anderen Burgen war Hünenberg jedoch nicht lange im Adelsbesitz.

Bereits 1414 wurde die Burg schliesslich an einheimische Bauern veräussert, weil es die Adelsfamilien zunehmend in die Städte zog, wo das Leben mehr Annehmlichkeiten bot. Damit läuteten sie weitestgehend den langsamen Zerfall der Burg ein. Als sie im frühen 19. Jahrhundert noch als Steinbruch genutzt wurde, war das Schicksal der Anlage endgültig besiegelt. Die Überreste wurden von der Natur zurückgeholt und gerieten grösstenteils in Vergessenheit – bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

Ein Amateur-Archäologe setzt sich durch

Im Gegensatz zu vielen deutschen Städten und kulturgeschichtlichen Denkmälern, die durch Bombenhagel in Schutt und Asche gelegt wurden, erlebten in der Schweiz mehrere Burgen eine Wiederauferstehung – wohl im Rahmen der geistigen Landesverteidigung, wie Meier Mohamed vermutet. Eine davon war die Burg Hünenberg.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Ruine komplett von Schutt und Gestrüpp überwachsen und kaum zu sehen. Das beweisen archivierte Fotografien. Dem Wunsch der Bevölkerung, den Herrensitz aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken, wurde erst nach mehrmaligem Bestreben 1944 stattgegeben.

«Wo ist Walter?» im Burgenformat. Die überwucherte Ruine vor der Ausgrabung 1944. (Bild: ADA Archiv Archäologie)

Als Treibkraft hinter diesem Erfolg agierte der Chamer Landwirt, Kantonsrichter und Amateurarchäologe Emil Villiger, der gemäss Buchautorin Meier Mohamed nicht nur die Fähigkeit besass, Leute für eine Sache zu begeistern und zu mobilisieren, sondern auch mit der Freilegung der St.-Andreas-Kapelle in Cham erste archäologische Erfolge feiern konnte.

Auftritt: Chamer Turnverein

Villiger gelang es mit seinem Charme und Überzeugungskraft, genug Gelder für eine umfassende Ausgrabung aufzutreiben – dafür fehlte es an starken Männern, die vor Ort die Schaufel in die Hand nahmen und die rund 3’000 Kubikmeter Schutt abtrugen. In die Bresche sprang schliesslich der Chamer Turnverein.

Dem Oberturner Walter Hitz und seinem Bericht ist es auch zu verdanken, dass diese nicht ganz gewöhnlichen Grabungsarbeiten überhaupt dokumentiert sind – wenn auch nicht wissenschaftlich mustergültig. Weitere helfende Hände fand Villiger bei der Schulklasse des Chamer Sekundarlehrers Otto Wolf, die ein paar Tage lang unter der Aufsicht des Pädagogen zur Spitzhacke griffen.

Die Klasse des Chamer Sekundarlehrers Otto Wolf bei der Arbeit 1944. (Bild: ADA Archiv Archäologie)

Mit viel Elan und wenig Fachwissen ausgegraben

Die Ausgrabungen begannen am 22. Mai 1944 und dauerten bis ins Jahr 1951. Um die Ruine aus dem Erdreich zu befreien, pickelte, schaufelte und sprengte man sich durch das Gelände. Anders als heute griff man auch zu gröberen Mitteln: Um das freigelegte Mauerwerk zu reinigen, rief man die Oberhünenberger Feuerwehr, die simpel, aber effektiv zum Schlauch griff – wohl eine Albtraumvorstellung für jeden zeitgenössischen Archäologen.

Was zum Vorschein kam, war von grosser historischer Bedeutung – nur, wie die Burg einst aussah, darüber rätseln die Fachkräfte noch heute. Gemälde, Skizzen und Karten aus vergangenen Tagen, sprechen eine widersprüchliche Sprache. Gewisse Rekonstruktionen – wie beispielsweise der Torbogen – wurden damals ohne Übereinstimmung mit den archäologischen Befunden durchgeführt.

Die Ruine war auch ein beliebtes Sujet bei Malern. Hier auf einem Stahlstich von 1869 von Jakob Lorenz Rüdisühli. Das Bauernhaus im Vordergrund steht heute noch. (Bild: Museum Burg Zug, Inventar-Nr. 117)

Während der Arbeit zum Buch hat das Amt für Denkmalschutz und Archäologie Rekonstruktionsversuche unternommen, welche die Festung in verschiedenen Stadien im Lauf der Jahrhunderte darstellt. «Eine echte Knacknuss», wie die Autorin erzählt.

Wie die Burg einst ausgesehen haben könnte, siehst du in der Bildergalerie:

Der Zerfall setzt sich fort

Trotzdem, die Ruine war wieder an der frischen Luft und wurde 1955 vom Kanton Zug erstmalig unter Schutz gestellt. Das Mauerwerk zerfiel jedoch weiter – weil sich die Erosion am Sandstein zu schaffen machte. Schliesslich stellte der Bund die Ruine sieben Jahre später unter Schutz und ordnete umfassende Konservierungsarbeiten an. Dieser Phase ist auch der Look zu verdanken, den die Ruine heute zu grossen Teilen noch aufweist.

Auch in späteren Jahrzehnten wird an der Ruine immer wieder geforscht und gearbeitet. Etwaige Pläne, Teile der Burg – wie den Wohnturm – wiederaufzubauen, wurden von der Korporation Hünenberg abgelehnt. «Die Burgruine bleibt somit so, wie sie heute ist. Was bisher vorhanden ist, wird durch die Sanierung gesichert», lautete der Entscheid der Korporation im November 2005. Seit den letzten Konservierungs- und Restaurationsarbeiten von 2005 bis 2010 werden vor allem die zahlreichen Fundstücke ausgewertet, die während der vergangenen Jahre zutage gefördert wurden.

Zwei Generationen, eine Passion. Links zeigt die Ausgrabung von 1945 mit Sek-Lehrer Otto Wolf (stehend) und Emil Villiger (sitzend rechts). Das Bild rechts wurde 2009 aufgenommen und zeigt Teilnehmer des Ausgrabungsteams. (Bild: ADA Archiv)

Von römischen Münzen und Menschenknochen

Manche dieser Schätze stammen sogar noch aus einer Zeit, lange bevor die Burg überhaupt gebaut wurde. So wurden nebst alten römischen Münzen aus dem 1. bis 3. Jahrhundert auch Knochenreste aus dem Jahre 600 gefunden. Beides deutet auf die Möglichkeit hin, dass die Fläche vor der Burg einst als römisches Heiligtum und später als Bestattungsplatz genutzt wurde.

Überreste von Töpfen, Werkzeug und Tierknochen ermöglichten, ein ziemlich genaues Bild des damaligen Burglebens nachzuzeichnen. «Nach den tiefgreifenden Ausgrabungen und Restaurierungen der 1940er- und 1960er-Jahren hatten wir bei den Nachuntersuchungen keine hohen Erwartungen, auf noch Unentdecktes oder besondere Funde zu stossen», schreibt Gabriela Meier Mohamed auf Anfrage. Dann die Überraschung: «Wie eine Wundertüte gab die Ruine im Lauf der Untersuchungen nach und nach ihre Geheimnisse preis.»

Langwierige Recherche

Über das Buch «Burgruine Hünenberg im Kanton Zug»

Von Gabi Meier Mohamed. Mit Beiträgen von David Brönnimann, Stephen Doswald, Gabriela Güntert u.a.

Das Buch bildet der 48. Band der Reihe «Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters» und beinhaltet eine umfassende Dokumentation über die Ruine, die Geschichte und das Leben und die Natur der damaligen Zeit.

Herausgeber und Verkaufsstelle ist der Schweizer Burgenverein.

Für das über 500 Seiten starke Werk über das ehemalige Bollwerk hat Hauptautorin Gabriela Meier Mohamed tief in den Archiven – und vor Ort in Hünenberg – gegraben und noch intensiver mit Wissenschaftlern, Historikern und Behörden zusammengearbeitet. «Gesamthaft stecken rund drei Jahre Arbeit darin», sagt sie. «Auch wenn letztlich mein Name auf dem Umschlag steht, so haben zum Gelingen der Nachuntersuchungen und der Auswertung viele Leute beigetragen.» Für sie war die Arbeit an der Ruine und dem Buch ein «Lehrblätz».

«Die Burgruine Hünenberg und die Arbeit daran haben mir gezeigt, wie schwierig, anspruchsvoll, aber auch wie gewinnbringend archäologische Nachuntersuchungen an vermeintlich bereits vollständig ausgegrabenen und restaurierten Monumenten sein können», so Gabriela Meier Mohamed.

Heute zeichnet noch immer die Korporation Hünenberg für die Überreste der Burg verantwortlich – ein weiteres Vermächtnis Emil Villigers. Die Ruine ist ein beliebter Ausflugsort für Familien und Geschichtslaien. Sie ist öffentlich zugänglich und Infotafeln weisen auf die Geschichte der Burg und ihrer ehemaligen Bewohner hin. Selbst für Filmaufnahmen stand das Gemäuer schon vor der Kamera (zentralplus berichtete).

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Heinz
    Heinz, 05.01.2021, 19:09 Uhr

    Spannender Bericht. Hat mir als langjähriger Hünenberg Einwohner sehr gut gefallen. Bravo😊

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